Störungen der Lieferkette treffen auch die Halbleiterindustrie

Dr. Sven Schneider, Finanzvorstand – Infineon Technologie

Kurzinterview mit Dr. Sven Schneider, CFO Infineon Technologies

Digitalisierung und Dekarbonisierung treiben die Nachfrage nach Halbleitern. Infineon-Finanzchef Schneider plant mit einem durchschnittlichen Umsatzwachstum von mindestens neun Prozent.  Vor allem Engpässe bei Auftragsfertigern werden aber noch länger die Produktion behindern.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind die globalen Lieferketten gestört, Rohstoffpreise und Logistikkosten steigen stark an. Jetzt kommt noch der Ukraine-Krieg mit Sanktionen und Energieengpässen hinzu. Über den Chipmangel Ihrer Kunden hört man viel. Inwieweit ist denn Infineon selbst von Engpässen der eigenen Auftragsfertiger oder Lieferanten betroffen?

Störungen in den weltweiten Lieferketten sowie knappe Kapazitäten bei den Auftragsfertigern betreffen natürlich auch die Halbleiterindustrie. Die Nachfrage nach unseren Produkten und Lösungen übersteigt das Angebot nach wie vor bei weitem. Bei den Produkten, die wir selber fertigen, werden wir eher eine Entspannung sehen als bei denen, die wir von Auftragsfertigern beziehen. In Teilen können Engpässe deswegen bis ins kommende Jahr hinein bestehen bleiben. Zum Ukraine-Krieg:  Wir sind bestürzt und hoffen, dass die Gewalt und das Leid in der Ukraine enden. Infineon steht hinter den international beschlossenen Sanktionen. Unmittelbar nach Beginn der Invasion haben wir alle Lieferungen nach Russland, Belarus und in die von Russland unterstützten Regionen in der Ukraine eingestellt. Materielle negative Auswirkungen auf unsere Fertigungskapazitäten, beispielsweise wegen ausfallender Rohstofflieferungen, erwarten wir derzeit nicht, allerdings spüren wir zum Teil deutliche Kostenerhöhungen. Die Situation ist jedoch durchaus dynamisch. Wir verfolgen soweit möglich, einen Multi-Sourcing-Ansatz bei Lieferanten und haben uns, wo nötig, Lagerbestände aufgebaut.

Die Prognosen für den internationalen Halbleiterbedarf, beispielsweise von McKinsey, sehen die Nachfrage nach Halbleitern in den kommenden Jahren stark wachsen, besonders von der Autoindustrie. Wie reagiert Infineon darauf?

Infineon plant mit einem Umsatzwachstum von durchschnittlich mindestens neun Prozent pro Jahr. Getrieben wird diese Entwicklung maßgeblich von den Trends Dekarbonisierung und Digitalisierung. Wir investieren deswegen kontinuierlich in die eigenen Fertigungskapazitäten. Im vergangenen Jahr eröffneten wir eine moderne 300-Millimeter-Fertigung in Villach, Österreich, in die wir 1,6 Milliarden Euro investieren. In diesem Jahr haben wir Investitionen im Umfang von mehr als zwei Milliarden Euro in den Bau eines neuen Werks in Kulim, Malaysia, angekündigt – hier geht es schwerpunktmäßig um sogenannte Wide-Band-Gap-Technologien – sowie uns im indonesischen Batam verstärkt. Im ungarischen Cegléd fahren wir die Produktion in einem neuen Werk hoch, das sich auf Lösungen für die E-Mobilität konzentriert. Für die nächsten Jahre sind wir dabei, mit verschiedenen unserer Fertigungspartner im Frontend- und Backendbereich zusätzliche Kapazitäten zu vereinbaren. Das erlaubt es uns, mittelfristig den Fremdfertigungsanteil zu erhöhen.

Die EU will mit dem Chips Act die Halbleiterproduktion in Europa mit mehr als 30 Milliarden Euro fördern. Viele internationale Konzerne wie Intel oder TSMC haben auch schon den Bau von Chipfabriken angekündigt. Wie verändert das Ihre Wettbewerbsposition?

Der European Chips Act ist ein wichtiger Schritt, um in Europa ein Halbleiterökosystem auf international wettbewerbsfähigem Niveau zu etablieren und einseitige Abhängigkeiten abzubauen. Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative von Kommissar Breton und die umfassende Herangehensweise. Wir haben immer betont, dass nicht allein die Produktion in Europa ausschlaggebend ist. Chipdesign, Software und nicht zuletzt Anwendungen und der Ausbau der europäischen Abnehmermärkte sind ebenso wichtig, um die Nachhaltigkeit von Investitionen zu gewährleisten. Wenn Auftragsfertiger in Europa neue Kapazitäten aufbauen, dann stärkt dies das europäische Halbleiter-Ökosystem und hilft der Industrie. Wichtig ist, dass die Auftragsfertiger die Produkte fertigen, die unsere Industrie benötigen, also primär für Anwendungen in den Bereichen Automotive und Industrie.

Inwieweit beeinflusst der EU Chips Act Ihre Investitionspläne? Wollen Sie ihre Standorte in Dresden und Villach stärker ausbauen oder einen neuen Standort in Europa?

Wir prüfen regelmäßig Kapazitätserweiterungen. Aus Gründen der Skaleneffekte ist es sinnvoll, neue Module an unseren bestehenden großen Standorten zu errichten. Unsere Expansionsstandorte sind Dresden, Villach und Kulim. Wir investieren aber auch unabhängig davon aktuell schon massiv in die Fertigung in Europa. Unsere Gesamtinvestitionen haben wir in diesem Jahr um 50 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro gesteigert. Zwei Drittel der für die Fertigung vorgesehen Investitionen verbleiben dabei in Europa.

Wegen der Lieferkettenstörungen stecken viele Produkte, auch Halbleiter, in Containern weltweit fest. Irgendwann dürfte sich alles wieder normalisieren und auflösen. Droht dann nach Ihrer Einschätzung eine weltweite Überproduktion?

Wir befinden uns derzeit in einer außerordentlichen Situation, die sich über die Zeit, da haben Sie recht, entspannen sollte. Doch die strukturellen Wachstumstreiber Dekarbonisierung und Digitalisierung sind intakt und haben sich teilweise in den vergangenen Jahren deutlich beschleunigt. Das führt auch mittelfristig zu einer erheblichen zusätzlichen Halbleiternachfrage. Die Kapazitäten, die wir heute aufbauen, werden wir auch morgen und übermorgen benötigen.

Die Fragen stellte Sabine Haupt