Versichert, aber nicht gesichert? – Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschäftsführerversicherung im Rahmen einer D&O

In Zeiten, in denen die vorübergehend ausgesetzten Insolvenzantragspflichten wieder uneingeschränkt gelten, Geschäftsführer zur Beantragung von Fördermitteln und Hilfsmaßnahmen umfassende Erklärungen zur wirtschaftlichen Situation ihres Unternehmens abgeben müssen und sich die Prüfpflichten des Geschäftsführers verschärfen, ist die Diskussion der Geschäftsführerhaftung so aktuell wie nie zuvor.

Der Verfasser ist seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Insolvenzverwaltung und der Sanierungsberatung tätig und somit fast täglich mit der Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegenüber Geschäftsführern oder deren Abwehr konfrontiert. In der gesamten Zeit gab es nicht einen einzigen Fall, in welchem der Geschäftsführer zu den konkreten Versicherungsbedingungen seiner Geschäftsführerversicherung Auskunft geben konnte, geschweige denn ihm die Unterschiede seiner Versicherung zu einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung bewusst waren. Vielmehr ging der Geschäftsführer nahezu immer davon aus, dass es sich bei einer D&O-Versicherung um eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung handele. Während sich Sanierungsberater in der insolvenznahen Beratung, der Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren, der Eigenverwalter sowie der Sachwalter und/ oder Insolvenzverwalter im Rahmen einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung versichern, werden solche Produkte am Markt außerhalb der Krisenberatung nicht angeboten. Für den Geschäftsführer eines Unternehmens bleibt daher nur die Möglichkeit eine sogenannte D&O-Versicherung abzuschließen, wobei am Markt ausschließlich Versicherungen angeboten werden, welche auf dem Anspruchserhebungsprinzip basieren. Im Nachfolgenden soll daher der Geschäftsführer für diese Unterschiede sensibilisiert werden.

Die praktische Brisanz zeigt sich insbesondere anhand der nachfolgenden Beispielsfälle.

Fall 1: In dem der Entscheidung des OLG München (Urteil vom 08.05.2009, 25 U 5136/08) zugrundeliegenden Fall wurde ein Vorstandsmitglied einer AG, welche im Juni 2003 Insolvenz angemeldet hatte, von deren Insolvenzverwalter wegen Insolvenzverschleppung erstmals im Jahr 2006 für Handlungen, welcher dieser als Geschäftsführer in 2002 getätigt hatte, in Anspruch genommen. Das Vorstandsmitglied verlangte hierfür Deckungsschutz von der D&O-Versicherung. Der von der AG abgeschlossene Versicherungsvertrag war durch das Versicherungsunternehmen bereits zum Ablauf des Jahres 2002 gekündigt wurden. Die D&O-Versicherung lehnte den Deckungsschutz unter Hinweis auf das vertraglich vereinbarte claims-made-Prinzip sowie die vereinbarte Nachhaftungsfrist von einem Jahr ab.

Fall 2: Ein Geschäftsführer wird vom Insolvenzverwalter der GmbH wegen masseschmälernder Zahlungen in Höhe von mehr als € 20 Mio. nach § 15b Abs. 4 InsO (vormals § 64 Satz 1 GmbHG) in Anspruch genommen. Die verbotenen Zahlungsvorgänge erstreckten sich hierbei über einen Zeitraum von zwei Jahren. Für den Geschäftsführer wurde seitens der GmbH eine D&O-Versicherung mit einer Versicherungssumme in Höhe von € 10 Mio. pro Versicherungsjahr abgeschlossen. Eine über diesen Betrag hinausgehende Regulierung lehnte die D&O-Versicherung ab.

Wesentliche Unterschiede zwischen der Vermögensschadenhaftpflicht nach dem Verstoßprinzip und einer Geschäftsführerversicherung nach dem Anspruchserhebungsprinzip

Dem deutschen Versicherungsrecht immanent ist die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, welche sich bei einer Schadensregulierung nach dem Verstoßprinzip richtet. Dies bedeutet, dass es für den Versicherungsschutz auf den Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung ankommt. Bestand zu diesem Zeitpunkt eine Versicherung in ausreichender Höhe und liegen keine Ausschlussgründe vor, greift der Versicherungsschutz. Ein weiteres wesentliches Merkmal der Vermögensschadenhaftpflicht ist, dass sich die Beschränkungen in der Versicherungshöhe nach dem jeweiligen Versicherungsjahr, in welchem das haftungsbegründende Ereignis eintrat, richten. Teilweise wird zwei- und dreifacher Schutz gewährt, das heißt, dass bei mehreren Verstößen jeder dieser Verstöße entweder bis zu einer Gesamthöhe oder jeweils in Höhe der Versicherungssumme abgesichert ist. Wird die versicherte Person zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen, kommt es nicht darauf an, ob die Versicherung zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme noch besteht oder ob zu diesem Zeitpunkt die Versicherungssumme aufgrund geringerer Risiken bereits entsprechend reduziert wurde.

Hingegen basieren D&O-Versicherungen vorwiegend auf dem Anspruchserhebungsprinzip (claims made), sodass nicht die haftungsbegründende Handlung sondern vielmehr die erstmalige Geltendmachung des Haftungsanspruchs den Versicherungsfall auslöst. In der Praxis erfolgt diese meist Jahre nach dem schädigenden Ereignis, indem Ansprüche entweder durch den nachfolgenden Geschäftsführer gegen den ausgeschiedenen Geschäftsführer oder durch den Insolvenzverwalter gegen den Geschäftsführer geltend gemacht werden. In all diesen Fällen hat der in Anspruch genommene Geschäftsführer das Zepter des Handelns nicht mehr selbst in der Hand. Der Geschäftsführer läuft Gefahr, dass zum Zeitpunkt der Anspruchserhebung der Versicherungsvertrag bereits beendet ist oder er zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden ist und somit kein Versicherungsschutz mehr besteht, obwohl die zum Schadensersatzanspruch führende Pflichtverletzung während der Vertragslaufzeit begangen worden ist. Dies ist im Fall der Inanspruchnahme aus § 15b Abs. 4 InsO regelmäßig der Fall, da durch den Versicherer mit oder unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der D&O-Versicherungsvertrag gekündigt wird. Durch die Vereinbarung einer Nachmeldefrist hinsichtlich vor Vertragsbeendigung begangener Pflichtverletzungen wird dieser Nachteil zwar teilweise kompensiert, allerdings ist die Nachmeldefrist in der Praxis oft auf ein Jahr beschränkt, wodurch aufgrund der längeren Verjährungsfrist der haftungsbegründenden Normen kein ausreichender Schutz besteht. Bei der Inanspruchnahme eines bereits ausgeschiedenen Geschäftsführers offenbaren sich die Nachteile des Anspruchserhebungsprinzips besonders deutlich. Trotz Bestehens eines D&O-Versicherungsvertrages im Unternehmen zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung und sogar zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme haftet der ausgeschiedene Geschäftsführer mit seinem Privatvermögen, da er mit Ausscheiden aus dem Unternehmen den Versicherungsschutz verliert, soweit die maßgeblichen Versicherungsbedingungen nicht auch die ehemaligen Organmitglieder vom Kreis der versicherten Personen erfassen.

Die Problematik des Anspruchserhebungsprinzips zeigt sich auch, wenn sich die schädigende Handlung, wie z.B. die verspätete Insolvenzantragstellung, über mehrere Jahre erstreckt. In diesem Fall beruft sich die Geschäftsführerversicherung aufgrund des Anspruchserhebungsprinzips darauf, dass lediglich Versicherungsschutz für das letzte Jahr und dies außerdem auf die vereinbarte Versicherungssumme des letzten Jahres, soweit diese nicht bereits verbraucht worden ist, beschränkt ist. Damit lassen sich in der Praxis oft gravierende Deckungslücken zwischen der tatsächlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers und der bestehenden Versicherungshöhe erkennen. Deckungslücken bestehen regelmäßig auch im Sonderfall einer Konzernversicherung, bei welcher zahlreiche Organe mehrerer Gesellschaften in den Versicherungsschutz einbezogen werden. Der Geschäftsführer hat hierbei zu beachten, dass die vereinbarte Versicherungssumme Höchstbetrag für alle während eines Versicherungsjahres eingetretenen Versicherungsfälle zusammen ist. Hierbei ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob die Regulierung der Versicherungsfälle nach dem Prioritätsprinzip erfolgt oder die Versicherungssumme quotal verteilt wird.

Für vorgenannte Beispielsfälle bedeutet dies, dass sowohl im Fall 1 wie auch im Fall 2 eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung einstandspflichtig gewesen wäre. Auch wäre aufgrund der Summierung der Versicherungssummen aus den verschiedenen Versicherungsjahren keine Deckungslücke im Versicherungsschutz aufgetreten. Unter Geltung des Anspruchserhebungsprinzips besteht hingegen im Fall 1 kein Versicherungsschutz, da zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme im Jahr 2006 der Versicherungsvertrag bereits beendet und die vereinbarte Nachhaftungsfrist abgelaufen war. Im Fall 2 steht unter Geltung des Anspruchserhebungsprinzips die vereinbarte Versicherungssumme in Höhe von € 10 Mio. nur einmalig zur Verfügung, da die Pflichtverletzungen aus mehreren Versicherungsjahren als ein Anspruch geltend gemacht werden. Eine Summierung der Versicherungssumme der jeweiligen Versicherungsjahre wird entgegen der verbreiteten Vorstellung in Anspruch genommener Geschäftsführer seitens der Versicherer ausgeschlossen.

Vereinbarkeit des Anspruchserhebungsprinzips mit deutschem Recht

Die gravierenden Unterschiede zwischen dem Anspruchserhebungsprinzip und dem im deutschen Haftpflichtversicherungsrecht vorherrschenden Verstoßprinzip wirft die Frage der Vereinbarkeit des Anspruchserhebungsprinzips mit dem deutschen Recht auf. Höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu existiert bisher nicht. Ob der Bundesgerichtshof der vereinzelten unterinstanzlichen Rechtsprechung folgt und insbesondere die Vereinbarung des Anspruchserhebungsprinzips ebenfalls als nicht überraschend im Sinne von § 305c BGB ansieht, bleibt abzuwarten. In seiner Entscheidung vom 18.11.2020 (IV ZR 217/19) stellt der BGH bei der Auslegung der allgemeinen Versicherungsbedingungen einer D&O-Versicherung auf den Empfängerhorizont eines geschäftserfahrenen und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten, jedoch nicht juristisch oder versicherungsrechtlich vorgebildeten Versicherungsnehmer/Versicherten ab. Neben den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherten kommt es für die Auslegung auch erheblich auf dessen Interessen an. In der Praxis fällt hierzu wie anfangs dargestellt auf, dass die gravierenden Unterschiede zwischen einer Vermögensschadenhaftpflicht- und einer D&O-Versicherung mit Vereinbarung des Anspruchserhebungsprinzips weder verstanden werden noch im Interesse der Versicherten liegen, sodass gewichtige Argumente für eine Unwirksamkeit nach § 305c BGB sprechen.

Freiwerden aufgrund von Ausschlusstatbeständen oder „Aus Freund wird Feind“

Verkannt werden oftmals auch die Hürden bei der Inanspruchnahme der Versicherung. So berufen sich die Versicherer bei Abzeichnen der Einstandspflicht häufig auf ein Freiwerden aufgrund von Ausschlusstatbeständen. Hauptausschlussgrund ist hierbei der durch den Versicherer erhobene Einwand der Wissentlichkeit. Kann der Versicherer darlegen und beweisen, dass der Versicherungsnehmer die ihm bekannte Pflicht bewusst verletzt hat, entfällt nach den zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen regelmäßig der Versicherungsschutz. Die strenge Darlegungs- und Beweislast trifft den Versicherer dabei nicht, soweit dem Versicherten die Verletzung einer Kardinalpflicht vorgeworfen wird. In diesem Fall schließt der Bundesgerichtshof bereits vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf die inneren Vorgänge, sodass die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung vermutet wird. Es obliegt nun dem Versicherten, diese Vermutungswirkung zu entkräften, was sich umso schwieriger gestalten wird, je länger die streitgegenständliche Angelegenheit vergangen ist. Bei welchen Pflichten des Geschäftsführers es sich um Kardinalpflichten handelt, ist in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt. In Krisenzeiten dürfte insbesondere die nunmehr in § 1 Abs. 1 StaRUG kodifizierte Pflicht des Geschäftsführers zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement Bedeutung erlangen. Eine detaillierte Dokumentation der hierzu getroffenen Maßnahmen ist unabdingbar, soll ein Widerlegen der vermuteten Wissentlichkeit gelingen. Nicht entlasten kann sich der Versicherte jedenfalls, indem er darlegt, auf den Nichteintritt eines Schadens vertraut zu haben, da der Wissentlichkeitsausschluss schadensunabhängig ist. Aus einem solchen Vortrag wird vielmehr auf die Kenntnis der Pflicht und deren Verletzung geschlossen werden können.

Die Kommunikation zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der Inanspruchnahme der Versicherungsleistung ohnehin äußerst bedacht und bestenfalls mit fachkundiger anwaltlicher Unterstützung zu führen. Nach Eintritt des Versicherungsfalls treffen das Unternehmen als Versicherungsnehmer sowie den Geschäftsführer als versicherte Person umfangreiche Auskunftspflichten gegenüber dem Versicherer, deren Verletzung zu dessen Leistungsfreiheit führen kann. Allerdings ergeben sich aus dem Wesen der D&OVersicherung als Versicherung für fremde Rechnung insbesondere im Fall der Innenhaftung aufgrund der wechselnden Rollen im Haftungs- und Deckungsverhältnis nicht außer Acht zu lassende Interessenkollisionen. Unterstützt der Versicherer im Haftungsprozess noch den Geschäftsführer als versicherte Person bei der Abwehr der Inanspruchnahme durch das Unternehmen, ist er im nachfolgenden Deckungsprozess Anspruchsgegner des Geschäftsführers, welcher wiederum Unterstützung vom Unternehmen erhält, da die Versicherungsleistung letztendlich diesem zugutekommt. An den einstigen Mitstreiter weitergegebene Informationen können sich nunmehr nachteilig auswirken. Insbesondere Informationen, die der Geschäftsführer im Rahmen des Haftungsprozesses an den Versicherer gibt, verwendet dieser bei Abzeichnen seiner Einstandspflicht nicht selten, um sich auf Ausschlusstatbestände zu berufen.

Praxistipps

Bei Abschluss einer D&O-Versicherung sollte der Geschäftsführer zur Wahrung der Einflussmöglichkeit auf die Vertragsgestaltung die Versicherungsbedingungen durch einen eigenen Anwalt prüfen lassen.

Die Versicherungssumme einer D&O-Versicherung sollte nicht zu gering gewählt werden. Im Hinblick auf die Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO sollte die Versicherungssumme mindestens den Zahlungsausgängen im Unternehmen von zwei Jahren entsprechen.

Die Versicherungsbedingungen sollten eine unbeschränkte oder zumindest an den Verjährungsfristen von Haftungsansprüchen orientierte Nachmeldefrist für Inanspruchnahmen nach Vertragsbeendigung beinhalten. Die Nachmeldefrist sollte darüber hinaus unverfallbar sein, sodass die Nachhaftung auch dann nicht verfällt, wenn ein neuer Versicherungsvertrag bei einem anderen Anbieter abgeschlossen wird. Hierdurch werden Deckungslücken für bekannte Pflichtverletzungen vermieden, da diese vom Versicherungsschutz des neuen Vertrages in der Regel ausgeschlossen sein werden.

Der Kreis der versicherten Personen sollte auch ehemalige Organmitglieder – bestenfalls ohne Einschränkungen – umfassen. Sofern für diese lediglich eine Nachmeldefrist für Inanspruchnahmen nach deren Ausscheiden vereinbart ist, sollte sich diese ebenfalls an den gesetzlichen Verjährungsfristen orientieren.

Organmitglieder sollten bei Ausscheiden mit dem Unternehmen die Aufrechterhaltung des bestehenden Versicherungsschutzes für einen an den Verjährungsfristen orientierten Zeitraum vertraglich vereinbaren.

Jeder Geschäftsführer sollte zusätzlich die Notwendigkeit des Abschlusses einer persönlichen D&O-Versicherung prüfen.

Im Schadensfall ist die Beauftragung eines auf diesem Gebiet erfahrenen, von der Versicherungsgesellschaft unabhängigen Rechtsanwalts dringend anzuraten. Die rechtliche Prüfung des Versicherungsvertrages empfiehlt sich dabei auch bei scheinbarer Leistungsfreiheit des Versicherers, da in der Praxis eine Tendenz der Versicherungsgesellschaften zum Vergleichsabschluss zu beobachten ist.