Schlüsselrolle für kommunale Unternehmen

Aufbau der Wasserstoffwirtschaft durch lokale Energieversorger und Infrastrukturbetreiber

Katherina Reiche, Vorstandsvorsitzende der Westenergie AG und Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates

Um das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland und Europa zu erreichen, sind Energieträger wie Wasserstoff notwendig. Für diese Erkenntnis reicht schon ein Blick nach Duisburg oder Salzgitter, wo Stahlwerke stehen, die jährlich immer noch Millionen Tonnen Kohle verbrauchen. Und in Ludwigshafen  benötigt allein das Chemiewerk der BASF so viel Energie wie das Land Dänemark.

Diese Energie muss zukünftig CO2-neutral sein. Doch nicht nur in Duisburg, Salzgitter oder Ludwigshafen zeigt sich, warum Wasserstoff für den Klimaschutz so entscheidend ist. Überall dort, wo erneuerbarer Strom technisch keine Alternative zu fossilen Energieträgern darstellt, kann Wasserstoff eingesetzt werden. Das betrifft jede Region, jede Kommune und jede Stadt in Deutschland. Wasserstoff werden wir nicht nur in der Schwerindustrie, sondern auch in anderen Bereichen brauchen, wenn wir das gemeinsame Ziel einer Klimaneutralität bis 2050 erreichen wollen.

Für dieses Ziel müssen jetzt die Weichen gestellt werden – und zwar für die gesamte Volkswirtschaft, einschließlich des Gebäude- und Verkehrssektors. Folgende Fragen sind dabei aus meiner Sicht für kommunale Akteure relevant: Gibt es Industrie- oder Gewerbebetriebe in Ihrer Region, die große Mengen an Wärme benötigen? Das können zum Beispiel Brauereien, Molkereien und Holzverarbeiter sein. Gibt es in Ihrer Region Logistikunternehmen? Befindet sich ein Hafen oder Flughafen in Ihrer Nähe? Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie früher oder später Wasserstoffabnehmer in Ihrer Region haben. Denn auch viele kleine Betriebe müssen ihren Teil beitragen, um die Klimaziele zu erreichen. Lkw werden auf langen Strecken mit Wasserstoff fahren, ebenso Schiffe und auch Züge auf nicht elektrifizierten Strecken. Sogar Gebäude werden CO2-neutral mit Brennstoffzellen beheizt.

Die Herstellung und Nutzung von Wasserstoff sind längst nicht mehr nur Themen von Forschungsinstituten und Chemiewerken. Wasserstoff wird längst nicht mehr nur in den politischen Kreisen von EU, Bund und Ländern diskutiert. In den kommenden Jahren wird Wasserstoff in den Regionen eingesetzt werden, ganz pragmatisch vor der eigenen Haustür und in vielen unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Entsprechend müssen Städte und Regionen heute beginnen, ein Leitbild zu entwickeln, wie die Wasserstoffversorgung der Zukunft aussehen soll. So kann Wertschöpfung langfristig in den Regionen erhalten bleiben. Dies bietet gerade auch ländlichen Gebieten mit viel grüner Energie neue Möglichkeiten.

Bis zur breiten Anwendung von Wasserstofftechnologien wird es sicherlich noch einige Jahre dauern. Die hierfür notwendigen regulatorischen und ökonomischen Entscheidungen werden aber schon heute getroffen. Dies beginnt bei internationalen Energiepartnerschaften mit sonnenreichen Ländern, die kostengünstig grünen Wasserstoff herstellen und nach Europa exportieren können. Es setzt sich beim notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien hier in Deutschland fort. All dies bildet die  Grundlage, damit Wasserstoff bis in die eigenen vier Wände vordringen kann. Ein Beispiel dafür sind alte Heizungssysteme, die nicht bei allen Gebäudetypen  durch Wärmepumpen  ersetzt werden können. Dort braucht es Wasserstoff für die klimaneutrale Wärmeversorgung.

Die Infrastruktur für unsere dekarbonisierte Welt von morgen müssen wir schon heute mitdenken. Dabei geht es nicht nur um die energieintensiven Industrien. In Deutschland sind lediglich 600 Industriekunden direkt an die großen Gastransportleitungen angebunden. Die überwiegende Mehrheit der 1,6 Millionen industriellen und gewerblichen Gas- und potenziellen Wasserstoff-Verbraucher wird über die lokalen Verteilnetze versorgt. Ihr Vorteil ist, dass sie ohne großen technischen Aufwand für den Wasserstofftransport geeignet sind.

Erste Versuche laufen hierzu bereits in der Gemeinde Holzwickede bei Dortmund. In dem Projekt „H2HoWi“ stellt Westenergie deutschlandweit zum ersten Mal eine bestehende Erdgasleitung der öffentlichen Gasversorgung auf reinen Wasserstoff um. Dazu wird eine vorhandene Mitteldruck-Erdgasleitung zunächst vom Erdgasnetz getrennt und schließlich an einen Wasserstoffspeicher angeschlossen. Von hier aus erfolgt die Versorgung von vier Gewerbekunden. Mit dem Wasserstoff soll dort die benötigte Raumwärme erzeugt werden. Wir wollen so zeigen, dass die bestehende Infrastruktur ohne große Anpassungen auch für reinen Wasserstoff genutzt werden kann.

Allein dieses Beispiel zeigt, welch zentrale Rolle die lokalen Energieversorger, Infrastrukturbetreiber und damit viele kommunale Unternehmen im Energiesystem der Zukunft spielen werden. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft schafft Chancen und Gelegenheiten, die mit dem Aufbau des Internets und der Einführung des Smartphones vergleichbar sind. Dort haben wir in Deutschland die Entwicklung zwei Mal verschlafen. Ein drittes Mal darf uns das nicht passieren. Wir müssen zu den Gewinnern der nächsten technologischen Revolution zählen!