Neues Kartellrecht für den Umgang mit Wettbewerbern. Ein Überblick über die wichtigsten Neuerungen

Das europäische Kartellrecht wird derzeit von der Kommission in einigen Bereichen überarbeitet. So wurden gerade die Vertikal- Leitlinien reformiert. Darin wird die Zulässigkeit von wettbewerblichen Beschränkungen wie Wettbewerbsverbote in Lieferverträgen geregelt.

Auch die Horizontal-Leitlinien werden überarbeitet. Nach derzeitigem Stand treten die neuen Leitlinien Mitte des Jahres in Kraft. Bekanntermaßen dürfen Wettbewerber Parteien keine Preise festlegen oder Märkte aufteilen. Auch der Austausch bestimmter Informationen kann einen schwerwiegenden Kartellrechtsverstoß darstellen.

Allerdings sind natürlich nicht Wettbewerberkontakte an sich unzulässig. Die Leitlinien regeln die Voraussetzungen für zulässige Wettbewerberkontakte. Wichtig sind etwa die Vorgaben dazu, welche Informationen in welcher Form ausgetauscht werden dürfen. Die Leitlinien enthalten darüber Bedingungen für die Kooperationsformen: Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen, Produktionsvereinbarungen, Einkaufsvereinbarungen, Vermarktungsvereinbarungen und Normenvereinbarungen.

Wie nah legales und illegales Verhalten beieinander liegen, zeigt das Beispiel der Einkaufskooperation. Unternehmen dürfen grundsätzlich keine Einkaufspreise austauschen und diese auch nicht absprechen (Nachfragekartell). Soweit sie die Voraussetzungen der Leitlinien beachten, dürfen sie aber eine Einkaufskooperation bilden.

Für Unternehmen ist es wichtig, Kartellverstöße bei der Interaktion mit potenziellen Wettbewerbern zu vermeiden. Hierfür stellen die Leitlinien eine wichtige Orientierungshilfe dar und enthalten Hinweise darauf, wie die Kommission die üblichsten Formen von Vereinbarungen bewertet. Rechtssicherheit muss insbesondere in den Bereichen bestehen, in denen Verstöße mit hohen Bußgeldern geahndet werden können.

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichen Aspekte, die bei einer Kooperation zu beachten sind und weist auf die im Entwurf enthaltenen wesentlichen Neuerungen hin. Die endgültige Fassung der neuen Horizontalleitlinien liegt noch nicht vor.

Informationsaustausch

Die Leitlinien enthalten einige Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen ein Informationsaustausch zwischen Unternehmen mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar ist. Unter den Begriff des Informationsaustauschs fallen sowohl der direkte als auch der indirekte Datenaustausch zwischen Wettbewerbern.

Ein solcher Austausch ist unter anderem dann wettbewerbsrechtlich bedenklich, wenn die Informationen Hinweise auf Marktstrategien von Wettbewerbern beinhalten oder zum Zweck der Preisfestsetzung ausgetauscht werden. Allerdings kann nicht nur der beiderseitige Austausch zu wettbewerbsrechtlichen Schwierigkeiten führen, vielmehr kann schon die einseitige Offenlegung einen Kartellverstoß begründen, wenn der Wettbewerber diese akzeptiert.

Im Rahmen des Entwurfs der neuen Horizontal-Leitlinien erweitert die Kommission den Katalog der Informationen, deren Austausch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung bewertet wird. Liegt einsolcher Datenaustausch vor, muss für die Feststellung eines Kartellverstoßes kein Nachweis mehr über die wettbewerblichen Auswirkungen geführt werden.

Zudem enthält der Entwurf weiterführende Anmerkungen zu verschiedensten Aspekten des Informationsaustauschs, wie beispielsweise zu der Abgrenzung zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Informationen und der Einordnung eines Austauschs im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen (z. B. zum Einsatz eines Clean Teams).

Nachhaltigkeit

Bisher bestand im Bereich der Nachhaltigkeitsvereinbarungen eine Rechtsunsicherheit in Bezug auf die wettbewerbsrechtliche Bedeutung. Dies hinderte Unternehmen in der Vergangenheit häufig daran, sich gemeinsam für nachhaltige Produktion einzusetzen. Dies ändert sich mit dem Entwurf der überarbeiteten Horizontal-Leitlinien, welcher einen neuen Abschnitt zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen enthält.

Unter den Begriff der Nachhaltigkeit fallen nach dem neuen Entwurf nicht nur umweltrechtliche Aspekte wie die Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch soziale Gesichtspunkte wie die Achtung der Menschenrechte.

Der Entwurf der überarbeiteten Horizontal- Leitlinien enthält eine nicht abschließende Liste von Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Kommission es als unwahrscheinlich bewertet, dass eine Vereinbarung den Wettbewerb beeinträchtigt. Dadurch wird ein sogenannter „soft safe harbour“ geschaffen.

Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass ein effektiver und nicht diskriminierender Zugang zu Nachhaltigkeitsstandards gewährleistet wird und eine Freiheit für die Unternehmen bestehen bleibt, höhere Standards anzuwenden.

Gemeinsame Produktion

Im Rahmen von Produktionsvereinbarungen können Unternehmen beispielsweise vereinbaren, dass die Produktion von nur einer Partei übernommen wird oder in einem Gemeinschaftsunternehmen produziert wird.

Denkbar ist auch eine Zuliefervereinbarung, bei der die eine Partei die andere mit der Herstellung einer Ware beauftragt.

Horizontale Zuliefervereinbarungen werden von Unternehmen geschlossen, die auf demselben Produktmarkt tätig sind.

Produktionsvereinbarungen können zu einer Koordinierung des Wettbewerbs oder darüber hinaus zu einer wettbewerbswidrigen Verschließung des Marktes gegenüber Dritten führen und deshalb kartellrechtlich bedenklich sein.

Einkaufsvereinbarungen

Vereinbarungen über den gemeinsamen Einkauf von Produkten werden von Unternehmen häufig zu dem Zweck geschlossen, Nachfragemacht zu schaffen. Unter bestimmten Umständen können solche Vereinbarungen Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken geben, insbesondere da sich der Anreiz für einen Preiswettbewerb auf den Verbrauchermärkten für die beteiligten Unternehmen erheblich verringert. Verfügen die beteiligten Unternehmen auf den Verkaufsmärkten nicht über Marktmacht, ist es weniger wahrscheinlich, dass Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken besteht.

Der Entwurf der überarbeiteten Horizontal- Leitlinien enthält neue Hinweise zur Abgrenzung zwischen verbotenen Einkaufskartellen und zulässiger Einkaufskooperation. Bestehen bleibt die Marktanteilsgrenzen für unbedenkliche Kooperationen in Höhe von 15 % (safe harbour).

Vermarktungsvereinbarungen

Treffen Unternehmen mit ihren Wettbewerbern Vereinbarungen in Bezug auf den Verkauf, den Vertrieb oder die Verkaufsförderung ihrer untereinander austauschbaren Produkte, handelt es sich dabei um Vermarktungsvereinbarungen. Sie können wettbewerbsrechtlich problematisch sein, wenn sie etwa zu Preisfestsetzungen oder Beschränkungen der Produktionsmenge führen.

In diesem Bereich enthält der Entwurf neue Hinweise zu Besonderheiten bei Vermarktungsvereinbarungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie einen neuen Abschnitt zu Bieterkonsortien, in welchem hilfreiche Klarstellungen enthalten sind.

Vereinbarungen über Normen/Standards

Bei Vereinbarungen über Normen und Standards tauschen sich Unternehmen im Wesentlichen über technische oder qualitätsbezogene Anforderungen in verschiedensten Bereichen aus. Dies betrifft insbesondere Anforderungen an Produkte, Herstellungsverfahren, Dienstleistungen und Methoden. Solche Vereinbarungen wirken sich zwar in der Regel sehr positiv auf die Wirtschaft aus, können aber unter anderem den Preiswettbewerb beeinträchtigen und daher wettbewerbsrechtlich ebenfalls problematisch sein.

Für diese Art der Vereinbarungen finden sich im Entwurf ebenfalls Neuerungen. Die überarbeiteten Horizontal-Leitlinien enthalten mehr Elemente zur Beurteilung, wann die Lizenzgebühr für standardessentielle IPRechte als fair, angemessen und nicht diskriminierend anzusehen sind. Zudem schaffen sie für Unternehmen mehr Flexibilität, da eine Beschränkung der Teilnehmer an der Entwicklung einer Normungsvereinbarung künftig in bestimmten Fällen zulässig sein kann.

Praxishinweis

Für die Geschäftsführung eines Unternehmens ist es wichtig zu wissen, in welchen Konstellationen eine kartellrechtliche Prüfung erfolgen muss. Im Grundsatz gilt hier die Daumenregeln, dass bei jeder Art von Wettbewerberkontakten und Kooperationen mit Wettbewerbern klar sein muss, welche Vorgaben das Kartellrecht aufstellt und ob diese erfüllt werden.

Hierzu gehört auch, dass schon vor Anbahnungsgesprächen eine Schulung der agierenden Mitarbeiter dazu erfolgen sollte, welche Themen die Mitarbeiter besprechen dürfen und welche nicht.

Für die Compliance-Arbeit im Unternehmen ist es wichtig, die internen Leitfäden vor dem Hintergrund des oben skizzierten neuen Rechts zu aktualisieren.