Ihr Credo: Gesundheitsversorgung muss sich an den Bedürfnissen der Patient: innen orientieren, nicht an Ländergrenzen oder strukturellen Rahmenbedingungen. Daher hat Dr. Sophie Chung 2015 Qunomedical gegründet, um Patient:innen und Ärzt:innen länderübergreifend zusammenzubringen. Sechs Jahre später sprechen wir mit der Medizinerin darüber, wie es um ihre Vision, die Gesundheitsversorgung zu revolutionieren, heute bestellt ist.
Frau Dr. Chung, wenn es um die Digitalisierung des Gesundheitssystems geht, ist schnell von der sogenannten Patient Journey die Rede. Warum ist die so wichtig und wie sieht eine gute Patient Journey in Ihren Augen aus?
Gesundheit ist etwas sehr Persönliches und Intimes, als Patient:in ist man in einer geschwächten, hilfesuchenden Situation. Was man dann braucht, ist Verständnis, Menschlichkeit und Vertrauen, dass einem nach bestem Wissen geholfen wird. Leider ist es aber so, dass man als Patient:in den/die Operateur:in oder die behandelnden Ärzt:innen in den allermeisten Fällen weder aktiv aussuchen kann, noch Zeit für ausführliche Fragen und Gespräche bleibt. Diese wären aber enorm wichtig, um Vertrauen aufzubauen. Ineffiziente Prozesse und fehlende Patientenzentriertheit führen dazu, dass genau das nicht klappt – ein echtes Defizit im System, denn die Patient: innen werden suboptimal begleitet.
Anders sieht es aus, wenn eine Patient Journey digital abgebildet und möglichst lückenlos gestaltet ist – so, wie wir es bei Qunomedical machen. Patient:innen werden dann schon ab der ersten Recherche virtuell geführt – also lange bevor sie überhaupt ein Krankenhaus betreten. Nicht nur durch eine vorselektierte Auswahl an Ärzt:innen und detaillierte Behandlungsinformationen, sondern an den entscheidenden Stellen durch geschulte Mitarbeiter:innen, die direkt und unkompliziert Fragen beantwortet können. Wir arbeiten nach dem Leitspruch „Patients first, nothing second“.
Die Kernidee von Qunomedical ist, dass Sie, um die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten, Behandlungen über die Landesgrenzen hinaus anbieten. Ist das nicht sehr opportunistisch?
Wir erweitern die Optionen für unsere Patient:innen, indem wir nicht nur Behandlungsoptionen im Inland, sondern auch im Ausland anbieten. Ein Prinzip, das in anderen Bereichen schon lange etabliert ist. Man kauft dort, wo es das beste Angebot gibt. Bei unseren Patient:innen ist es genauso, denn sie sollen sich dort behandeln lassen, wo für sie alle Parameter passen: Wartezeit, Kosten und Qualität. Wenn das in Deutschland nicht der Fall ist, dann eben in einem anderen Land. Gesundheitsversorgung sollten wir nicht mehr nur innerhalb des Korsetts denken, das uns das System vorgibt, sondern darüber hinaus auch andere Mittel und Wege in Betracht ziehen, um am Ende das einzig wichtige Ziel zu erreichen: gesunde und zufriedene Patient:innen.
Unser Gesundheitssystem ist also nicht in der Lage, alle Patient:innen adäquat zu versorgen?
Wir haben selbst unter den Kassen-Patient:innen eine Zwei-Klassen-Medizin, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Wir sind in Deutschland in einer sehr privilegierten Situation, denn die Grundversorgung ist sehr gut. Dennoch gibt es den Trend, dass zunehmend der eigene Geldbeutel darüber entscheidet, ob und wie Eingriffe durchgeführt werden oder nicht. Das darf in unserer wohlhabenden Gesellschaft nicht zur Regel werden.
Zwar gibt es immer mehr Start-ups, die die Gesundheitsversorgung in Deutschland digitaler und damit partizipativer machen. Doch wie sieht es mit den großen Organisationen und Institutionen im Gesundheitswesen aus, ist das Mammut-Projekt Digitalisierung mit diesen überhaupt zu schaffen?
Zu schaffen ist das Projekt Digitalisierung sicherlich, aber die Frage ist wie. Ich bin überzeugt, dass sich da das System der Gesundheitsversorgung nicht von innen heraus disruptieren oder im notwendigen Maß innovieren kann. Stattdessen glaube ich an die Impulse von außen, die das, was wir „schon immer so machen“, in Frage stellen und neu denken.
Eine entscheidende Rolle spreche ich den Start-ups zu, die mit ihren Ansätzen Nadelstiche setzen und die etablierten Unternehmen und Institutionen im Healthcare-Bereich in die richtige Richtung stoßen. Qunomedical ist zum Beispiel nicht nur eine eigenständige Plattform, sondern kann auch als White-Label-Lösung für Kliniken oder ähnliche Organisationen genutzt werden. Das ist sozusagen Digitalisierung im Huckepack-Modus. Doch die Transformation, die da vonstattengeht, ist nicht mit einer Kooperation getan – sie wird uns noch über viele Jahre begleiten.
Über das Start-up-Ökosystem in Deutschland wurde auch im Bundestagswahlkampf viel diskutiert. Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung in puncto Start-up-Förderung?
Ich hoffe sehr, dass sich die dann Verantwortlichen bewusst sind, welch großes Potenzial das Start-up-Ökosystem in sich trägt – und dass dieses noch lange nicht ausgeschöpft wird!
Beispielsweise beim Thema Diversität gibt es großen Nachholbedarf. Ein eigenes Start-up darf nicht schon daran scheitern, dass bestimmten Gruppen wie Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund die richtigen Kontakte und Beziehungen fehlen. Ich engagiere mich beispielsweise für die Initiative 2hearts, damit auch Menschen mit Migrationshintergrund, die unter den Gründer:innen deutlich unterrepräsentiert sind, ebenfalls die Chance bekommen, sich zu beweisen. Und der entscheidende Hebel ist, mehr Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen, zum Beispiel durch stärkere Incentivierungen an private und institutionelle Investor:innen. Wenn wir die institutionellen Rahmenbedingungen nicht endlich anpassen und Innovation nicht gezielt fördern, werden wir den guten Stand, den Deutschland hat, mehr und mehr verlieren.
Aber es hat sich doch gerade im vergangenen Jahr einiges getan. ePA, E-Rezept und die DiGAs sind nur einzelne Beispiele für Schritte in die richtige Richtung…
Sicherlich ist das gut und lobenswert und bei den DiGAs sind wir weltweit in einer Vorreiterrolle, aber das Tempo ist weiterhin einfach zu langsam. EPa und E-Rezept sind noch weit weg von einem flächendeckenden Einsatz. Wir stopfen damit Löcher, die schon lange sichtbar sind. Bis die Lösungen da sind, ist an anderer Stelle schon wieder die nächste Schwachstelle gebrochen. Auf diese Weise bleiben wir stets reaktiv und verpassen die Chance, bewusst nach vorne zu denken und die Zukunft nach unseren Vorstellungen zu prägen.
Wir brauchen schlicht ein quantitatives Mehr an Innovation, um neue Denkweisen zu etablieren. Ich bin Ärztin und habe gegründet – das ist ein ungewöhnlicher Weg. Aber ein Schritt, den ich mir noch von vielen anderen wünsche. Denn die fachliche, medizinische Expertise brauchen wir auch dann, wenn wir den Healthcare- Markt von morgen erschaffen wollen. Und das ist noch nicht alles: Wir brauchen mehr diverse Biografien, mehr Mut und die Bereitschaft, Dinge in Frage zu stellen, damit mir mit vereinten Kräften das Rad ins Rollen bringen. Denn am Ende muss es besser für die Patient:innen werden.
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