Wenn KI zum Verkaufskriterium wird, wird der KI-Reifegrad zum Hebel

Die Geldgeber diktieren die Regeln und vielleicht ist das eine Chance für den deutschen Mittelstand. Lange Aushängeschild für Innovation, Qualität und Ingenieurskunst, hat dieser beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch ordentlich Luft nach oben. Und wenn ein Unternehmensverkauf ansteht und das Kapital teuer wird, wird genauer geschaut, und zwar angefangen beim technischen Reifegrad. Da wo früher das skalierbare Geschäftsmodell oder die starke Marktpositionierung standen, steht heute an erster Stelle der Einsatz von KI und Automatisierung in den Abläufen, so 58% der befragten 500 Private-Equity-Managern in einer FTI Consulting Studie¹.

Eine Chance, die viele deutsche Unternehmen nicht verstreichen lassen sollten. Denn: Wo Luft nach oben ist, steckt auch Potenzial für Wachstum. Und manchmal sind es externe Anforderungen, die die nötige Geschwindigkeit bringen.

Aber zwischen Potenzial und Praxis klafft noch eine große Lücke. Laut Accenture² haben nur 36 % der Unternehmen KI-Lösungen im größeren Stil skaliert. Gerade einmal 13 % verzeichnen signifikante Mehrwerte. Während in Nordamerika 76 % der Investor*innen ihren Portfolio-Unternehmen überdurchschnittliche KI-Fortschritte bescheinigen, sind es in Europa nur 60 %. Die Folge ist ökonomisch und finanziell spürbar: selektivere Investoren, härtere Bewertungskriterien und ein wachsender Wettbewerbsdruck.

KI-Reifegrad: Die neue Währung der Unternehmensbewertung

Längst geht es nicht mehr nur um Technik. KI ist kein Spielplatz für Digitalverliebte, sondern strategisches Kapital. Technologie wird zum Gradmesser für Zukunftsfähigkeit und aktiver Treiber unternehmerischer Wertschöpfung.

Für Unternehmen bedeutet das: KI gehört auf die Agenda der Chefetage! Geschäftsführungen müssen den Reifegrad ihrer Organisationen in Puncto KI und Automatisierung gezielt vorantreiben und als integrale Bestandteil der

Unternehmensstrategie verankern. Denn es geht darum die Basis für eine nachhaltige Zukunftsfähigkeit zu schaffen.

Wer sich auf bestehenden Stärken ausruht, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Dabei ist die Substanz längst da: Wir sitzen auf einem Datenschatz, wir müssen ihn nur heben. Der Appell lautet: Machen statt verharren.

Deutschland bringt historisch ideale Voraussetzungen mit: Maschinenbau-Exzellenz, tiefes Branchen-Know-how in der Industrie und ausgeprägte Prozessexpertise. Wir verfügen über mehr proprietäre Daten als viele andere Länder – und diese sind weit wertvoller, als oft angenommen.

KI-Modelle werden zur Commodity. Was den Unterschied macht, sind die Daten, mit denen wir sie trainieren und verfeinern. Die eigentliche Herausforderung liegt nicht in der Erfindung von Neuem, sondern in der Sichtbarmachung und Nutzbarmachung des bereits Vorhandenen. Unser geistiges Eigentum ist unser Wert – wir müssen es nur aktivieren.

Transformation beginnt nicht mit Tools, sondern mit Haltung

Wie gelingt also der Schritt von der digitalen Ambition zur echten Skalierung? Nicht durch Tool-Bingo, sondern durch ein strategisches Fundament, das sich in der Praxis bewährt hat.

1. Digitales Fundament legen:

Eine moderne, integrierte IT-Landschaft ist die Grundvoraussetzung, um KI skalierbar zu machen. Fragmentierte oder veraltete Systeme verhindern durchgängige Lösungen – das zeigt sich regelmäßig in Projekten mit hohem Automatisierungspotenzial. Gemeint ist nicht nur die neueste Software, sondern eine robuste Technologieplattform, die Systeme, Dateninfrastruktur und Prozesse sinnvoll verbindet. Sie wird zum Dreh- und Angelpunkt jeder Skalierung.

2. Daten nutzbar machen:

Daten sind nur dann „das neue Öl“, wenn man sie veredeln kann. Eine belastbare Dateninfrastruktur mit klarer Governance ist essenziell. Besonders im Mittelstand schlummern proprietäre Datenschätze, die bislang kaum erschlossen wurden. Ihre gezielte Nutzung ist einer der stärksten Wettbewerbsvorteile – das zeigt sich gerade dort, wo schnelle Erfolge möglich wären, aber die Struktur fehlt.

3. Mitarbeitende qualifizieren:

Technologie wirkt nur mit Menschen. Die leistungsstärkste KI bleibt wirkungslos, wenn sie nicht verstanden oder angewendet wird. Investitionen in Weiterbildung, interne Lernräume und Experten-Communities sind der Schlüssel. Transformation ist keine technische, sondern eine kulturelle Aufgabe und sie beginnt bei jedem Einzelnen.

4. Fokus statt FOMO:

Nicht jeder Hype ist hilfreich. Statt Trends hinterherzulaufen, braucht es eine Digitalstrategie, die den Kern des Geschäfts stärkt. Was bringt echten Mehrwert? Wo liegen die echten Hebel? Wie bringt man Fach- und Tech-Expertise zusammen, um genau diese Hebel zu identifizieren und priorisieren? Eine automatisierte Angebotserstellung verändert mehr als das hundertste Chatbot-Experiment. Strategie schlägt Aktionismus, gerade dann wenn die Ressourcen knapp sind.

5. Partner und Netzwerke nutzen:

Niemand muss die KI-Transformation allein stemmen. Von staatlichen Förderprogrammen bis hin zu Innovationsnetzwerken: Der Austausch mit anderen bietet wertvolle Impulse. Auch externe Perspektiven – etwa durch spezialisierte Beratungen – helfen, blinde Flecken aufzudecken und strategisch zu reflektieren, was wirklich relevant ist. Gerade beim Navigieren durch Skalierungsfragen und bei der Bewertung von Reifegraden erweist sich externe Expertise oft als produktive Ergänzung zur eigenen Sicht. Kooperation ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Weitsicht.

Standort kennen, Zukunft gestalten

Diese fünf Empfehlungen sind wertvolle Wegweiser. Doch die Landkarte entsteht erst, wenn man den eigenen Standort kennt. Genau hier setzt die KI-Reifegradmessung an – als Kompass für den nächsten Schritt.

Wer seinen KI-Reifegrad kennt, bewertet nicht nur sich selbst besser – sondern wird auch besser bewertet.

¹ https://www.fticonsulting.com/insights/reports/private-equity-report

² https://www.accenture.com/content/dam/accenture/final/industry/cross-industry/document/Making-Reinvention-Real-With-GenAI-TL.pdf#:~:text=The%20urgency%20to%20act%20could,hesitating%20risk%20slipping%20further%20behind