Sorgfaltspflichten von Industrie und Handel bei der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben – Bundesregierung treibt Lieferkettengesetz voran

Stand: 19. März 2021

Das Bundeskabinett hat am 3. März 2021 den Entwurf des „Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ beschlossen. Das sogenannte Sorgfaltspflichtengesetz soll die Einhaltung von Menschenrechten durch Unternehmen stärken. Auch bestimmte Umweltverpflichtungen sollen Teil des Risikomanagements in der Lieferkette werden. Angedacht ist eine Verabschiedung durch den Bundestag bis zum 25. Juni 2021, dem letzten Sitzungstag der lau-fenden Legislaturperiode.

Durch dieses Gesetz sollen in Deutschland ansässige große Unternehmen ab 2023 weltweit und auch im Inland zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben bei ihren eigenen Tätigkeiten und in ihren Lieferketten verpflichtet werden. Beginnend mit der Gewinnung der Rohstoffe und endend mit der Abgabe des Produktes an den Endkunden sollen damit alle Schritte, die zur Herstellung eines Produktes oder zu der Erbringung einer Dienstleistung, die für die Produktherstellung notwendig sind, erfasst werden. Unternehmen sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung künftig prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen. Der Entwurf sieht erhebliche Bußgeldandrohungen von bis zu 800.000 EUR, bei großen Unternehmen sogar in Höhe von bis zu zwei Prozent des weltweit jährlichen Konzernumsatzes, vor.

I. Ziel des Gesetzes
Das Sorgfaltspflichtengesetz soll dazu dienen, die internationale Menschenrechtslage durch eine verantwortungsvolle Gestaltung der Lieferketten in Deutschland ansässiger Unternehmen zu verbessern. Im Jahr 2011 wurden durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN-Leitprinzipien) erstmals ein globaler Verhaltensstandard für Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte in Lieferketten geschaffen. Diese Leitprinzipien setzte die Bundesregierung mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (Nationaler Aktionsplan) in Deutschland um. Durch den Erlass eines Sorgfaltspflichtengesetzes soll nun ein rechtlich verbindlicher Rahmen geschaffen werden.

II. Betroffene Unternehmen
Das Gesetz soll ab dem 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern in Kraft treten. Ab dem 1. Januar 2024 soll der Schwellenwert reduziert und der Anwendungsbereich auf Unternehmen mit 1.000 Arbeitnehmern erweitert werden. Leiharbeitnehmer sind bei der Mitarbeiterzahl zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. Zudem sind die Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Konzernmutter zu berücksichtigen.

III. Die Sorgfaltspflichten
Das Gesetz soll die Unternehmen dazu verpflichten, sich angemessen zu bemühen, im eigenen Geschäftsbereich und in der Lieferkette Verletzungen von Menschenrechten weitestgehend auszuschließen. Begründet wird insofern eine Bemühenspflicht, nicht aber eine Erfolgspflicht. Damit werden die Unternehmen nicht dazu verpflichtet, Menschenrechtsverstöße in jedem Fall zu verhindern. Sie müssen aber nachweisen, alles dafür getan zu haben, menschenrechtsbezogene Risiken in der Lieferkette zu erkennen und Verletzungen zu vermeiden bzw. abzustellen. Das geforderte Risikomanagement richtet sich nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und erfordert angemessene Präventations- und Abhilfemaßnahmen. Welche Maßnahmen im Hinblick auf das einzelne Unternehmen angemessen und zumutbar sind, bestimmt sich insbesondere nach der Art der Geschäftstätigkeit, der Wahrscheinlichkeit mit der sich Risiken ergeben können und der Schwere eines möglichen Schadens. Relevant sind auch die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten eines Unternehmens innerhalb einer Lieferkette.

Die Sorgfaltspflichten der Unternehmen erstrecken sich auf die gesamte Lieferkette im In- und Ausland. Neben dem Handeln im eigenen Geschäftsbereich soll dazu auch das Handeln der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer gehören. Das bedeutet, dass neben der Inanspruchnahme von Dienstleistungen (Finanzen, Rechtsberatung, Kauf eines Fachbuches) auch der Transport oder Zwischenlagerung von Waren umfasst wird.

Die Legaldefinition des Begriffs der Menschenrechte in dem Gesetzesentwurf stellt auf diverse Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und Menschenrechtspakete der United Nations ab. Erfasst werden neben dem Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit auch die Missachtung der Arbeitsschutzpflichten (etwa Arbeitszeitbegrenzungen) und der Koalitionsfreiheit, der Diskriminierung auch aus sozialen Gründen und der Vorenthaltung eines angemessenen Lohns. Relevant ist aber auch die Beeinträchtigung von Umweltbelange, wenn diese eine Eignung zur Gesundheitsschädigung hat. Unklar bleiben hier die konkret beachtlichen Maßstäbe.

Vorgesehen sind folgende Sorgfaltspflichten:

1. Risikomanagement und Risikoanalyse
Unternehmen sollen in einem ersten Schritt ein angemessenes Risikomanagement zur Abwendung potentiell negativer Auswirkungen auf die Menschenrechte einführen bzw. anpassen. Konkret bedeutet das, dass ermittelt und bewertet werden muss, ob innerhalb der eigenen geschäftlichen Handlungen oder jenen in der Lieferkette das Risiko besteht, Menschenrechte zu verletzen. Eine Risikoanalyse bei mittelbaren Zulieferern müssen Unternehmen nur dann vornehmen, wenn sie Kenntnis über eine mögliche Verletzung haben.

2. Grundsatzerklärung
Haben die Unternehmen ein Risiko festgestellt, müssen sie eine sogenannte Grundsatzerklärung über ihre Menschenrechtsstrategie verabschieden. Als Mindestanforderungen an den Inhalt der Erklärung sieht der Gesetzesentwurf die Beschreibung des Verfahrens zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, die für das Unternehmen festgestellten prioritären menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken sowie die Festlegung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Erwartungen an die Beschäftigten und Zulieferer (Code of Conduct) vor.

3. Präventions- und Abhilfemaßnahmen
Basierend auf der Risikoanalyse müssen die Unternehmen, die ein entsprechendes Risiko festgestellt haben, Präventions- und Abhilfemaßnahmen treffen, um Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren. Wurde die Menschenrechtsverletzung bei einem unmittelbaren Zulieferer festgestellt, muss ein Konzept entwickelt werden, um die negativen Auswirkungen zu minimieren. Vorgesehen ist auch, dass Unternehmen mit ihren Zulieferern in einem individuellen Korrekturmaßnahmen-Plan eine gemeinsame Lösung erstellen. Sollte der Zulieferer die darin erarbeiteten Anforderungen nicht erfüllen, wird als Ultima Ratio der Abbruch der Geschäftsbeziehungen erwartet.

4. Beschwerdeverfahren
Der Gesetzesentwurf sieht die verbindliche Einführung eines Beschwerdeverfahrens vor. Dieses soll nicht nur für (potentiell) Betroffene zugänglich sein, sondern auch für Personen, die Kenntnis von einer möglichen Verletzung haben. Die Unternehmen können entweder ein eigenes Beschwerdeverfahren einführen oder sich an einem externen beteiligen. In diesem Fall haben die Unternehmen schriftlich eine Verfahrensordnung festzulegen sowie Zugang und Nutzung des Verfahrens sicherzustellen. Ferner sind die für ein solches Verfahren notwendige Vertraulichkeit der Identität und der Datenschutz zu wahren. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Nutzung entsprechender Mechanismen der Branchenverbände hingewiesen.

5. Dokumentations- und Berichtspflichten
Die Einhaltung der Sorgfaltsplichten ist unternehmensintern zu dokumentieren. Daneben haben die Unternehmen jährlich einen Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu erstellen. Es ist für einen Zeitraum von ebenfalls sieben Jahren kostenfrei auf der Internetseite öffentlich zugänglich zu machen. Zudem ist der Bericht bei der zuständigen Behörde einzureichen. Denn der Bericht dient als Grundlage der behördlichen Kontrolle.

IV. Kontrolle und Durchsetzung der Sorgfaltspflichten
Der Gesetzesentwurf sieht weitreichende Kontroll- und Eingriffsbefugnisse des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als zuständiger Behörde vor. Diese kann entweder aufgrund eines Antrags einer betroffenen Person oder von Amts wegen tätig werden. Die Behörde soll neben Informations- und Betretungsrechten auch mit Anordnungsbefugnissen (u.a. Ladung von Personen, Auferlegung konkreter Handlungsverpflichtungen) ausgestattet werden, um Verstöße zu beseitigen oder zu verhindern.

V. Sanktionen bei Missachtung der Sorgfaltspflichten
Bei Missachtung der Sorgfaltspflichten sieht der Gesetzesentwurf – je nach Schwere der Ordnungswidrigkeit – Geldbußen von bis zu 800.000 EUR vor. Bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen EUR wäre sogar eine Geldbuße von bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes möglich. Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes soll der weltweite Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre zugrunde gelegt werden. Zudem sollen Unternehmen, gegen die bereits eine Geldbuße verhängt worden ist, für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

VI. Privatrechtliche Durchsetzung
Eine zivilrechtliche Inanspruchnahme deutscher Unternehmen ist in dem Gesetzesentwurf zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, könnte jedoch nach den allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts möglich sein. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird insofern klargestellt, dass der Schutz des Gesetzes „sowohl im öffentlichen Interesse als auch im individuellen Interesse der unmittelbar Betroffenen“ erfolgen soll. Dies deutet darauf hin, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen könnte. Gegebenenfalls kann auch ausländisches Deliktsrecht Anwendung finden.

Zukünftig soll es jedenfalls möglich sein, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften private Geschädigte im Wege der besonderen Prozessstandschaft vor deutschen Gerichten vertreten können. Voraussetzung hierfür ist die Verletzung von Menschenrechten sowie die (auch konkludente) Zustimmung des Betroffenen.

VII. Ausblick
Unklar ist, ob und mit welchen konkreten Anforderungen das Gesetz letztendlich verabschiedet wird. Dennoch sollten sich die betroffenen Unternehmen schon jetzt mit den neuen Sorgfaltspflichten beschäftigen und insbesondere die Situation sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch bei den Zulieferern beleuchten. Die Inpflichtnahme von Unternehmen zur Vermeidung und Abstellung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltbeeinträchtigungen gewinnt immer mehr an Bedeutung. So hat jetzt auch das Europäische Parlament mit einem Beschluss die Kommission aufgefordert, noch 2021 einen vom Parlament bereits ausformulierten Legislativvorschlag für eine EU-Richtlinie in diesem Bereich zu unterbreiten. Die beabsichtigten Regelungen sollen branchenübergreifend alle großen Unternehmen ab 250 Mitarbeiter und auch börsennotierte KMU betreffen.

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