Die sicherheitspolitische Zeitenwende hat die Verteidigungsindustrie in den Mittelpunkt strategischer Überlegungen gerückt. Der Bedarf an einer schnellen, skalierbaren und gleichzeitig hochzuverlässigen Produktion ist so hoch wie nie zuvor. Doch wie kann die industrielle Basis in kurzer Zeit gestärkt werden, ohne Kompromisse bei Qualität, Sicherheit und Innovationsfähigkeit?
Eine aktuelle Studie des Capgemini Research Institute zeigt: Digitale Kontinuität – die nahtlose Integration von Daten und Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg, einschließlich des Ökosystems der externen Partner – ist ein zentraler Hebel. 86 Prozent der befragten Führungskräfte aus der Verteidigungsindustrie sehen sie als entscheidenden Faktor für den Produktionshochlauf. Unternehmen, die ihre digitalen Prozesse durchgängig vernetzen, konnten ihre Markteinführungszeit im Schnitt um 13 Prozent verkürzen und gleichzeitig ihren Ressourceneinsatz optimieren.
Doch digitale Kontinuität ist kein Selbstzweck, sondern muss in eine umfassende industrielle Transformationsstrategie eingebettet sein.
Der Weg zu einer resilienten und skalierbaren Verteidigungsindustrie führt über drei zentrale Hebel:
1. Gezielter Einsatz moderner Technologien
Digitale Zwillinge, modellbasierte Systementwicklung (MBSE), KI und generative KI: All diese Technologien ermöglichen es, komplexe Systeme schneller zu entwickeln, virtuell zu testen und effizienter zu produzieren. Besonders MBSE hat sich dabei als Schlüssel erwiesen, um Entwicklungszyklen zu verkürzen und gleichzeitig die Systemkomplexität im Hardware- und Softwarekontext beherrschbar zu machen.
2. Stärkung industrieller Ökosysteme
Der Produktionshochlauf ist keine Aufgabe für Einzelakteure. Er verlangt nach einem leistungsfähigen Netzwerk aus Technologieanbietern, Zulieferern, Forschungseinrichtungen und staatlichen Stellen und die Möglichkeit im Bereich eingestufter Daten zu kollaborieren. Denn digitale Kontinuität ist ein Modell, das nicht nur intern, sondern auch über Unternehmensgrenzen hinweg funktioniert – also mit Partnern (Studie S.9f).
3. Übernahme bewährter Prinzipien aus der Automobilindustrie
Die Verteidigungsindustrie steht vor der Herausforderung, ihre Produktionskapazitäten schnell und effizient zu skalieren – unter Einhaltung höchster Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Andere Branchen, wie etwa die Automobilbranche, haben über Jahrzehnte hinweg bewiesen, wie komplexe Produkte unter strengen Kostenvorgaben und aggressiven Markteinführungszeiten in großem Maßstab entwickelt und hergestellt werden können. Ihre Erfahrungen mit modularen Plattformarchitekturen, standardisierten Prozessen und automatisierten Testverfahren bieten wertvolle Impulse – vorausgesetzt, sie werden an die spezifischen Anforderungen der Verteidigung angepasst.
Die Zeitenwende braucht Umsetzungskraft
Die Capgemini-Studie zeigt, dass 86 Prozent der Verteidigungsorganisationen die Notwendigkeit erkennen, KI und generative KI in die Produktentwicklung zu integrieren. Über die Hälfte plant zudem die Entwicklung autonomer Systeme. Doch nur etwas mehr als ein Drittel fühlt sich darauf vorbereitet. Hierfür sind nicht nur technologische Kompetenz, sondern auch klare Governance-Strukturen, regulatorische Klarheit und ein tiefes Verständnis für sicherheitskritische Anwendungen erforderlich.
Die Verteidigungsindustrie steht an einem Wendepunkt. Der politische Wille zur Stärkung der Fähigkeiten ist vorhanden, die Investitionen steigen – nun sind industrielle Exzellenz, moderne Technologien und ein starkes Partnernetzwerk gefragt, um diese Ambitionen umzusetzen. Unternehmen, die jetzt bereit sind, über Branchengrenzen hinweg zu denken, Ökosysteme zu stärken und neue Technologien gezielt einzusetzen, werden nicht nur schneller liefern, sondern auch resilienter, effizienter und zukunftsfähiger produzieren.
Weitere Informationen zur Studie des Capgemini Research Institute “The Strategic Edge: How Digital Continuity Drives Business Outcomes In Aerospace And Defense“ finden Sie hier: https://www.capgemini.com/de-de/insights/research/digital-continuity-in-aerospace-and-defense/