Neues Kartellrecht: Kartellrechtliche Compliance-Pflichten der Geschäftsführung

Ein Überblick unter Berücksichtigung von Vor- und Nachtat-Compliance sowie Verbänden

Dr. Sascha Dethof, Partner, Rechtsanwalt, Fieldfisher
Lilly Beutler, Rechtsreferendarin, Fieldfisher

1. Einleitung
Das deutsche Kartellrecht wurde durch 10. GWB-Novelle, die am 19.01.2021 in Kraft getreten ist, neu gefasst. Daneben nahm am 25.03.2021 das Wettbewerbsregister des Bundeskartellamts (BKartA) den Betrieb auf. Die Neuregelungen bringen erweiterte kartellrechtliche Compliance-Pflichten für die Geschäftsführung mit sich.

Besonders bedeutsam für Geschäftsführer sind die Änderungen im Bereich der Bußgelder für Kartellverstöße. Hier kam es zu Verschärfungen hinsichtlich Verbandsgeldbußen sowie zu Erleichterungen in Form der Berücksichtigung wirksamer Vor- und Nachtat-Compliance bei der Bußgeldzumessung. Primäres Ziel eines kartellrechtlichen Compliance-Systems ist die Vermeidung von Kartellverstößen, da diese nicht nur erhebliche Bußgelder, sondern auch behördliche Durchsuchungen, einen Reputations- und Vertrauensverlust bei Kunden sowie Schadensersatzklagen nach sich ziehen können.  Allein im Jahr 2019 verhängte das BKartA Bußgelder in Höhe von rund 848 Mio. €, darunter auch gegen Geschäftsführer. Dabei wurden 32 Unternehmen bzw. Verbände, aber auch Privatwohnungen durchsucht. Nachfolgend werden die wichtigsten Änderungen aufgeführt, die mit erweiterten Compliance-Pflichten für Geschäftsführer einhergehen:

2. Pflichtverletzungen im Kartellverfahren
Bei kartellbehördlichen Durchsuchungen besteht nun eine bußgeldbewehrte Mitwirkungspflicht. Diese findet ihre Grenze im Zwang zum Geständnis, schließt aber selbstbelastende Auskünfte nicht aus.Pflichtverletzungen im Kartellverfahren (z.B. Behinderung von Kartellbehörden bei einer Durchsuchung, Nichtbeantwortung eines Auskunftsbeschlusses) können mit einem Bußgeld bis zu 1 % des weltweiten jährlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens belegt werden (§ 81c Abs. 3 GWB). Da für die Bußgeldzumessung der Konzernumsatz maßgeblich ist, können diese je nach Unternehmensgröße Millionenbeträge (statt bisher max. 100.000 €) erreichen.

3. Verbände
Verbände können wegen Kartellverstößen mit einem Bußgeld bis zu 10 % des Umsatzes ihrer Mitglieder, die auf dem von dem Verstoß betroffenen Markt tätig waren, belegt werden (§ 81c Abs. 4 GWB). Dies setzt voraus, dass das Verhalten des Verbandes im Zusammenhang mit der Tätigkeit seiner Mitglieder steht. Umsätze von Unternehmen, die unter die Kronzeugenregelung fallen oder gegen die unmittelbar ein Bußgeld festgesetzt wird, bleiben außer Betracht.

Dies stellt gegenüber der bisherigen Bußgeldgrenze von 10 % des Gesamtumsatzes des Verbandes eine erhebliche Erhöhung dar.

Neu eingefügt wurde eine Ausfallhaftung von Verbandsmitgliedern: Im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Verbandes muss dieser zunächst zusätzliche Beiträge von seinen Mitgliedern erheben (§ 81b Abs. 1 GWB). Können diese nicht eingetrieben werden, kann die Kartellbehörde die Zahlung unmittelbar von den Mitgliedern verlangen (§ 81b Abs. 2, 3 GWB).

Mitglieder, die nicht an dem Verstoß beteiligt waren, keine Kenntnis von diesem hatten oder sich aktiv von diesem distanziert  haben, können sich von der Zahlungspflicht befreien lassen (§ 81b Abs. 4 GWB). Mit-glieder, die unter die Kronzeugenregelung fallen, sind von der Ausfallhaftung ausgenommen.

4. Bußgeldzumessung
Erstmals wurden Kriterien für die Bußgeldzumessung gesetzlich verankert (§ 81d GWB). Die lang umstrittene Frage, ob Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldzumessung zu berücksichtigen sind, wurde durch den Gesetzgeber beantwortet: Der neue § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4, Nr. 5 GWB sieht eine bußgeldmindernde Berücksichtigung von Vor- und Nachtat-Compliance vor.

5. Wettbewerbsregister
Am 25.03.2021 nahm der Wettbewerbsregister (quasi ein Vorstrafenregister für Unternehmen) des BKartA seinen Betrieb auf. Mit dem Ziel, Unternehmen, die Wirtschaftsstraftaten oder vergleichbare Zuwiderhandlungen (z.B. Kartellverstöße) begangen haben, von öffentlichen Vergabeverfahren auszuschließen, können Vergabestellen in einem bundesweiten Register entsprechende Daten elektronisch abfragen. Neben Eintragungen in das Wettbewerbsregister (§ 2 WRegG) drohen weiterhin auch Eintragungen in das Gewerbezentralregister (§ 149 Abs. 2 GewO).

6. Erleichterung privater Schadensersatzklagen
Beachtlich ist zudem das gestiegene Risiko privater Schadensersatzklagen durch geschädigte Lieferanten und Kunden, die den Unternehmen bei Kartellverstößen drohen. Die Anzahl an Schadensersatzklagen, die sich an Entscheidungen der Kartellbehörden anschließen (follow-on-Klagen), ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Da eine weitere Erleichterung für follow on Klagen eingeführt wurde (gesetzliche Vermutung zur Kartellbetroffenheit, § 33a GWB), dürften diese weiter zunehmen.

7. Neue Compliance-Pflichten: Verbände
Aufgrund der verschärften Haftung von Verbänden und Mitgliedsunternehmen gilt es, die Compliance-Programme neu aufzustellen. Fortan ist es umso bedeutsamer, genau zu prüfen, welchen Verbänden das Unternehmen angehört. Die Tätigkeit dieser Verbände sowie der Mitarbeiter, die das Unternehmen bei Verbandstätigkeiten vertreten, sind sorgfältig zu überwachen. Es ist zu ermitteln, ob in den Verbänden Wettbewerber aufeinandertreffen, inwiefern die Verbände Compliance-Maßnahmen ergreifen und wie sie die Einhaltung kartellrechtlicher Vorgaben sicherstellen.

8. Optimierungspflicht: Vor- und Nachtat-Compliance
„Heute ist die Gefahr, dass ein Kartell aufgedeckt und empfindlich sanktioniert, wird deutlich größer als noch vor einigen Jahren. Kartellverstöße sind für Unternehmen zunehmend unattraktiv, sodass Maßnahmen zu deren Vermeidung aus Sicht der Unternehmen erhebliche Bedeutung erlangt haben“, sagte der Präsident des BKartA, Andreas Mundt, in einem Interview.

Die sog. Compliance-Defense hat Eingang in das Gesetz gefunden: „Angemessene und wirksame“ Vor- und Nachtat-Compliance ist nun bußgeldmindernd zu berücksichtigen. Das BKartA und der Gesetzgeber ließen hierzu gewisse Kriterien durchblicken:

a) Nachtat-Compliance
Unter der Nachtat-Compliance verstehen die Behörden „nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“. Im Gegensatz zur EU Kommission haben die Gerichte und das BKartA neue oder verbesserte Nachtat-Compliance zuvor bereits bußgeldmindernd berücksichtigt. Das BKartA begrüßte die Einführung dieses Kriteriums in seiner Stellungnahme zur 10. GWB-Novelle. Eine Reduzierung erfolgt daneben weiterhin bei einem erfolgreichen Kronzeugenantrag und einer einvernehmlichen Verfahrensbeilegung (Settlement). Zu beachten ist, dass auch das Bemühen des Unternehmens, die Zuwiderhandlung aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen, zu einer Bußgeldreduktion führt. Die aktive Kooperation des Unternehmens indiziert die Ernsthaftigkeit des Bemühens.

b) Vortat-Compliance
Der Berücksichtigung von Vortat-Compliance steht das BKartA hingegen kritisch gegenüber: „Denn dies ließe außer Acht, dass es sich bei Kartelldelikten typischerweise um strategische Delikte handelt, bei denen die Führungsebene involviert ist, und dass durch die Immunitätsgewährung gegenüber Kronzeugen bereits eine weitreichende Honorierung erfolgreicher Compliance erfolgt“.

Ähnlich kritisch äußerte sich einst der ehemalige Vizepräsident der Kommission, Joacquín Almunia: „Why should I reward a compliance programme that has failed?“. Die Kommission berücksichtigt die Vortat Compliance nicht bußgeldmindernd.

Der Gesetzgeber nahm die Vortat-Compliance dennoch („last minute“) als Abwägungskriterium auf. Denn „wettbewerbswidriges Verhalten wird häufig erst durch unternehmensinterne Compliance-Maßnahmen aufgedeckt und angezeigt“.

Ausweislich der Gesetzesbegründung ist Vortat-Compliance

  • wirksam und damit zu berücksichtigen, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige des Verstoßes geführt haben,
  • wirksam, wenn sie als fester Bestandteil der Unternehmenskultur „gelebt“ wird.

Wenn es dennoch zu einem Kartellverstoß gekommen ist, sind folgende Abstufungen zu beachten:

  • Ein Verstoß schließt die Ernsthaftigkeit des Bemühens, Kartellverstöße zu vermeiden, nicht per se aus, indiziert jedoch ein Defizit bei der Vortat-Compliance.
  • Wäre der Verstoß durch ordnungsgemäße Compliance verhindert oder wesentlich erschwert worden, kann nur das grundsätzliche Bemühen des Unternehmens um Compliance zu dessen Gunsten gewürdigt werden. Die Sanktionsmilderung fällt allenfalls gering aus.
  • Wenn die Geschäftsführung an dem Verstoß beteiligt ist, steht sie nicht hinter den Compliance-Regelungen. Die Maßnahmen sind nicht wirksam. Eine Bußgeldreduktion ist ausgeschlossen.

Angemessen ist die Compliance, wenn sie nach Art und Umfang der Unternehmensgröße entspricht. Welche Maßnahmen erforderlich sind, hängt „von Art, Größe und Organisation eines Unternehmens, Gefährlichkeit des Unternehmensgegenstandes (Kartellgeneigtheit), Anzahl der Mitarbeiter, den zu beachtenden Vorschriften sowie dem Risiko ihrer Verletzung ab. Bei kleinen und mittleren Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen können auch wenige einfache Maßnahmen ausreichend sein“.

9. Effektive Compliance
Auch die Behörden haben aufgerüstet: Zur Aufdeckung von Verstößen stehen ihnen wirksame Instrumente zur Verfügung, die erneut erweitert wurden. Neben den bekannten Instrumenten der Kronzeugenanträge (nun geregelt in § 81i GWB), Hinweisgebersysteme und Zeugenvernehmungen, stehen vor allem Durchsuchungen unter einem neuen Vorzeichen: So wurden die Ermittlungsbefugnisse um einen Auskunftsanspruch erweitert (§ 59 GWB). Auch fand die Digitalisierung Einzug in das behördliche Verfahren: Die sog. e-Discovery, d.h. die Durchsuchung der IT-Einrichtung von Unternehmen, wurde in den letzten Jahren, u.a. durch den Einsatz von e-Discovery Software, intensiviert. Im Jahr 2019 wurden rund 14,9 Terrabyte IT-Asservate durchsucht.

Geschäftsführer sind verpflichtet, ihre Compliance-Systeme diesen rechtlichen und technischen Entwicklungen sowie den Anforderungen des BKartA anzupassen und ihr Unternehmen entsprechend vorzubereiten. Sie haften nicht nur bei eigener Beteiligung an einem Verstoß, sondern auch, wenn sie ihren Aufsichtspflichten nicht genügen, d.h. die Zuwiderhandlung nicht verhindert haben. Auch droht eine Schadensersatz-haftung gegenüber dem Unternehmen.

Das BKartA hat sich zu seinen Anforderungen noch nicht klar positioniert. Eine Veröffentlichung entsprechender Standards wird zeitnah erwartet. Bis dahin können Geschäftsführer bspw. auf die Leitlinie „Kartellrechtliche Compliance“ des Compliance-Verbands DICO oder den Leitfaden „Wettbewerbliche Compliance“ der Kommission zurückgreifen, die allerdings im Detail noch auf das Unternehmen angepasst werden müssen.

Zu den Elementen effektiver Compliance zählen u.a. die Schulung und Sensibilisierung von Mitarbeitern, stichprobenartige Prüfung von Dokumenten (ggf. mittels e-Discovery), Audits, gezielte Risikoanalysen, Einrichtung von Warn- und Kontrollsystemen, regelmäßige Updates sowie unternehmensinterne Konsequenzen gegenüber Kartelltätern. Bestehende Compliance-Missstände sind abzustellen. Die Abstellung ist zu dokumentieren.

10. Fazit
Die vorgenannten rechtlichen, technischen und prozessualen Entwicklungen bieten Chancen, bergen aber auch Risiken. Einerseits zahlen sich künftig effektive Compliance-Programme, die sowohl vor als auch nach einem Verstoß ergriffen wurden, in Form einer Bußgeldreduzierung aus. Andererseits steigen die Compliance-Anforderungen an die Geschäftsführer hinsichtlich der Verbandstätigkeit und den Verhaltensanforderungen bei kartellrechtlichen Durchsuchungen. Die Implementierung eines wirksamen Compliance-Systems dürfte Geschäftsführer vor besondere Herausforderungen stellen.