Was Unternehmen aus der Pandemie lernen

Handelsblatt | MITTWOCH, 9. JUNI 2021, NR. 108

Finanzvorstände deutscher Unternehmen skizzieren die Welt nach Corona: Sie setzen auf  Frühwarnsysteme, Resilienz und neue Technologien.

Bert Fröndhoff Düsseldorf

Die Corona-Pandemie ist noch nicht überstanden. Doch es kristallisiert sich heraus, welche Lehren die deutschen Unternehmen aus den vergangenen 14 Monaten ziehen und wie dies ihre Arbeit verändern wird. „Die nächste Krise wird kommen“, sagt Rachel Empey, Finanzchefin beim Gesundheitskonzern Fresenius. „Dafür müssten sich Unternehmen jetzt rüsten.“

Die Britin skizzierte auf dem „CFO Summit“ des Handelsblatts am Mittwoch, wie dies bei Fresenius aussieht. So hat der Dax-Konzern ein permanentes Stress-Management installiert: Welche Szenarien können eintreten, wie wird und kann das Unternehmen damit umgehen? Lieferketten, Produktionsnetze – alles steht mithilfe neuer Digitaltechnik unter steter Beobachtung.

Vorsicht und Vorbereitung dominieren die aktuellen Strategien vieler Unternehmen: Sie setzen auf Frühwarnsysteme und stärkere Resilienz, um einen erneuten Schock wie Corona wegstecken zu können. Der ist zwar aktuell nicht in Sicht, die Weltwirtschaft hat im ersten Halbjahr kräftig zugelegt. Doch die Nachwirkungen der Pandemie sind spürbar. Dazu zählen etwa die Engpässe und Materialknappheit in vielen Sektoren. Rohstoffe bis Endprodukte haben sich deutlich verteuert.

Finanzchefs gehen davon aus, dass sich die Inflation im zweiten Halbjahr beruhigen wird. „Wir werden dann wieder in einem Korridor sein, der uns kein Kopfzerbrechen macht“, erwartet Marcus Kuhnert, CFO des Pharma- und Chemiekonzerns Merck. Marco Swoboda, CFO von Henkel, erwartet, dass sich die Preise bei Konsumgütern wieder beruhigen werden, weil sich dann auch die Gewohnheiten der Verbraucher normalisieren.

Doch die aktuelle Knappheit ist aus Sicht der Experten ein weiterer Beleg dafür, wie fragil und störungsanfällig etwa die Beschaffungsketten in einer globalisierten Wirtschaft sind. Und derartige Störungen könnten in Zukunft noch zunehmen, wenn die Globalisierung getrieben von politischen Interessen zurückgedreht wird. „Auf diese Entwicklung sind sehr viele global tätige Unternehmen nicht vorbereitet“, sagte Stefan Asenkerschbaumer, Finanzchef von Bosch, auf dem „CFO Summit“. Lieferketten seien weltweit auf Effizienz und niedrige Kosten getrimmt. Sie würden aber andauernden Disruptionen nicht standhalten. Die Beschaffungswege würden sich ändern und teurer werden, prophezeit er.

Bosch setzt dabei auf maximale Flexibilität: Die Produktion hat der Konzern längst dezentral in den großen Absatzländern angesiedelt. Jetzt verstärkt das Unternehmen das regionale Sourcing und baut alternative Zulieferkanäle auf. Damit bereitet sich Bosch auf Störungen durch mögliche Einschränkungen beim freien Warenhandel zwischen USA, China und Europa vor.

„Der Welthandel wird immer fragiler“, beobachtet Asenkerschbaumer. Intern arbeitet Bosch mit mehreren Zukunftsszenarien: Schon ein leichter Protektionismus mit ständig neuen Barrieren berge große Risiken für globale Unternehmen. Im Extremfall könnten sich die USA und China aber eines Tages so unversöhnlich gegenüberstehen, dass sich ein Unternehmen für ein Land von beiden entscheiden müsse.

Ähnlich wie Fresenius arbeitet Bosch mit einem Frühwarnsystem, das die Szenarien ständig mit der Realität abgleicht – es ist Basis jeder Strategiesitzung. In zwölf Kategorien werden immer wieder die aktuelle Situation und die Aufstellung des Unternehmens überprüft, darunter auch die M&A- oder Lieferstrategien in den Regionen. „Für uns wird geopolitischer Sachverstand und das Verständnis der Innenpolitik der Länder immer wichtiger“, sagt der Bosch-CFO.

Dahinter steckt das Streben der Firmen nach mehr Resilienz, also Widerstandskraft gegen einschneidende Krisen, wie sie durch Corona ausgelöst wurden. Die Lehre aus der Coronakrise ist aus Sicht der Finanzvorstände: Gute Vorbereitung auf alle Szenarien macht sich bezahlt.

Dazu gehört permanente Kostenkontrolle: „Wir haben davon profitiert, schon weit vor der Pandemie ein Kostensenkungsprogramm gestartet zu haben“, sagt Merck-CFO Kuhnert. „Das hat viel Transparenz geschaffen und geholfen, Einbußen durch Corona abzumildern.“

Ähnliches gilt für die Umstellung aufs digitale Arbeiten, nicht nur, was das Homeoffice betrifft: Henkel etwa traf die Pandemie im Frühjahr 2020 mitten im Wechsel des Abschlussprüfers von KPMG auf PwC. Die Umstellung des Bilanztestats auf Remote-Arbeit gelang, weil der Düsseldorfer Konzern schon länger an Digitalsystemen im Finanzwesen arbeitete. „Wir hatten keinen Tag Verspätung“, resümiert Swoboda.

Profitiert hat der Konsumgüter- und Klebstoffhersteller zudem davon, dass er in den Jahren zuvor konsequent am Schuldenabbau und damit am Rating gearbeitet hat. Die positive Einschätzung der Rating-Agenturen habe geholfen, als sich Henkel zu Beginn der Pandemie am Finanzmarkt mit frischer Liquidität versorgte.

Im Frühjahr 2020 versuchten praktisch alle Unternehmen, sich mit Liquidität vollzusaugen, um für alle wirtschaftlichen Unwägbarkeiten gerüstet zu sein. Das gehört zum Standardinstrumentarium bei großen globalen Krisen. In vielen Industrien wurde aber schnell klar, dass die Finanzpolster nicht im befürchteten Maß gebraucht wurden. Geschickt steuerten einige deswegen schnell wieder auf Wachstumsprojekte um.

Auch Giesecke+Devrient, ein Spezialist für Zahlungssicherheit und Identitätsprüfung, hat zu Kostensenkungen gegriffen. „Wir haben aber zugleich unsere strategischen Projekte weitergefahren, schließlich gibt es auch eine Welt nach der Krise“, sagt CFO Peter Zattler. Dabei ging es vor allem um die digitale Transformation, die Münchener haben sich sogar mitten in der Pandemie einen kleineren Zukauf zugetraut.

Daran wagen sich viele Firmen bis heute noch nicht. Das Stimmungsbild in der Industrie zeigt, dass die Zeit der Großzukäufe nicht so schnell wiederkommt. Das liegt auch an den hohen Preisen, die aktuell für Übernahmeobjekte aufgerufen werden. Bei Merck dürfte es in den nächsten ein bis zwei Jahren keinen Großzukauf geben. Laut Finanzchef Kuhnert sind eher kleinere und mittlere Projekte denkbar, etwa über die Einlizenzierung von Wirkstoffen. Bei Henkel sind im Geschäft mit Industrieklebstoffen ebenfalls eher kleinere Technologiezukäufe möglich.

Bayer hat Corona-Radar etabliert
Großprojekte sind auch für die Bayer AG nicht denkbar, der Konzern verdaut gerade unter Schmerzen die Mega-Übernahme Monsanto inklusive der Rechtsfolgen. Für den Leverkusener Konzern hat die Pandemie ebenso wie für Fresenius die Erkenntnis gebracht, dass die Digitalisierung des Geschäfts überraschend stark und schnell gewonnen hat: Tausende Farmer in Südamerika wechselten auf elektronische Einkaufsplattformen für Saatgut und Pflanzenschutzmittel, im Geschäft mit verschreibungsfreien Arzneien stieg das Volumen im E-Commerce um 70 Prozent.

„Wir haben viele Dinge umgesetzt, die wir vorher nicht für möglich hielten“, sagt Wolfgang Nickl. Die Erfahrungen mit dem Homeoffice seien durchweg positiv. Nun plant Bayer ein hybrides Modell mit einem Mix aus Heimarbeit und Präsenz, wo immer dies möglich ist. Das Büro werde künftig mehr ein Ort des Austauschs für die Mitarbeiter, erläutert Nickl. Bayer hat in der Krise einen digitalen Corona-Radar etabliert, der während der Pandemie stetig ausgebaut wurde und dem Vorstand detaillierten Einblick in die Geschäftsentwicklung gab. Für Nickl ist das cloudbasierte System heute eines der wichtigsten Werkzeuge auch zur Bewertung von Szenarien.

Für den CFO ist aber klar, dass seine Verantwortung nicht bei der Zahlenbewertung endet. „Die Coronakrise hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig klare Kommunikation ist“, sagt er. „Man darf die Mitarbeiter nicht im Dunkeln lassen, sondern muss ihnen offen sagen, was mit dem Unternehmen passiert und wo man steht.“

Das ist auch der Maßstab von Fresenius-Managerin Empey. Sie versteht sich nicht allein als klassischer CFO: „Als Vorstandsmitglied trage ich eine größere Verantwortung mit, bei der es auch um die Gesamtentwicklung, um die Mission und die Motivation der Mitarbeiter geht.“