H2 gilt als die Antwort auf viele Fragen in Sachen Energiewende, Dekarbonisierung und Klimaschutz. Doch was muss (noch) passieren, damit die Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland (endlich) Fahrt aufnimmt?
Wasserstoff ist das Thema: Er soll Industrie dekarbonisieren, erneuerbare Energien speichern, die Wärmewende unterstützen und künftig Kraftwerke befeuern. Mal gilt er als Champagner, mal als Tafelwasser der Energiewende und es werden immer neue Einsatzmöglichkeiten für ihn ersonnen, die alle gemeinsam haben: Man verteilt das Fell eines Bären, der noch lange nicht erlegt ist. Denn obwohl alle um die theoretische Bedeutung von Wasserstoff wissen, sind in den vergangenen Jahren kaum echte Durchbrüche erzielt worden, um dem ersehnten Ziel einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft und eines liquiden Wasserstoffmarkts tatsächlich näherzukommen.
Wo muss sich etwas ändern, damit sich wirklich etwas ändert?
Erstens: Geschwindigkeit – zwischen Einreichung zahlreicher Wasserstoff-Projekte bei der EU-Kommission im Rahmen der „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) und der Entscheidung der Brüsseler Behörde lagen rund 33 Monate. Daneben fühlten sich die fünf Monate, die die anschließende Ausgestaltung des nationalen Förderrahmens durch die Bundesregierung benötigte, tatsächlich wie die vielbeschworene „Deutschland-Geschwindigkeit“ an. Allein, im Vergleich mit dem Pragmatismus und der Geschwindigkeit des in den USA geltenden „Inflation Reduction Act“ (IRA) lässt sich so dennoch nicht Schritt halten.
Daraus ergeben sich – zweitens – perspektivisch Probleme beim Aufbau unverzichtbarer Lieferketten für einen künftigen Wasserstoff-Import. Denn auch wenn aktuell der inländische Bedarf noch gering ist, wird er mittelfristig weit schneller steigen, als er sich inländisch decken ließe. Insofern ist die deutsche Wirtschaft zwingend auf sichere Importe von Wasserstoff angewiesen, wenn sie klimaneutral werden und dabei wettbewerbsfähig bleiben will.
Zugleich braucht es – drittens – dringend eine hinreichend große inländische Erzeugungsleistung für grünen, klimaneutralen Wasserstoff. Denn klar ist, dass beim Umstieg auf ein im Wesentlichen auf Wasserstoff als Energieträger setzendes Wirtschaftsmodell nicht einfach eine geopolitische Energieabhängigkeit durch eine andere ersetzt werden darf. Daher braucht es den Aufbau einer inländischen Wasserstoff-Erzeugung, die auch in Krisenzeiten eine unverzichtbare Grundversorgung gewährleisten kann. Hinzu kommt: Wer mit verbrauchsnaher Erzeugung und Verwendung in der Industrie nicht startet, bevor Importkapazitäten für Wasserstoff aufgebaut sind, wird am Ende wettbewerblich nicht (mehr) mithalten können.
Viertens braucht es eine in Breite und Tiefe wachsende Transport- und Speicherinfrastruktur. Dabei darf es nicht so bleiben, dass mit den leider immer noch nicht abgeschlossenen Konsultationen für das Wasserstoff-Kernnetz implizit Standortentscheidungen etwa für neue Gaskraftwerke, die mittelfristig auch mit Wasserstoff und damit klimaneutral betrieben werden sollen, präjudiziert werden. Im schlimmsten Fall würde man damit die Fehler und Versäumnisse des oft unzureichenden Stromnetzausbaus wiederholen: Anlagen, die eine sehr hohen Wasserstoffbedarf haben, könnten nur dort entstehen, wo schon heute das H2-Kernnetz vorgesehen ist. Deshalb hat die Bundesregierung für entspreche Anlagen der Energiewirtschaft auch vorgesehen, dass das Kernnetz deren Standorte berücksichtigt. Dies muss allerdings bei der laufenden Wasserstoff-Kernnetzplanung auch so umgesetzt werden. Und auch, wenn sich mit den nun Anfang Juli bekanntgewordenen weiteren Details zur künftigen Kraftwerksstrategie die geplante Umrüstung von fünf Gigawatt neu zu bauender Gaskraftwerke auf Wasserstoff (noch) nicht verbindlich terminiert ist, sollte diese Frage im Rahmen der Netzplanung wie der konkreten Ausgestaltung der Ausschreibungsrunden planungssicher beantwortet werden.
Schließlich bedarf es – fünftens – der politischen Flankierung des entstehenden Wasserstoff-Markts: Weil designierte Abnehmer wie potenzielle Erzeuger aus nachvollziehbaren Gründen darauf warten, dass die jeweils andere Seite den ersten Schritt macht, droht Nichthandeln. Dieses Patt kann nur politisch aufgelöst werden. Hier muss auch klar sein, dass die Rahmenbedingungen und regulatorischen Auflagen über die gesamte Lieferkette hinweg stimmig und komplementär gestaltet sind: Wenn man auf der einen Seite bei der Wasserstoff-Erzeugung harte Kriterien in Sachen Klimaneutralität anlegt, um auf jeden Fall grünen Wasserstoff zu bekommen, macht es keinen Sinn, wenn dann auf der anderen Seite durch eigens geschaffene Ausnahmetatbestände und Übergangsfristen zugunsten andersfarbiger Moleküle die Wettbewerbsfähigkeit dieses grünen Wasserstoffs konterkariert würde. Insofern lässt sich zusammenfassen: Die Aufgaben liegen klar zutage und auch der Worte sind genug gewechselt, man möchte endlich Taten sehen. ■
