Wettbewerbsvorteil Digitalisierung. Wie Chemie-Unternehmen in ihrer Produktion aus Daten Mehrwert generieren

Interview mit Dr. Christian Debus, President, Process Automation Solutions GmbH (PA)

Die Digitalisierung eröffnet den Chemieunternehmen neue Möglichkeiten, wie zum Beispiel Big Data, Cloud, Konnektivität, Künstlicher Intelligenz (KI)) oder digitale Zwillinge. Wo steht die Chemieindustrie in der Digitalisierung?

Dr. Christian Debus: In meiner Wahrnehmung ist jedes der von Ihnen genannten Themen für sich genommen schon Realität. Was fehlt, ist das produktive Zusammenspiel, um daraus echten Kundennutzen zu erzeugen. Das funktioniert noch am ehesten bei Greenfield-Ansätzen, doch selbst dort sind die besten Lösungen nicht immer ohne weiteres kombinierbar. Insgesamt herrscht gerade in der Prozessindustrie noch Zurückhaltung mit neuen Technologien zu experimentieren, deren Nutzen noch nicht eindeutig zu greifen ist. Das Spannende ist aus meiner Sicht, dass man bereits konkreten Nutzen aus der Digitalisierung ziehen kann, ohne hochkomplexe Algorithmen einsetzen zu müssen und ohne sich in die Abhängigkeit proprietärer Systeme zu begeben. Durch die Konnektivität vorhandener Systeme, die Datenintegration, das einfache Visualisieren und den Vergleich von Leistungskennzahlen lassen sich bereits sehr schnell und einfach konkrete Produktivitätssteigerungspotenziale identifizieren – und dann im nächsten Schritt natürlich auch umsetzen sowie kontinuierlich und automatisiert überwachen, um eine nachhaltige Verbesserung zu gewährleisten.

Informationstechnologie findet schon seit Jahrzehnten in den operativen Prozessen von Chemieunternehmen eine Rolle. Wo liegt aus Ihrer Sicht der Unterschied in der heutigen Phase der Digitalisierung?
Debus: Früher in der Industrie 3.0 war der Einsatz von IT noch sehr aufwändig und zeitintensiv. Bisher ging es oftmals darum, einzelne Prozesse sicher zu steuern. Der große Fokus in der Prozessindustrie lag auf Prozessleitsystemen. Heute geht man einen Schritt weiter. Man integriert verschiedene Prozessleitsysteme mit anderen IT-Systemen, wie z.B. ERP, Historian und SCADA-Systemen und ermöglicht dadurch die anlagen- oder prozessübergreifende Optimierung von Produktionssystemen. Die Implementierungskosten sind jedoch sehr hoch, weil in der Regel proprietäre Systeme miteinander kombiniert und kommunikationsfähig gemacht werden mussten. Projekte werden so teuer und auch riskant.

Erfolgreicher ist ein anderer Ansatz mit Hilfe von Standardschnittstellen zu allen gängigen OT- und IT-Systemen und einer Plattform, in der die Daten automatisch integriert und kontextualisiert werden. Mit diesem Plattformansatz kann man schnell und kostengünstig erste Erfolge der Digitalisierung erzielen und das Thema ohne großen Aufwand entmystifizieren. So können kontinuierlich Daten aus allen Produktionsprozessen im Produktionsverbund erhoben und verglichen werden. Optimal funktioniert die Digitalisierung, wenn auf Basis dieser Daten dann mit Hilfe von KI-Algorithmen automatische Steuereingriffe abgeleitet werden, so dass mit klar definierten KPIs die Produktion permanent und in Echtzeit optimiert wird. Mit Hilfe der Digitalisierung gelingt Unternehmen beispielsweise eine kontinuierliche Reduzierung von Qualitätsschwankungen in sich verändernden Umfeldbedingungen, sie reduzieren Material- und Energieverbräuche signifikant und steigern die Prozesssicherheit so wie auch die Anlagenverfügbarkeit.

Welche konkreten wirtschaftlichen Vorteile bietet die Digitalisierung für Industrieunternehmen?
Debus: Für einzelne Verbesserungen durch digitale Lösungen können wir das sehr detailliert quantifizieren: Typische Business Cases zeigen, dass sich die Totale effektive Anlagenproduktivität (TEEP) um 10 Prozent, die Instandhaltungskosten durch vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) um 10 bis 30 Prozent verbessern lassen. Aber der viel größere Hebel in der Chemieindustrie liegt woanders: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen weltweiten Fertigungsverbund so integriert, dass Kundenbedarfe automatisch mit verfügbaren Kapazitäten, Rüstzeiten und Logistikkosten abgeglichen werden und Sie dadurch die Auslastung Ihrer bestehenden Anlagen so optimieren können, dass Sie sich eine Neuinvestition sparen können – dann haben Sie einen massiven wirtschaftlichen Nutzen aus der Digitalisierung der bestehenden Anlagen.

Mehr Information bedeutet irgendwie auch zunehmende Komplexität – genau das wollen aber die produzierenden Betriebe in der Prozesstechnik eigentlich nicht.
Debus: Ich denke, der Schlüssel liegt in der Reduzierung der wahrgenommenen Komplexität. Wenn Sie heute in Ihrem Auto eine Temperatur einstellen, dann liegen dahinter verschiedenste Sensoren und Systeme, die diese Temperatur unabhängig davon, wo sich das Auto gerade befindet, kontinuierlich auf den Zielwert regeln. Ich als Autofahrer muss nicht unbedingt verstehen, wie die Systeme das genau machen. In 10 Jahren wird es beim autonomen Fahren genauso sein. Auch hier muss der Autofahrer nicht die Systeme und ihre Funktionsweise kennen, die das Auto autonom fahren lassen. Er muss nur eingreifen können, wenn etwas nicht funktioniert. Die Vision von PA ist es, eine solche Situation für den Produktionsverantwortlichen herzustellen – die sich kontinuierlich selbst optimierende Produktion. Um die im Hintergrund laufenden Prozesse und Systeme kümmern wir uns dann.

Können digitale Zwillinge oder KI letztlich die Prozesse vereinfachen und wie hoch sind die Hürden, diese Technologien sinnvoll zu nutzen?
Debus: In meinen Augen haben diese Technologien, insbesondere KI, gar nicht primär das Ziel, Prozesse zu vereinfachen. Sie sollen vielmehr dabei unterstützen, ganzheitlich zu optimieren und damit Situationen zu vermeiden, in denen viele lokale Optimierungen gemacht werden, man aber global suboptimal unterwegs ist, siehe mein Beispiel vorher zur Kapazitätsauslastung.

Die große Hürde, diese Technologien wirksam werden zu lassen, ist die existierende Produktionslandschaft. Nach der anfänglichen Euphorie zur Digitalisierung der Produktion hat sich Ernüchterung breit gemacht, weil die großen Effizienzpotenziale nicht schnell realisiert wurden. Der Nutzen der Digitalisierung kommt dann zum Tragen, wenn man die Grundlagen dafür legt und die Daten aus verschiedensten Anlagen und Prozessen systematisch integriert. Das scheitert aber in der Regel an den vielen verschiedenen Hardware- und Softwarelösungen innerhalb eines Werks oder Produktionsverbundes, die alle jeweils proprietäre Standards haben und sich eben nicht so einfach integrieren lassen. Und genau hier setzt die PA an.

Wie kann die PA Unternehmen bei der Digitalisierung und den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen genau unterstützen?
Debus: Wir als PA haben uns in den vergangenen Jahren gezielt weiterentwickelt und sind heute aus vier Gründen der ideale Partner für Industrie 4.0 in der Prozessindustrie.

Erstens haben wir mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Automatisierung insbesondere von bestehenden Produktionsanlagen. Für uns als herstellerunabhängigen Integrator über alle Ebenen der Automatisierungspyramide lag es schon immer in der DNA, in der Produktion verschiedene Standards bei Maschinen und Anlagen sowie verschiedene vorhandene Softwarelösungen zusammenzuführen, diese Daten zu integrieren und nutzbar zu machen. Dies ist auch in der Industrie 4.0 entscheidend.
Zweitens haben wir eine umfassende Branchenerfahrung in den Prozessindustrien, insbesondere in den Branchen Chemie, Öl und Gas sowie Pharma und Biotech. Hier haben wir eine umfassende Kompetenz, langjährige Erfahrungen aus zahlreichen internationalen Projekten und bereits viele etablierte Lösungen, die zuverlässig Mehrwert schaffen.

Drittens sind wir system-unabhängig. Wir können unseren Kunden daher immer die beste Lösung mit dem maximalen Nutzen aus verschiedenen Produkten und Herstellern bieten. Gerade in Zeiten von Industrie 4.0 geht es noch viel mehr darum, verschiedene Systeme zu kennen und flexibel miteinander zu connecten.

Viertens verbinden wir die physische Fertigung systemtechnisch mit der IT-Welt in der Cloud, wie das kein Player kann. Mit PA Facts haben wir eine einzigartige IIoT-Lösung, die Daten aus allen Quellen in der Produktion integriert, standardisiert und kontextualisiert. So werden – zusammen mit unserem Branchen- und Automatisierungs-Know-how – die Produktionsdaten richtig für Analytics und KI nutzbar gemacht. Kunden können darauf basierend ihre eigenen Apps kreieren, unsere Out-of-the-Box Apps adaptieren oder einfach unsere Standard-Apps zur Production Performance oder Energy Management nutzen.
Die Chemieunternehmen können so selbst aus ihren Produktionsdaten Mehrwert generieren.

Dr. Christian Debus ist seit 2018 President der Process Automation Solutions GmbH (PA). Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler bringt langjährige Managementerfahrung mit. So war er zuvor weltweit verantwortlich für Camfil Air Pollution Control und Recaro Car Seating.
PA ist der führende systemunabhängige Integrationspartner für Automation und Digitalisierung. Das Unternehmen arbeitet weltweit mit den Top Playern der Prozessindustrie zusammen, um mit Automations- und Digitalisierungslösungen ihre operative Leistung zu steigern. PA beschäftigt mehr als 1.400 Mitarbeiter weltweit und ist Teil der ATS-Gruppe.