„Stahlproduzenten können nur so gut sein wie die Lösungen, die wir entwickeln“

Interview mit Burkhard Dahmen, CEO der SMS group

Die Metallindustrie steht vor einem historischen Wandel. Heute trägt die Produktion von Stahl, Aluminium und Kupfer mit insgesamt rund 10 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei. Aber im Gegensatz zu anderen Bereichen ist die Metallindustrie in einer guten Position, da die Technologien für eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen schon heute bereitstehen. Im Interview spricht Burkhard Dahmen, CEO des Anlagenbauers und Technologieunternehmen SMS group, über die Herausforderung #turningmetalsgreen und erklärt, warum Dekarbonisierung und Circular Economy eine wichtige Rolle spielen.

Herr Dahmen, wie schnell kann die Stahlindustrie ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten?

Burkhard Dahmen: Die Lösungen zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie stehen bereit. Mit H2 Green Steel wird in Schweden aktuell das erste klimaneutrale Stahlwerk der Welt gebaut, für das die SMS group die gesamte Anlagentechnik von der Eisenerzeugung bis zu den fertigen Produkten liefert. Die Direktreduktionsanlage wird die erste kommerzielle Anlage der Welt sein, die zu 100 Prozent mit Wasserstoff betrieben wird. Und da entlang der gesamten Prozesskette fast vollständig auf fossile Brennstoffe wie Kohle oder Erdgas verzichtet wird, wird H2 Green Steel die CO₂-Emissionen im Vergleich zu konventionellen Stahlwerken um bis zu 95 Prozent reduzieren. Dieses Projekt zeigt die klimaneutrale Zukunft der Stahlerzeugung und wir beweisen, dass dies im industriellen Maßstab möglich ist – schon Mitte dieses Jahrzehnts.

Sind solche Greenfield-Projekte aktuell nicht eher die Ausnahme?

Burkhard Dahmen: Das ist richtig. Die meisten Stahlunternehmen beginnen damit, ihre bestehenden Anlagen zu modernisieren. Unsere Technologien bieten aber auch hier die Möglichkeit zu „Quick Wins“ in großem Maßstab. Wir können hauptsächlich durch das Einblasen von Wasserstoff oder heißen Synthesegasen den Kohlenstoff-Fußabdruck eines bestehenden Hochofens um etwa 30 Prozent reduzieren. Unsere Metallurgen in Luxemburg arbeiten derzeit an einem neuen Ofen mit einem CO2-Einsparpotenzial von bis zu 70 Prozent. In Kombination mit Carbon Capture erreichen wir damit Klimaneutralität.

Welche Rolle kann Ihr Unternehmen bei der Herausforderung einer nachhaltigen Metallindustrie einnehmen?

Burkhard Dahmen: Unsere Mission lautet #turningmetalsgreen. Wir übernehmen beim Umbau der Metallindustrien eine führende Rolle und sind dafür einzigartig aufgestellt. Wir entwickeln Lösungen, die zum Beispiel Stahlhersteller brauchen, um ihre Arbeit gut zu machen – das heißt Metalle zu produzieren, die die Gesellschaft braucht, aber mit minimaler Umweltbelastung. Die Stahlproduzenten können nur so gut sein wie die Lösungen, die wir für sie entwickeln – und dabei zählen sie auf uns. Das bedeutet, dass wir hier eine große Verantwortung tragen. Wir liefern dabei klimaneutrale Prozesse aus einer Hand. Das geschieht in zwei Bereichen: Die Dekarbonisierung der Metallproduktion basiert langfristig auf grünem Strom und grünem Wasserstoff. Und wir sind ein wichtiger Player im Bereich der Circular Economy. Das heißt, wir entwickeln und optimieren Technologien, um wertvolle Metalle wieder in den Kreislauf zu bringen.

Das Recycling von Metallen ist nichts Neues. Worin besteht hier der Fortschritt?

Burkhard Dahmen: Jeder weiß, dass Metalle perfekt für eine Kreislaufwirtschaft geeignet sind. Nehmen wir das Beispiel Aluminium: Recycling senkt die CO2-Emissionen im Vergleich zur Primärproduktion um mehr als 90 Prozent. Unser Ziel ist es, Recyclingquoten bis an die Grenzen des technologisch Machbaren zu verschieben – bei Stahl, Aluminium, aber vor allem bei Kupfer und allen anderen Nichteisenmetallen, die bei den Schlüsseltechnologien der Zukunft eine große Rolle spielen. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Vorteil. Recycling trägt wesentlich zur Schonung der Ressourcen der Erde bei und macht gerade rohstoffarme Länder unabhängiger von Lieferketten. Darüber hinaus setzen wir unser metallurgisches Know-how auch dafür ein, weitere Metalle in den Kreislauf zurückzubringen. Ein wichtiger Bereich, in dem wir das tun, sind Batterien. Deshalb haben wir das Joint Venture Primobius gegründet, um Recyclingtechnologien zur Rückgewinnung von Lithium, Nickel, Kobalt und anderen Metallen aus der Unterhaltungselektronik sowie Lithium-Ionen-Batterien aus Elektrofahrzeugen zu vermarkten. Damit legen wir den Grundstein für hochreine Rohstoffe als Ausgangspunkt für neue Hightech-Produkte.

Wie bewerten Sie grundsätzlich die Aussichten für den Anlagenbau?

Burkhard Dahmen: Der Umbau der Metallindustrien ist ein Generationenprojekt und bedeutet viel Arbeit für den Anlagenbau. Eine einfache Rechnung macht das deutlich: Um die internationalen Klimaziele bis 2050 zu erreichen, müssen jedes Jahr rund 35 Millionen Tonnen Rohstahlkapazität „grün“ werden. Das entspricht etwa neun integrierten Stahlwerken, die jedes Jahr durch moderne Anlagen ersetzt werden müssen. Dafür braucht es die notwenigen Ressourcen und Kapazitäten. Und es braucht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich bin davon überzeugt, dass der Anlagenbau der richtige Ort ist für Menschen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen. Zudem ist es in tolle Mission, Metalle grün zu machen, um das Klima zu retten.