Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022
Modernisierung ist das Wort der Stunde. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP kommt der Begriff gleich 43 Mal vor, oft im Zusammenhang mit Digitalisierung und Dekarbonisierung. Das ist auch bitter nötig. Hier wurde über die letzten Jahre vieles verschlafen – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft selbst. Aber insbesondere die Industrie hat es verstanden: Abwarten wird zur realen Gefahr, gerade mit Blick auf die steigenden CO2 und Energiepreise. Auf der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow hat nicht die Politik, sondern haben vor allem Unternehmen gezeigt, dass sie klimapolitisch vorangehen wollen. HeidelbergCement, thyssenkrupp und Aurubis sind der „Race to Zero“- Kampagne beigetreten und haben sich damit zu signifikanten CO2 Einsparungen verpflichtet. Besonders für energieintensive Unternehmen und die Energiewirtschaft geht es jetzt darum, nachhaltige Produktion zur wirtschaftlichsten Produktionsweise zu machen.
Industrielle Prozesswärme verursacht mehr Emissionen als Autos und Flugzeuge zusammen
Dazu gehört eine Realität: Eine Energiewende ohne Wärmewende ist keine Klimawende. In den Debatten wird häufig ein signifikanter Klimasünder übergangen: die industrielle Prozesswärme. In Europa entfallen 25 Prozent der Endenergienutzung auf Industrieprozesse, 66 Prozent davon auf Prozesswärme. Etwa zwei Drittel der thermischen Energie wird dabei noch auf Basis fossiler Energien produziert. Die industrielle Prozesswärme verursacht etwa 20 Prozent aller europäischen Treibhausgas-Emissionen und damit ein Prozent mehr als alle Autos und Flugzeuge auf dem Kontinent zusammen. Als Hersteller und Projektentwickler von thermischen Speichern weiß ich: Verschiedene Hebel können wir heute schon umlegen. Dazu zählt zum Beispiel die Rückgewinnung von Überschusswärme und ihre Speicherung für die spätere Nutzung. Prozesswärme-Recycling verringert schnell die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen, spart Energiekosten und Emissionen.
Von der Papierfabrik bis zur mittelständischen Brauerei – für sehr viele Industrieunternehmen gibt es zur strombasierten Wärmeerzeugung künftig kaum eine Alternative. Biomasse aus unseren Wäldern ist endlich, Geothermie nur in kleinen Teilen Europas wirtschaftlich verfügbar und Wärmepumpen technisch oft ungeeignet. Wasserstoff ist absehbar viel zu kostbar, um ihn in Grundlast zu verbrennen.
Dass Speicher als Lösung unerlässlich sind, zeigt schon der Blick auf die Solarenergie: Die neue Bundesregierung will die Ausbauziele für Photovoltaik deutlich anheben – gemäß Koalitionsvertrag auf 200 Gigawatt (GW) im Jahr 2030. Der aggregierte Verbrauch dürfte in Deutschland zur Mittagsspitze nach Prognosen des Zukunfts-Agorameters (Agora Energiewende) weiterhin selten 100 GW überschreiten. Das würde bedeuten: An sonnigen Tagen drohen Überlastungen der Netze und Abregelungen – selbst unter Berücksichtigung des geplanten Ausbaus von Batteriespeichern und bei einer speicherlosen Flexibilisierung der Nachfrage.
Thermische Speicher sind eine zentrale Säule einer bezahlbaren Energiewende
Thermische Speicher setzen genau hier an: Sie können den Überschussstrom der Mittagszeit über weite Teile des Jahres in Form von Wärme speichern und ihn Industriekunden 24 Stunden am Tag für Produktionsprozesse zur Verfügung stellen. Die Gaskessel und zukünftig Wasserstoff- und Biomassekessel bleiben lediglich für Tage ohne Wind und Sonne als Reserve. Die Kosten für die Speicherung von Wärme liegen dabei bei einem Bruchteil der Kosten bei direkter Stromspeicherung in Batterien. Perspektivisch können thermische Speicher somit die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Energiewende senken.
Schon heute können thermische Speicher zu mehr Energieeffizienz, zur Elektrifizierung der Wärmeversorgung und zur Rückgewinnung von Prozesswärme eingesetzt werden und damit zu einem aktiven Carbon Leakage-Schutz der europäischen Industrie beitragen. Für viele Anwendungsfelder braucht es dafür auch keine neuen politischen Maßnahmen oder besondere Förderungen mehr. Anders ausgedrückt: Thermische Speicher sind nachhaltig und wirtschaftlich zugleich, schnell implementiert und skalierbar. Auf der Modernisierungsagenda sind sie deshalb ein unentbehrlicher Schlüssel auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Christian Thiel, CEO von EnergyNest