Neues Marktdesign für neue Gaskraftwerke

Timm kehler

Advertorial

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

Die Transformation der großen industriellen Kraft Deutschlands Richtung Klimaneutralität – so hat der neue Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem Amtsantritt die Aufgabe beschrieben, die vor ihm liegt. Dieser Aufgabe muss sich das ganze Land stellen und damit einer gewaltigen Herausforderung. Noch in diesem Jahr werden mit Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 die letzten deutschen Atomkraftwerke vom Netz gehen. Auch der Abschied von der Kohleverstromung soll an Fahrt gewinnen und nicht erst 2038, sondern möglichst schon 2030 vollzogen werden.

Bereits jetzt befindet sich der Energiemarkt in einem nie dagewesenen Umbruch: Zwischen 2016 und 2021 sind fast drei Gigawatt (GW) an Kernkraftwerken und fünf GW an Kohlekraftwerken vom Netz gegangen. Parallel sind zwar die Kapazitäten der Photovoltaikanlagen um fast 20 GW gestiegen, die der Windräder um 15 GW. Dieser große Zugewinn an neuer Leistung ist aber nicht kontinuierlich verfügbar. Die stark schwankenden Strommengen der erneuerbaren Energien stellen Stromnetz und Strommarkt vor große Belastungen.

Gaskraftwerke: Back-Up für die Erneuerbaren
Abgesehen davon, dass Strom in Deutschland nur etwa ein Fünftel der benötigten Energie ausmacht, wird beim Umbau zu einem grünen Stromsystem eines oft vergessen: Es geht nicht nur um die absolute Menge erzeugten Stroms, sondern es geht um eine jederzeit abrufbare Grundlast, die auch zur Verfügung steht, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Um auch in einer grünen Energiezukunft eine zuverlässige Stromversorgung zu jeder Tages- und Nachtzeit zu sichern, muss zusätzliche, flexibel einsetzbare Leistung installiert werden.

Nach dem Wegfall der Atom- und Kohlekraftwerke kommen für diese wichtige Back-up-Aufgabe nur noch Gaskraftwerke in Frage. Die Ampelkoalition hat das erkannt: „Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Errichtung moderner Gaskraftwerke soll beschleunigt werden. Gaskraftwerke eignen sich besonders, diese Aufgabe klimaschonend zu übernehmen und den geplanten massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien abzusichern. Moderne Gaskraftwerke emittieren im Schnitt 65 Prozent weniger CO2 als Braunkohlekraftwerke. In Zukunft können sie durch einen steigenden Anteil von Wasserstoff im Gasnetz ihren CO2 Ausstoß verringen oder ganz auf klimaneutrale Gase umgestellt werden.

KÜNFTIGER BEDARF STEUERBARER KRAFTWERKE

Wachsender Bedarf wird nicht gedeckt
Allerding schreitet der Zubau von Gaskraftwerken aktuell nicht annähernd so schnell voran wie Kohle- und Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Nimmt man den Koalitionsvertrag und die jüngste dena-Leitstudie als Grundlage, ist bis 2030 ein Zubau an Gaskraftwerkskapazität in Höhe von 23 Gigawatt nötig. Andere Studien sehen deutlich höhere Zahlen. Aktuell befinden sich nach Angaben der Bundesnetzagentur aber lediglich 2,3 Gigawatt in Planung. Wird jetzt nicht gehandelt, steht Deutschland in wenigen Jahren vor Stromengpässen oder der klimaschädlichen Wahl, Kohlekraftwerke länger als geplant am Netz zu lassen.

Versorgungssicherheit hat ihren Preis
Ein Grund für den langsamen Ausbau sind die fehlenden Anreize für Unternehmen. Im aktuellen Strommarktdesign – dem sogenannten Energy-Only-Markt – bilden sich Preise ausschließlich aus Angebot und Nachfrage der tatsächlichen Stromerzeugung. Bei der Einspeisung ins Netz genießt Ökostrom Vorrang, was dazu führen kann, dass Gaskraftwerke nur für wenige Stunden laufen. In diesen wenigen Stunden ist Strom aufgrund der hohen Nachfrage dann so teuer, dass Gaskraftwerke von diesen Preisspitzen profitieren. Das Vorhalten von Kraftwerkskapazität allein wird nicht ergütet. Aktuell beobachten wir aber, dass Investoren wenig Anreiz haben, in Kraftwerkskapazitäten zu investieren, die zur Sicherung der Versorgung auch bei kalter Dunkelflaute bereitstehen.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Energy-Only-Markt zeigen: Er wird den enormen Zubau und die anschließende Umrüstung hin zu Wasserstoffkraftwerken nicht leisten. Um den Zubau der bis 2030 dringend benötigten zusätzlichen Gasraftwerke anzureizen, muss das Marktdesign geändert werden. Die Ampelkoalition hat dies erkannt und will laut Koalitionsvertrag „wettbewerbliche und technologieoffene Kapazitätsmechanismen“ prüfen. Nach Ansicht der deutschen Gasbranche ist es höchste Zeit, die Debatte über einen Kapazitätsmarkt zu führen. Um eine zuverlässige Versorgung auch in Zukunft zu sichern und den dafür nötigen Gaskraftwerksausbau anzureizen, muss auch das Vorhalten benötigter Kapazitäten einen Preis erhalten.

Das bestehende Marktdesign wird den enormen und benötigen Zubau von Gaskraftwerken und ihre anschließende Umrüstung auf Wasserstoff nicht in der nötigen Zeit leisten können.

Dr. Timm Kehler, Vorstand, Zukunft Gas e.V.

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