Slobalization

Wie Unternehmen dem Paradigmenwechsel im Welthandel begegnen

Die Globalisierung der Weltwirtschaft hat in den vergangenen Dekaden entscheidende Impulse für eine beeindruckende Erfolgsgeschichte gesetzt. So haben sich die weltweiten Exporte im Warenhandel in den vergangenen 40 Jahren verfünffacht und sind damit doppelt so schnell gewachsen wie die Warenproduktion. Die zunehmende Verflechtung der Volkswirtschaften zeigt sich auch daran, dass sich die Handelsströme zwischen der Triade in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt haben.

Mit diesem Wachstum einher gingen Wohlstandsgewinne für Volkswirtschaften und zwar unabhängig von deren Handelsbilanzsaldo oder Entwicklungsstand. Die Armutsquote ist global in den letzten 40 Jahren von rund 43% auf 9% gesunken – der Löwenanteil davon in China – während die Bevölkerung weltweit um mehr als 40% gewachsen ist. Und nicht zuletzt konnten natürlich auch Unternehmen massiv profitieren. So ist der Wert aller börsennotierten Gesellschaften weltweit in den letzten 40 Jahren um den Faktor 33 gestiegen.

Obwohl klare und überzeugende Fakten für Globalisierung und internationalen Wettbewerb sprechen, erleben wir zunehmend negative Werturteile und gegenläufige Entwicklungen. Uns allen wurde gerade in den letzten Jahren immer bewusster, dass ein funktionierender Welthandel, globale Lieferketten und Absatzmärkte keine Selbstverständlichkeit sind.

Insbesondere global operierende Unternehmen sind zumeist nicht auf eine sich stärker deglobalisierende Welt vorbereitet.

Der Welthandel wird fragiler
Damit sind nicht nur zum Teil tiefgreifende Störungen durch Krisen, Unfälle oder  Naturkatastrophen gemeint, wie aktuell beispielsweise die Halbleiterkrise oder die Corona Pandemie. Wir sind gleichzeitig mit tiefgreifenden Veränderungen der Weltwirtschaft konfrontiert. Nachhaltigkeit und Klimaschutz als wesentliche Treiber für die Transformation vieler Industrien erfordern hohe Investitionen in Forschung, Entwicklung und bei der technischen Umsetzung. Die zunehmende Digitalisierung ist hierbei zugleich Herausforderung und Enabler.

Zudem erschweren protektionistische Entwicklungen zunehmend den internationalen Warenverkehr. Dazu kommen politische Konflikte, etwa in Osteuropa oder rund um China im Zusammenhang mit Hongkong, Taiwan, oder im Südchinesischen Meer. Die Auseinandersetzung zwischen China und den Vereinigten Staaten um Märkte, Standards und Einflusszonen nimmt zu.

Der Welthandel wird aufgrund dieser Einflussgrößen immer fragiler. Nach einer Analyse der WTO unterlagen 2019 weltweit Einfuhren im Wert von 1,7 Billionen Dollar Importhürden; das entspricht einem Anteil von 8,7 Prozent. Zum Vergleich: Zehn Jahre früher lag die Quote noch bei homöopathischen 0,6 Prozent. Daneben haben wir es mit zunehmenden Boykottaufrufen, Supplier Black Lists, Beschränkungen der Reisefreiheit und Verstößen gegen freie Meinungsäußerung im Netz sowie Verletzungen geistigen Eigentums zu tun.

Wie reagieren die Unternehmen?
Die Skepsis gegenüber Globalisierung nimmt dementsprechend trotz ihrer vielen unbestrittenen und messbaren Vorteile weltweit stetig zu – selbst in Deutschland, einem Land, das von der Globalisierung in ganz besonderer Weise profitiert. Diese Parameterveränderungen im Welthandel wirken sich zunehmend in Unternehmen aus. Insbesondere global operierende Unternehmen sind in den meisten Fällen nicht auf eine sich stärker deglobalisierende Welt ausgerichtet und vorbereitet.

Die heutigen Unternehmensstrukturen folgen in der Regel einer vor allem auf Kosteneffizienz, Qualität und Technologieoptimierung ausgerichteten Strategie mit weltweiten Fertigungsverbünden und sehr häufig auch weitgehender Zentralisierung von Serviceeinheiten. Bereits heute und zukünftig noch stärker rücken Nachhaltigkeit und Resilienz als Ordnungskriterien für die globale Unternehmensgestaltung stärker in den Fokus.

Wie aber lässt sich für diese neue Gleichung ein neues Gesamtoptimum finden? Bei der Beantwortung dieser Frage spielt der Faktor einer geopolitischen Neuordnung eine immer stärkere Rolle. Insbesondere das sogenannte „De-Coupling“ mit einer Blockbildung der großen Handelsmächte USA auf der einen und China auf der anderen Seite könnte hierauf gravierende Auswirkungen haben. Vor allem die exportorientierte deutsche Wirtschaft muss sich dabei auf womöglich drastische Veränderungen einstellen. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, wie man unter diesen geopolitischen Rahmenbedingungen künftig den Zugang zu wesentlichen Weltund Wachstumsmärkten gestaltet.

Szenarien einer geopolitischen Neuordnung
Wichtig ist, dass sich Unternehmen auf vier relevante Szenarien einstellen, die ineinander übergehen und sich überlappen können.

  • Szenario A „Gefangen im Protektionismus“ geht davon aus, dass sich das regelbasierte, globale Handelssystem dahingehend verändert, dass Handelsund Kapitalströme noch möglich sind, Tarife und Normen jedoch regelmäßig geändert werden. Hier liegen für Unternehmen wesentliche Risiken in den globalen Lieferketten und der Nutzung globaler Technologien.
  • Szenario B lautet „Brückenschlag zwischen den Weltmächten“. Hier sind US-amerikanische Unternehmen aus China verbannt und umgekehrt. Neutrale Wirtschaftsräume wie die EU können weiterhin mit den USA und China Handel treiben. Für Unternehmen liegen hier die wesentlichen Risiken darin, dass China aus einer separaten Wertschöpfungskette bedient werden muss und Technologien nicht mehr weltweit einsetzbar sind.
  • Im Szenario C, genannt „Unversöhnliche Welt“, isolieren sich die USA und China dauerhaft voneinander, Europa strebt nach Unabhängigkeit und baut sein eigenes wirtschaftliches Ökosystem auf. Die Weltwirtschaft teilt sich also in drei Blöcke auf. Hier stellt – anders als in den ersten beiden Szenarien – die derzeitige Struktur globaler Unternehmen das größte Risiko dar.
  • Und in Szenario D, „Zweiteilung der Welt“, verhängen die USA und China Sanktionen und schränken den globalen Handel ein. Staaten und Unternehmen sind gezwungen, sich für eine Partnerschaft zu entscheiden, Europa entscheidet sich aufgrund kultureller Nähe für die USA. Hier müssten sich weltweit tätige Unternehmen gegebenenfalls in zwei entkoppelte Unternehmensteile aufspalten.

Frühwarnsysteme für konsequente Maßnahmen
Von entscheidender Bedeutung ist es daher für Unternehmen, ein Frühwarnsystem zur raschen Anpassung und Reaktion auf diese geopolitischen Veränderungen zu etablieren, um darauf basierend die Szenarien mit der Realität abzugleichen. Wir bei Bosch verfolgen diesen Ansatz. Unser „Early Warning System“ gleicht die Realität in regelmäßigen Abständen anhand  messbarer Treiberkategorien mit den dargestellten vier Szenarien ab. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden mit der aktuellen Aufstellung unseres Unternehmens abgeglichen und diese gegebenenfalls angepasst.

Wichtig ist, dass auf Ebene der Unternehmensgruppe sowie der Geschäftsbereiche in allen  wesentlichen Strategiesitzungen über relevante Messzahlen und KPIs wie z.B. den Lokalisierungsgrad von Sourcing und Fertigung, die Verteilung von Entwicklungs-Knowhow oder  die Regionalisierung unserer Service Centers über regionale Hubs berichtet wird. Zudem sollten in regelmäßigen Abständen auch die regionalen M+A-Strategien sowie die IT- und Datenstrategien überprüft werden.

Darauf basierend sollten strategische Entscheidungen reflektiert und Maßnahmen definiert werden. Bei Bosch folgen wir klaren Leit- und Ordnungskriterien im Sinne von Dos und Don‘ts. Zeitpunkt und Grad der Umsetzung hängen hierbei vom bestehenden Regionalisierungsstand, dem aktuell erwarteten Szenario und dem Trade-off zwischen Akzeptanz des Risikos und dem  Aufwand der Mitigation ab. Wichtig wird hierbei auch immer mehr der geopolitische  Sachverstand und ein ausgeprägtes Verständnis für die Innenpolitik in Schwerpunktländern.

Den Wachstumsfokus bei gleichzeitiger Berücksichtigung geopolitischer Veränderungen sowie unseres Wertegerüstes aufrecht und in der Balance zu halten, wird zukünftig wohl eine der größten Herausforderungen für uns wie für viele Unternehmen sein.

Auswirkungen des limitierten Welthandels erfolgreich begrenzen
Mittels Frühwarnsystemen, klaren Szenarien und entsprechend abgeleiteten und konsequent umgesetzten Maßnahmen lassen sich die Auswirkungen dieser tiefgreifenden Veränderungen für Unternehmen gestalten. Dies jedoch nur, wenn die Einschränkungen eines limitierten Welthandels maximal begrenzt werden können. Dazu bedarf es dreier wesentlicher Voraussetzungen:

Erstens und vordringlich die ständige Stärkung unserer eigenen unternehmerischen Wettbewerbskraft. Zweitens das gemeinsame politisch-wirtschaftliche Verständnis und Wollen eines wiederbelebten, aufgeklärten Welthandels 2.0, der sich durch bestmögliche Offenheit und Fairness sowie klare multilaterale Regeln auszeichnet. Drittens einen intensiveren  gesellschaftlichen Dialog über die – gerade auch gesellschaftlichen – Vorteile eines freien „Internationalen Handels“, natürlich auch unter Einbezug von Umwelt- und Sozialstandards.

Wichtig ist, dass sich Unternehmen auf vier relevante Szenarien einer geopolitischen Neuordnung einstellen.

Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer
CFO und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung
der Robert Bosch GmbH

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