Sicherheit und Verteidigung über unseren Köpfen

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie vom 16.2.2024

Anforderungen an Deutschlands erste Weltraumsicherheitsstrategie

Ein Krieg, der mit einem Cyberangriff auf die satellitengestützte Kommunikation des Militärs beginnt, hektische Szenen an Bord der Internationalen Raumstation infolge eines Satellitenabschusses und ein Milliardär, der inzwischen mehr als die Hälfte aller aktiven Satelliten kontrolliert: Was auf den ersten Blick nach dem Drehbuch des nächsten Bond-Films aussieht, ist in Wirklichkeit ein kleiner Ausschnitt aus der jüngsten Realität und verdeutlicht die Transformation der Weltraumnutzung in den letzten Jahren.
Die Abhängigkeit und damit einhergehend die Verwundbarkeit digital vernetzter Gesellschaften und moderner Streitkräfte von weltraumbasierten Diensten und Fähigkeiten nimmt stetig zu. Immer mehr staatliche und kommerzielle Akteure drängen in den Weltraum und lassen die Zahl der Objekte im Orbit sowie das Konflikt- und Eskalationspotenzial exponentiell steigen, während die völkerrechtlichen Grundlagen für die Nutzung des Weltraums weit hinter den politischen und technologischen Entwicklungen zurückbleiben. Der irdische strategische Wettbewerb ist auch im All zu beobachten, der Weltraum dient zunehmend als Mittel der Machtprojektion. Staaten konkurrieren um Meilensteine in der zivilen Raumfahrt, fördern ihre nationalen Weltraumindustrien und bauen ihre militärischen Weltraumprogramme aus. Diese gehen oft mit der Entwicklung von Counterspace-Fähigkeiten einher, also Waffen und Technologien, die den Gegner an der Nutzung seiner weltraumbasierten Fähigkeiten hindern. Ein internationaler Konsens zur Eindämmung des Rüstungswettlaufs, der sich bereits jetzt über unseren Köpfen abzeichnet, ist nicht in Sicht.

Der Weltraum als strategische Dimension
In diesem komplexen Umfeld muss sich Deutschland, dessen Sicherheit und Wohlstand in hohe daher in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie zu Recht das Ziel gesetzt, dem Weltraum als strategischer Dimension endlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Neben der inzwischen aktualisierten Raumfahrtstrategie soll Deutschland, das seit 2021 über ein Weltraumkommando der Bundeswehr verfügt, erstmals eine Weltraumsicherheitsstrategie erhalten, die derzeit federführend vom Bundesministerium der Verteidigung und dem Auswärtigen Amt erarbeitet wird. Damit folgt Deutschland dem Beispiel von Partnern wie Frankreich, den USA, Großbritannien sowie der NATO und zuletzt der EU, um der gestiegenen gesamtstaatlichen und sicherheitspolitischen Bedeutung des Weltraums Rechnung zu tragen.

Klare Positionierung
Während die im Herbst 2023 vorgelegte Raumfahrtstrategie neun zentrale, aber überwiegend zivile Handlungsfelder deutscher Weltraum- und Raumfahrtpolitik definiert, bietet die Weltraumsicherheitsstrategie die Chance, die strategische und militärische Dimension stärker in den Blick zu nehmen. Obwohl in der öffentlichen Debatte wenig bekannt, können Angriffe auf Satelliten im Weltraum oder von der Erde aus den Bündnisfall nach NATO-Artikel 5 auslösen. Ausgangspunkt der Strategie muss daher eine realistische Analyse der sicherheitsrelevanten Trends und Bedrohungen sein, in deren Kontext Deutschland klar Position bezieht, indem es seine Interessen, Ziele und das deutsche Ambitionsniveau darlegt. Natürlich wird sich Deutschlands Rolle im Weltraum an der Einbindung in internationale Kooperationsformate wie EU und NATO orientieren. Doch auch unter Partnern variieren die strategischen Ansätze teils gravierend. Das Spektrum reicht hier von der Erkenntnis auf EU-Ebene, nur durch ein gewisses Maß an strategischer Autonomie im Weltraum als sicherheits- und geopolitisch relevanter Akteur glaubwürdig auftreten zu können, über die US-amerikanische Erklärung des Weltraums zur „warfighting domain“ bis hin zur französischen Maßgabe, die eigenen Weltraumsysteme notfalls auch mit offensiven Fähigkeiten aktiv zu verteidigen. Welche Position will Deutschland hier einnehmen? Zwar sollen deutsche militärische Weltraumoperationen richtigerweise nur defensiver Natur sein, dies schließt aber eine unvoreingenommene Prüfung, welche Fähigkeiten die Bundeswehr zur Verteidigung und Erfüllung ihres Auftrags benötigt, nicht aus.

Notwendige Voraussetzungen schaffen
Neben der grundlegenden Ausrichtung muss die Bundesregierung die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um die definierten Ziele auch zu erreichen. Anstatt die Dimension Weltraum weiterhin isoliert und nachgeordnet zu betrachten, muss die Weltraumsicherheitsstrategie dazu beitragen, die Relevanz des Querschnittsthemas Weltraum noch besser in übergeordnete politische und strategische Überlegungen zu integrieren. Denn bisher zeigen sich auch hier die bekannten Probleme der deutschen Politik: ein nur bedingt funktionierender gesamtstaatlicher Ansatz, mangelnde ressortübergreifende Finanzierungsansätze und die Herausforderung, trotz weiterhin langwieriger Beschaffungsprozesse die fortlaufende Modernisierung von Weltraumsystemen mit den immer schnelleren Innovationszyklen in Einklang zu bringen. Idealerweise gibt das Strategiepapier daher Impulse für eine institutionell besser verankerte Ressortabstimmung, z. B. im Sinne eines nationalen Weltraumrates nach Vorbild der USA, der sicherheitsrelevanten Aspekten der Raumfahrt und Weltraumnutzung eine prioritäre Rolle einräumt und einer Verantwortungsdiffusion durch klare Prozesse und Kompetenzzuweisungen entgegenwirkt. Um Deutschlands Resilienz und Handlungsfähigkeit zu stärken, bedarf es finanzieller Mittel, Know-how und an die technologischen Dynamiken angepasster, zivilmilitärischer Beschaffungskonzepte für den Ausbau von Kapazitäten in den Bereichen Weltraumlage und Space Domain Awareness sowie Responsive Space. Die zuletzt beschlossenen Kürzungen des Nationalen Weltraumprogramms, das künftig auch Positionen für Weltraumsicherheit berücksichtigen sollte, und die unzureichenden Mittel für den Ausbau von militärischen Weltraumfähigkeiten, u. a. im Sondervermögen der Bundeswehr, setzen hier die falschen Signale.

Einbindung kommerzieller Akteure
Die Rolle von Elon Musks Starlink für die ukrainische Bevölkerung und Armee im russischen Angriffskrieg, der bereits als erster „commercial space war“ charakterisiert wird, unterstreicht nicht zuletzt aufgrund der inhärenten Dual-Use-Natur von Weltraumtechnologie die gestiegene Bedeutung kommerzieller Akteure für die nationale Sicherheitsvorsorge. Eine innovative wettbewerbsfähige Weltraumindustrie und herausragende Forschungslandschaft, über die Deutschland durchaus verfügt, sowie die Beherrschung von Schlüsseltechnologien und die Gewährleistung von Rohstoff- und Lieferkettensicherheit sind sicherheitsrelevante Faktoren, die im Rahmen der Strategie berücksichtigt werden müssen. Fähigkeitsaufbau und Resilienzsteigerung kritischer Infrastruktur, die alle Komponenten von Weltraumsystemen umfassen sollte, erfordern eine verbesserte privatstaatliche Zusammenarbeit, die es vermag, bei Fähigkeitsentwicklung und Beschaffungsprozessen staatliche Vorgaben und unternehmensbezogene Realitäten zusammenzubringen und so wichtige Synergien zu schaffen. Die Weltraumsicherheitsstrategie sollte daher nicht nur die Relevanz der Einbindung kommerzieller Akteure adressieren, sondern auch Voraussetzungen und Perspektiven für ihre praktische Umsetzung (z. B. durch Ankerverträge und ein Weltraumgesetz) aufzeigen.

Verantwortungsvolle Weltraumnutzung
Im Sinne des integrierten Sicherheitsbegriffs, den die Strategie abbilden soll, ist eine nachhaltige, friedliche und verantwortungsvolle Weltraumnutzung ein wichtiger Pfeiler deutscher Politik. Aus menschlicher Sicht ist der Weltraum eine begrenzte Ressource, die durch den Wettlauf um verfügbare Orbits und Frequenzen, vor allem aber durch Weltraumschrott, gefährdet ist. Ausgangspunkt sollte daher ein klares Bekenntnis zum Völkerrecht im Weltraum und die Förderung eines verhaltensbasierten Ansatzes bei der Konsensfindung über internationale Normen mit gleichgesinnten Partnern sein. Deutschlands Selbstverpflichtung, auf destruktive Antisatellitenwaffentests zu verzichten, ist ein wichtiges diplomatisches Zeichen. Aufgrund der derzeit kaum überbrückbaren Differenzen bei der Erweiterung des Weltraumvölkerrechts oder der Schaffung verbindlicher Verträge sollte die Weltraumsicherheitsstrategie alternative Formen der Rüstungskontrolle mit Blick auf transparenz- und vertrauensbildende Maßnahmen aufzeigen. Zuletzt sollte sie auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit bei der Nutzung des Weltraums berücksichtigen, damit der Weltraum als „Global Common Good“ auch für weniger fortgeschrittene Raumfahrtnationen künftig nutzbar bleibt.

Weltraumspezifischen IQ stärken
Mit der Veröffentlichung der Weltraumsicherheitsstrategie allein ist es aber nicht getan. Sie sollte vielmehr den notwendigen Anstoß geben, um das sicherheitspolitische Bewusstsein und die weltraumspezifische Expertise in Politik, Ministerien, Denkfabriken, Wissenschaft und der Gesellschaft auszubauen. Ohne eine übergreifende „space literacy“ auf den relevanten Ebenen, die neben Ingenieurswissenschaften auch Sozialwissenschaften, Weltraumsicherheit und -recht umfasst, können die wichtigen Handlungsfelder nicht zielführend bearbeitet werden. Eine anhaltende sicherheitspolitische Apathie und Naivität können wir uns auf einem solch dynamischen Gebiet nicht leisten. ■

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder.

Die Abhängigkeit digital vernetzter Gesellschaften und moderner Streitkräfte von weltraumbasierten Diensten und Fähigkeiten nimmt stetig zu.

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