Vorbeugen ist besser als Heilen –Krisenfrüherkennung als Geschäftsführerpflicht

Der Pflichtenkreis des Geschäftsführers wird im Ausgangspunkt von § 43 GmbHG umrissen: „Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.“ Um eine eigene Haftung zu vermeiden, muss der Geschäftsführer die daraus folgenden Einzelpflichten stets im Auge behalten. In Krisenzeiten gilt dies in besonderem Maße. Der folgende Beitrag beleuchtet die Anforderungen, die an Geschäftsführer in der Krise gestellt werden. Geschäftsführer sollten hierauf vor allem deswegen ein besonderes Augenmerk legen, da die Pflicht zur Krisenvorsorge zum 1. Januar 2021 ausdrücklich ins Gesetz geschrieben wurde.

Die gesetzliche Aufgabenzuweisung Zum 1. Januar 2021 trat das Gesetz über den Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) in Kraft. Wesentlicher Inhalt war die Umsetzung einer europäischen Richtlinie zur Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens („zweite Chance“). Das Gesetz geht jedoch über das reine Restrukturierungsverfahren hinaus und regelt auch Pflichten im Vorfeld. So statuiert § 102 StaRUG nunmehr ausdrücklich, dass Steuerberater ihre Mandanten darauf hinweisen müssen, wenn es offenkundige Anhaltspunkte für eine mögliche Insolvenzantragspflicht gibt und sie den Eindruck haben, dass sich der Mandant dieser ernsten Situation nicht bewusst sein könnte.

Für Geschäftsführer findet sich in § 1 StaRUG eine ausdrückliche Aufforderung zur Krisenvorsorge: „Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.“

Diese Pflichten waren von der Rechtsprechung schon zuvor durch Konkretisierung aus den allgemeinen Geschäftsführerpflichten abgeleitet worden. Im Kern also nichts Neues. Allerdings gibt es nunmehr eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die Anknüpfungspunkt sowohl für eine konkretisierende Auslegung im Einzelfall als auch für eine Weiterentwicklung durch die Gerichte bietet. Der Gesetzgeber spricht in der Regierungsbegründung zum StaRUG von Mindestanforderungen, während es, was Einzelfragen angeht, bei den rechtsformspezifischen Regelungen und Grundsätzen bleibt. Auch weitergehende spezialgesetzliche Regelungen wie etwa die Insolvenzantragspflichten (§§ 15a ff. InsO), die Pflicht zur Einberufung von Gesellschafterversammlungen (wenn es im Interesse der Gesellschaft erforderlich scheint, zwingend aber beim Verlust des hälftigen Eigenkapitals, § 49 Abs. 2 und 3 GmbHG)

oder die Pflicht, ein Risikomanagement vorzuhalten (§ 91 Abs. 2 AktG gilt für die GmbH analog, wenn Größe und Komplexität des Unternehmens es erfordern) bleiben unberührt (§ 1 Abs. 3 StaRUG).

Die Neuregelung hat zwei Perspektiven: Die Pflicht zur Risikoüberwachung und den Umgang mit erkannten Risiken. Dabei sieht der Gesetzgeber den Umfang der erforderlichen Überwachung in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens, seiner Branche und Struktur. Kleinere Unternehmen können daher auch ohne größeren formellen Organisationsrahmen auskommen. Es muss jedoch stets gewährleistet sein, dass die Geschäftsführer die Entwicklung des Unternehmens so beobachten, dass Potenziale, die bei ungehindertem Fortgang den Fortbestand des Unternehmens gefährden könnten, in jedem Fall erkannt werden.

Risikoüberwachung: Liquidität ist alles und ohne Liquidität ist alles nichts

Ein gutes Krisenvorsorgemanagement beruht auf Daten, die bei guter Unternehmensführung ohnehin vorliegen. Zentraler Aspekt ist dabei die prognostische Liquiditätsausstattung der nächsten 24 Monate. Dabei darf nicht nur Umsatz geplant werden; Kosten einschließlich eines etwaigen Vorfinanzierungsbedarfs müssen dagegengestellt werden. Nicht nur für Start-ups gilt, dass Wachstum Liquidität kostet, weil der Rechnungseingang verzögert erfolgt. Zugleich sorgt aber in der Krise ein Produktionsrückgang dafür, dass im Forderungsbestand gebundenes working capital frei wird. Dies kann eine leichte Krise abfedern, aber bei einer Planung, die diesen Effekt nicht identifiziert, auch dazu führen, dass eine Liquiditätskrise erst zu spät erkannt wird.

Mit zunehmendem Zeithorizont werden Prognosen zwangsläufig unsicherer. Neben einer oftmals vorgenommenen worst case-Betrachtung kann daher auch eine Sensitivitätsanalyse sinnvoll sein. Diese ermöglicht, die Auswirkungen einer konkreten Veränderung, etwa des Ausfalls eines Großauftrags, aufzuzeigen und damit ein Gefühl für die denkbaren Schwankungsbreiten zu bekommen.

Vorsorgefaktor: Gesellschafter

Krisenvorsorge sollte sich aber nicht allein auf eine Liquiditätsvorsorge beschränken. Ein wesentlicher Faktor ist auch die Unterstützung durch die Gesellschafter. Dies spielt etwa eine Rolle, wenn Patronatserklärungen gelebt werden müssen. So hat das OLG Celle (Az. 9 U 14/08) die Berücksichtigung einer Patronatserklärung in der insolvenzrechtlichen Überschuldungsbilanz wegen fehlender Werthaltigkeit verneint. Ausschlaggebend war, „dass die Gesellschaft insolvent geworden ist, die Beklagte als Patronin also entweder gar nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen ist, sie entsprechend ihrer Verpflichtung laut Patronatserklärung finanziell auszustatten.“ Die Bedeutung des Finanzierungswillens der Gesellschafter hat durch ein aktuelles Urteil des OLG Düsseldorf (Az. 12 W 7/21) neues Gewicht erlangt. Das Gericht hat, allerdings speziell im Kontext von Startup- Unternehmen, entschieden, dass der in der Vergangenheit manifestierte Wille des Gesellschafters, das Unternehmen weiter zu finanzieren, auch bei der Prüfung einer insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose berücksichtigt werden könne.

Umgang mit erkannten Risiken

Eine frühzeitige Krisenerkennung versetzt das Unternehmen in die Lage, rechtzeitig zu agieren, anstatt später unter Zeitnot reagieren zu müssen. Damit einher geht, die Finanzplanung mit der operativen Planung zu verproben. Dies betrifft Auslastungseffekte (etwa Überstundenzuschläge oder teure Leiharbeit) genauso wie Verzögerungen in der Lieferkette, die die Endabnahme eines Auftrags und die damit verbundene Schlusszahlung verzögern können. Hier sind neben finanziellen auch operative Steuerungsmaßnahmen gefragt, etwa das Ausweichen auf verfügbare Ersatzkomponenten, eine Lageraufstockung bei absehbaren Schwankungen und eine enge Einbindung des Vertriebs, damit nur realistische Lieferzusagen abgegeben und Vertragsstrafen vermieden werden. So lassen sich leichte Krisen im Idealfall aussteuern.

Wird neues Kapital benötigt, ist der Zeitfaktor oft entscheidend. Dabei sind auch die Entscheidungsprozesse der angesprochenen Finanzierungspartner zu berücksichtigen. Spätestes zu diesem Zeitpunkt hängt der Erfolg einer Finanzierung oftmals davon ab, dass das Unternehmen die Krisenursachen transparent analysiert und insbesondere aufzeigen kann, dass der Einsatz der angefragten Mittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer nachhaltigen Sanierung führen wird.

Business Judgement Rule

Seit jeher ist allgemein akzeptiert, dass Geschäftsführer auch Risiken eingehen dürfen. Vielmehr ist dies eine Grundvoraussetzung unternehmerischen Handelns. Grenzen zieht das Recht erst, wo die Gefahr besteht, dass der Geschäftsführer nicht mehr im Sinne der Eigentümer und der Gläubiger des Unternehmens handelt. Gegenüber den Gesellschaftern erwachsen mit zunehmendem Risiko erst Informations-, dann Zustimmungspflichten. Gläubiger werden durch die Insolvenzantragspflichten geschützt, sobald die Gefahr besteht, dass die zu ihrer Befriedigung erforderliche Substanz nicht mehr vorhanden ist. Zusammengefasst wurde das in der Praxis unter der „Business Judgement Rule“. Danach darf ein Geschäftsführer mit seiner Einschätzung auch falsch liegen, wenn er zuvor sämtliche relevanten Fakten sorgfältig ermittelt und gewogen hat und seine Entscheidung dokumentiert und damit nachvollziehbar macht. Daran wird auch in Zukunft festzuhalten sein. Gleichwohl muss ein Geschäftsführer in immer stärkerem Maße auch das Befriedigungsinteresse der Gläubiger im Auge behalten, wenn die Unternehmensentwicklung auf eine Krise zusteuert.

Fazit

Krisenvorsorge ist im aktuellen Umfeld wichtiger denn je. Zugleich erhöht sich jedoch auch der Druck auf die Geschäftsführung. Um die von der Politik gefürchteten „Blindflüge“ von „Zombie-Unternehmen“ zu vermeiden, werden auf die Unternehmenskrise bezogene Vorsorgepflichten zunehmend konkretisiert. Im ersten Schritt ist das durch gesetzliche Regelungen erfolgt. Die Gerichte werden folgen und ihre bisherige Rechtsprechung an diese neuen Leitplanken anpassen. Dass der gesetzgeberische Wille nunmehr klar benannt ist, gibt die Richtung vor: Eine verschärfte Haftung. Zu beachten ist dabei, dass es immer die Extremfälle sind, die vor Gericht landen und zu Recht eingefangen werden müssen. Nur ergeben sich aus den Urteilsbegründungen oftmals allgemeine Leitlinien, die das Leben auch für den ordentlichen wirtschaftenden Kaufmann erheblich erschweren. Hierzu kommt mit Datenschutz, Compliance und den jüngsten Regelungen zu Lieferketten eine Tendenz, unternehmerisches Handeln immer stärker zu reglementieren.

Geschäftsführer sind daher gut beraten, sich frühzeitig gut beraten zu lassen. Der Implementierung von Krisenfrüherkennungssystemen sollte hohe Priorität eingeräumt werden. Dies dient der Vermeidung einer eigenen Haftung aber vor allem auch, Probleme frühzeitig zu erkennen. Zum richtigen Weg gehört eine Krisenbewältigungskultur, in der sich die zweite Führungsebene traut, Ursachen offen anzusprechen. Dann besteht aber sowohl eine Chance, die Krise noch aus eigener Kraft zu bewältigen, als auch eine gute Grundlage, andere Stakeholder zu motivieren, einen aussichtsreichen Weg zum Fortbestand des Unternehmens zu unterstützen.