Die klassische Marktlogik geht davon aus, dass fallende Preise bei neuen Technologien sofort zu höheren Absatzmengen und breiterer Marktadoption führen. Bei der Solarenergie war dies jedoch über viele Jahre nicht der Fall: Trotz deutlicher Preisrückgänge in den 1990er-Jahren blieb der globale Ausbau auf niedrigem Niveau und stagnierte rund 15 Jahre, bevor die erwartete Skalierung eintrat. Daraus ergibt sich die zentrale Frage: Welche Faktoren begründeten diese langanhaltende Stagnation, und welche Implikationen ergeben sich für künftige Technologieadoptionen und Investitionsentscheidungen?
Warum die Solarbranche ins Stocken geriet
Solarenergie existiert seit dem 19. Jahrhundert, erste Solarmodule wurden vermutlich bereits 1883 entwickelt, Patente reichen bis in die 1860er Jahre zurück. Wirtschaftlich relevant wurde die Technologie jedoch erst spät: Hohe Produktionskosten und geringe Energieeffizienz machten frühe Solarmodule aus Investitions- und Rentabilitätsperspektive unattraktiv.
Über fast ein Jahrhundert blieb Solarenergie im Energiemarkt eine Nischenlösung: technologisch vielversprechend, wirtschaftlich jedoch unattraktiv – abgesehen von spezialisierten Anwendungen wie der Raumfahrt. In den 1970er-Jahren lagen die Stromgestehungskosten von Solar bei rund 128 US-Dollar/Watt, während konventioneller Strom unter 0,22 US-Dollar/kWh lag – eine Marktakzeptanz war damit ausgeschlossen. Trotz deutlicher Kostenreduktionen von 91 % bis 1990 auf kompetitive 11,72 US-Dollar/Watt blieb die Marktdurchdringung gering; erst 15 Jahre später nahm der Solarausbau spürbar Fahrt auf.
Dies wirft die zentrale Frage auf, welche Faktoren diese langanhaltende Phase minimaler Marktaktivität verursachten.

Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst der Kostenaspekt betrachtet werden.
Für den breiten Marktdurchbruch war 1990 trotz signifikanter Preisreduktionen der Kostenfaktor entscheidend: Solarstrom blieb mit drei- bis fünffach höheren Stromgestehungskosten als konventioneller Großhandelstrom ökonomisch unattraktiv. Zwar sanken Modulpreise deutlich, doch die Gesamtsystemkosten inklusive Installation, Genehmigungen und Balance-of-System hielten die durchschnittliche Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Energy, LCOE) auf hohem Niveau. Erst wenn die vollständige Kostenstruktur einer Wertschöpfungskette wirtschaftlich konkurrenzfähig ist, erreichen innovative Technologien breite Marktakzeptanz. Kosten erklären jedoch nur einen Teil der Stagnation – zusätzlich spielte die Systemreife eine zentrale Rolle.
Technologiereife vs. Systemreife
In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren verbesserten sich Solarmodule technologisch stetig, die breite Marktadoption blieb jedoch begrenzt – nicht wegen der Technologie selbst, sondern aufgrund unzureichender Systemreife. Während Technology Readiness Levels (TRLs) die technische Funktionsfähigkeit und theoretische Kosteneffizienz messen, erfassen sie die tatsächlichen Marktbedingungen nur unzureichend. Systemreife umfasst dagegen das gesamte Ökosystem: Finanzierung, Regulierung, Lieferketten, Installation, Netzintegration und Kundenzugang.
Selbst kostengünstige Module werden nur dann massenhaft abgenommen, wenn das Gesamtsystem reibungslos funktioniert und der wirtschaftliche Vorteil den zusätzlichen Aufwand rechtfertigt. Konsumenten und Investoren bevorzugen Lösungen, die unkompliziert, zuverlässig und wirtschaftlich tragfähig sind; technologische Exzellenz allein reicht nicht aus.
Was ist Systemreife?
Während der technologische Reifegrad (Technology Readiness Level, TRL) ausschließlich die technische Reife einzelner Technologien quantifiziert, befasst sich Systemreife
mit der die wirtschaftlichen und marktseitigen Umsetzbarkeit. Systemreife beschreibt dabei das Zusammenspiel von Regulierung, Finanzierung, Fertigungskapazitäten, Installations- und Vertriebsinfrastruktur sowie Kundenakzeptanz – alle entscheidenden Faktoren für eine breite Marktadoption. In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren wies die Solarenergie in all diesen Dimensionen strukturelle Defizite auf:
- Regulierung und Netzintegration: Netzvorschriften, Anschlussregeln und Standards für Wechselrichter fehlten. Die Integration von volatiler Solarenergie in bestehende Energiesysteme war praktisch nicht möglich, wodurch selbst kostengünstige Module faktisch wertlos blieben.
- Finanzierung: Hohe Investitionskosten verhinderten private und gewerbliche Anschaffungen, da Förderprogramme, Leasingmodelle und langfristige Stromabnahmeverträge weitgehend fehlten.
- Politik und Nachfrage: Einspeisetarife, steuerliche Anreize und verbindliche Quoten traten erst ab 2004/2005 in Kraft. Ohne politische Unterstützung existierte kein garantierter Abnehmer, was Investitionen riskant machte.
- Fertigung und Lieferketten: Vor Chinas Eintritt nach 2000 waren Produktionskapazitäten klein, fragmentiert und teuer, sodass Skaleneffekte und Kostensenkungen begrenzt blieben.
- Installations- und Vertriebsnetzwerke: Qualifiziertes Personal war rar, Installationskosten hoch, wodurch selbst technisch ausgereifte Lösungen schwer marktfähig waren.
- Kundenbewusstsein: Klimawandel und Energiesicherheit waren noch nicht im Mainstream, Kaufanreize fehlten; Verbraucher bevorzugten bewährte, unkomplizierte Lösungen.
Was bedeutet das? Eine Kostenparität allein reicht nicht aus. Eine breite Marktadoption erfordert drei Bedingungen: 1) wirtschaftlich wettbewerbsfähige Technologie, 2) ein funktionierendes System, das die Technologie aufnehmen kann, und 3) ausreichende Nachfrage seitens der Kunden. In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren war nur die erste Bedingung erfüllt; erst um 2010 waren endlich alle Faktoren vorhanden, was die exponentielle Marktdynamik und weitere Kostensenkungen ermöglichte.
Die Kernbotschaft: Kostenparität allein reicht nicht aus
Das Beispiel macht deutlich: Solarmodule erreichten zwar relativ schnell Kostenparität, doch ohne ein ausgereiftes System – bestehend aus Politik, Finanzierung, Fertigungskapazitäten, Installationsnetzwerken und Netzintegration – konnte die Technologie nicht breit adoptiert werden. Erst als diese Faktoren kombiniert wirkten, verschob sich der Markt von kostengetriebenen Verbesserungen hin zu nachfragegetriebener, exponentieller Adoption, was die heutigen Kostensenkungen und Marktdurchdringungen ermöglichte.
Eine breite Marktadoption setzt drei Bedingungen voraus:
- Wirtschaftlich wettbewerbsfähige Technologie
- Systemische Aufnahmefähigkeit
- Kundenanreiz und Marktzugang
In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren war nur die erste Bedingung erfüllt; erst um 2010 waren alle drei Faktoren gegeben. Erst als das Gesamtsystem bereit war – dank einer Kombination aus politischem Druck, Finanzierungsinstrumenten, chinesischer Fertigungskapazität, qualifizierten Installateuren, Netzvorschriften und weiteren Faktoren – verschob sich die Kurve von kostengetriebenen Verbesserungen hin zu nachfragegetriebener, exponentieller Adoption. Die Marktdurchdringung beschleunigte sich dramatisch, was zu den schnellen Fortschritten und weiteren Kostenreduktionen führte, die wir heute beobachten.
Das bedeutet: Kostenparität ist zwar notwendig, aber allein nicht ausreichend. Märkte bilden sich nur unter drei Bedingungen:
1) Die Technologie muss kostengünstig genug sein.
2) Das System muss in der Lage sein, die Technologie aufzunehmen.
3) Kunden müssen sowohl die Möglichkeit als auch einen Anreiz haben, sie zu kaufen.
Fehlt auch nur eine dieser Bedingungen, kommt es nicht zur breiten Adoption. In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren war nur eine Bedingung erfüllt: Die Technologie war günstig, doch die fehlenden Punkte zwei und drei bremsten die Marktdurchdringung. Um 2010 waren schließlich alle drei Bedingungen erfüllt.
Genau aus diesem Grund nutzt das amerikanische Department of Energy (DOE) das Konzept der Adoption Readiness Levels (ARLs), ein Instrument zur Ergänzung der TRLs zur Bewertung neuer Technologien. Während TRLs weiterhin ausschließlich die technologische Reife betrachten, adressieren ARLs all die Hindernisse, die eine neue Technologie zwar spannend, aber wirtschaftlich zunächst nicht tragfähig machen. Das Tool bewertet 17 verschiedene Dimensionen, die sich grob in vier Kategorien einordnen lassen:
- Value Proposition – ob eine Technologie die gewünschte Funktionalität zu Kosten liefert, die Kunden bereit sind zu zahlen.
- Market Acceptance – ob eine Technologie im bestehenden Marktumfeld bestehen kann, unter Berücksichtigung aller Marktteilnehmer.
- Resource Maturity – ob die erforderlichen Inputs für die Technologieproduktion (z. B. Lieferketten) für eine Skalierung ausgereift sind.
- License to Operate – ob das regulatorische Umfeld die Technologie zulässt oder Blockaden bestehen.
Damit eine neue Technologie wirklich durchstartet, muss sie sowohl einen hohen TRL als auch einen hohen ARL erreichen. Der Solarenergie fehlte genau dieser ARL Reifegrad lange – und es dauerte rund 15 Jahre, bis die Technologie schließlich breit durchstartete.