Neue Voraussetzungen für die Eigenverwaltung

Dr. Christian Kaufmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, PLUTA Rechtsanwalts GmbH

Das Sanierungsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG), das zum 01.01.2021 in Kraft getreten ist, hat nicht nur ein viel diskutiertes außergerichtlichen Sanierungsverfahren durch das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) gebracht – welches leider in letzter Minute zahlreiche Streichungen im Vergleich zum mutigen Referentenentwurf hinnehmen musste und daher zu Recht nicht (mehr) als der große Wurf angesehen wird –, sondern daneben auch umfangreiche Änderungen der Insolvenzordnung. Dazu gehören insbesondere auch die §§ 270 bis 270f InsO, die das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung modifizieren und den Zugang zum Verfahren unter deutlich erhöhte Anforderungen stellen.

Verschärfungen Ergebnis der Evaluation  des ESUG

Diese erhöhten Anforderungen sind das Ergebnis der Evaluation des ESUG – dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen –, die in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführt wurde.

Das ESUG war bekanntlich im Jahr 2012 angetreten, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sanierung notleidener Unternehmen zu verbessern und zu verhindern, dass das Insolvenzverfahren – wie in der Vergangenheit oft – in der Liquidation endet – was freilich nicht am Insolvenzverfahren an sich liegt, sondern daran, dass zumindest in der Vergangenheit Insolvenzanträge regelmäßig deutlich zu spät gestellt wurden und dann schlicht „nichts mehr zu retten“ war.

Daher sollten Anreize gesetzt werden, das Insolvenzverfahren frühzeitig zur Sanierung seines Unternehmens zu nutzen. Hierzu hat das ESUG den Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren erleichtert – nach dem neuen Gesetzeswortlaut sollte das Eigenverwaltungsverfahren künftig der Regelfall sein – und insbesondere auch schon im Antragsverfahren die Möglichkeit geschaffen, das Verfahren in Eigenverantwortung unter Aufsicht eines (vorläufigen) Sachwalters abzuwickeln. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG gab es das Institut der Eigenverwaltung zwar auch schon, die Anordnung war jedoch die Ausnahme, und vor allem musste in der wichtigen Phase des Antragsverfahrens, in dem die Weichen für das Gelingen der Sanierung gestellt werden, zwingend ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden, war das Unternehmen also unter Fremdverwaltung.

Der Vorteil der Eigenverwaltung aus Sicht der Geschäftsleitung liegt auf der Hand: Die Geschäftsleitung bleibt von Beginn an verwaltungs- und verfügungsbefugt und kann die Sanierung – unter Aufsicht eines Sachwalters – weitgehend eigenständig durchführen. Der Sachwalter fungiert hierbei lediglich als Überwachungsorgan mit grundsätzlich geringen Kompetenzen, die im Einzelfall jedoch durch das Gericht erweitert werden können.

Diese Zielsetzung des ESUG ging in der Praxis auch weitgehend auf. So hat sich das Eigenverwaltungsverfahren seit Inkrafttreten des ESUG zumindest in größeren Verfahren als das Regelverfahren durchgesetzt. Es gibt kaum ein Großverfahren, welches heute nicht zumindest als Eigenverwaltungsverfahren startet. Das Eigenverwaltungsverfahren wird heute von vielen Unternehmen als wichtiges Sanierungstool gesehen.

Andererseits zeigten sich auch Schattenseiten, insbesondere zu Beginn des neuen Rechts. „5 vor 12“-Eigenverwaltungen frei nach dem Motto „Wenn schon Insolvenz, dann aber bitte in Eigenverwaltung“ ohne großartige Vorbereitung des Verfahrens, „Family and Friends“-Gläubigerausschüsse, viele von vornherein nicht für ein Eigenverwaltungsverfahren geeignete Fälle, die dann alsbald mehr oder weniger desaströs in ein Regelinsolvenzverfahren überführt werden mussten (hiervon zu unterscheiden sind allerdings Verfahren, die nach Abschluss der Sanierung für die Restabwicklung bewusst  in ein Regelinsolvenzverfahren überführt werden) und die Tatsache, dass eine einmal angeordnete Eigenverwaltung nur unter engen Voraussetzungen wieder aufgehoben werden konnte, führten bei vielen am Insolvenzgeschehen Beteiligten, insbesondere auch vielen Insolvenzgerichten, dazu, dass es zum Teil erhebliche Vorbehalte gegen Eigenverwaltungsverfahren gab (und gibt).

Dabei kann ein Eigenverwaltungsverfahren ein ausgesprochen gutes Sanierungsinstrument sein, nämlich dann, wenn es von seriösen Beratern frühzeitig angegangen und gut vorbereitet wird. Dann kann das Unternehmen die vielfältigen Sanierungsinstrumente der Insolvenzordnung, die es nach den Streichungen des StaRUG (siehe oben) weiterhin nur im Insolvenzverfahren gibt und auf die weiter unten noch eingegangen wird, für die Eigensanierung nutzen und damit oft gute Ergebnisse nicht nur für die Gesellschafter, sondern auch die sonstigen Stakeholder, insbesondere die Insolvenzgläubiger, erzielen.

An den Schwachstellen der bisherigen Regelungen setzen die Neuregelungen an. Mit den Neuregelungen soll dem Missbrauch des Eigenverwaltungsverfahren vorgebeugt werden und es soll nur solchen Unternehmen der Zugang zum Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung erlaubt werden, die hierfür auch geeignet sind. Dadurch soll vor allem das Ansehen und die Wahrnehmung dieses speziellen Insolvenzverfahrens am Markt geschützt werden.

Die neuen Regelungen gelten grundsätzlich für alle Verfahren, die nach dem 1. Januar 2021 beantragt werden. Eine Sonderregelung gibt es für besonders von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen gelten für sie die weniger strengen Regelungen nach bisher geltendem Recht.

Kernelement der neuen Regelungen: Die Eigenverwaltungsplanung

Während es nach alten Recht ausreichend war, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger  führen wird, hat das Gesetz die Anforderungen nun erheblich verschärft.

Nach den neuen Vorschriften ist die Eigenverwaltung nur noch anzuordnen, wenn die Anordnungsvoraussetzungen für die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b InsO vorliegen und kein Aufhebungsgrund nach § 270e InsO gegeben ist. Als Kernelement muss der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung dabei eine sogenannte „vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung enthalten, die auf zutreffenden Tatsachen beruht (§ 270b Abs. 1 InsO).

Diese Eigenverwaltungsplanung muss nach dem neuen Gesetz (§ 270a InsO) insbesondere folgende Punkte umfassen:

  • einen Finanzplan, der den Zeitraum von sechs Monaten abdeckt und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen  enthält, durch welche die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Verfahrens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll,
  • ein Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Eigenverwaltung und die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Ziels in Aussicht genommen werden,
  • eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, den am Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen,
  • eine Darstellung der Vorkehrungen, die der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, insolvenzrechtliche Pflichten zu erfüllen, und
  • eine begründete Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten, die im Rahmen der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren und im Verhältnis zur Insolvenzmasse voraus-sichtlich anfallen werden.

Neben diesen wesentlichen Elementen muss die Eigenverwaltungsplanung unter anderem auch eine Angabe zu Zahlungsrückständen gegenüber bestimmten Gläubigern, wie z.B. Arbeitnehmer und
Sozialversicherungsträgern (§ 270a Abs. 2 Nr. 1 InsO), und über die Einhaltung von Buchführungsvorschriften (§ 270a Abs. 2 Nr. 3 InsO) enthalten.

Diese Anforderungen belegen zum einen, dass eine Eigenverwaltung künftig in jedem Fall erhebliche Vorbereitung benötigt, zu der sich das Unternehmen in aller Regel sachverständiger Berater bedienen muss. Ferner darf sich das Unternehmen nicht bereits in einem erheblichen Vermögensverfall befinden, sondern muss die wesentlichen Verpflichtungen (Arbeitnehmer, Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Lieferanten, Buchführungspflichten) zumindest noch weitgehend erfüllen (vgl. § 270b Abs. 2 Nr. 1, 3 InsO). Will die Geschäftsleitung die Eigenverwaltung nutzen, muss sie also frühzeitig diese Sanierungsalternative in Betracht ziehen und ggf. auch umsetzen; bei nicht rechtzeitiger Befassung droht sonst am Ende das Regelinsolvenzverfahren unter Fremdverwaltung, in dem die Geschäftsleitung kaum noch Einfluss auf den Verlauf der Sanierung hat. „5 vor 12“-Eigenverwaltungen, womöglich noch ohne insolvenzrechtlichen Sachverstand in der Geschäftsleitung, gehören damit der Vergangenheit an.

Leistungswirtschaftliche Sanierungsinstrumente in der Insolvenzordnung

Die Eigenverwaltung ist als Sanierungsinstrument auch deshalb so interessant, weil durch sie dem Unternehmen sämtliche Sanierungsinstrumente des Insolvenzrechts, die es so nur innerhalb eines Insolvenzverfahrens gibt, offenstehen – und dies bereits frühzeitig, nämlich im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit, also bis zu 24 Monate vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und damit zu einem Zeitpunkt, bei der in aller Regel noch sehr gute Voraussetzungen für einen nachhaltigen Turnaround des Unternehmens bestehen. Die Sanierungsinstrumente der Insolvenzordnung sind hierbei nicht nur finanzwirtschaftlicher, sondern auch leistungswirtschaftlicher Art.

Dies sind zum einen die Regelungen über das Insolvenzgeld, die das Unternehmen im Antragsverfahren von den Personalkosten für bis zu drei Monate entlastet und ihm damit auch finanziell Luft verschafft, um notwendige Sanierungsmaßnahmen umzusetzen.

Weiter sind zu nennen die Vorschriften über die zeitnahe Beendigung von ungünstigen Verträgen (§§ 103 ff. InsO), seien es ungünstige Lieferverträge oder auch Verträge mit Kunden, oder – besonders praxisrelevant – Mietverträge über bewegliche und vor allem unbewegliche Gegenstände; letztere können mit einer Frist von maximal drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden (§ 109 InsO).

Der Referentenentwurf des StaRUG sah eine Beendigungsmöglichkeit von gegenseitigen noch nicht vollständig erfüllten Verträgen (insbesondere Dauerschuldverhältnissen) ebenfalls noch vor, dies ist jedoch letztlich nicht Gesetz geworden. Damit bleibt es dabei, dass die Beendigung von nachteiligen Verträgen, insbesondere langfristigen Mietverträgen, nichtkonsensual nur im Insolvenzverfahren möglich ist.

Ferner sind die Vorschriften des Insolvenzarbeitsrechts zu nennen, die deutliche Vorteile gegenüber einem Personalabbau außerhalb der Insolvenz bieten. So beträgt die maximale Kündigungsfrist im Insolvenzverfahren drei Monate (§ 113 InsO). Das Volumen eines Sozialplans ist zweifach gedeckelt: Maximal zweieinhalb Monatsverdienste, jedoch maximal ein Drittel der Masse, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde (§ 123 Abs. 1 und 2 InsO). Und schließlich ist die Sozialauswahl insoweit erleichtert, als bei einem Interessenausgleich mit Namensliste diese nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann und nicht nur eine ausgewogene Personalstruktur erhalten, sondern auch geschaffen werden kann (§ 125 InsO).

Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Sanierungsinstrumente, wie das Rückgängigmachen nachteiliger Rechtshandlungen (§§ 129 ff. InsO) oder zahlreiche Einschränkungen von Vollstreckungen.

Fazit: Frühzeitige Befassung notwendig

Mehr denn je gilt, dass sich Geschäftsleiter frühzeitig, bei ersten Krisenanzeichen, mit möglichen Sanierungsoptionen beschäftigen sollten. § 1 StaRUG sieht eine entsprechende Pflicht der Geschäftsleiter zur Krisenfrüherkennung und zum Ergreifen geeigneter Maßnahmen auch ausdrücklich vor. Vor allem stehen jedoch nur dann dem Unternehmen noch sämtliche Krisenbewältigungsoptionen zur Verfügung – von der außergerichtlichen Sanierung über das StaRUG bis ggf. zum Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Welcher Sanierungsweg für das Unternehmen in der konkreten Situation die beste Option ist, welche Vor- und Nachteile es gibt und was alles zu beachten ist, bedarf regelmäßig eingehender Beratung durch versierte Experten.

Die Verschärfungen der Zugangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung ist dabei grundsätzlich zu begrüßen. Zwar gelangen in der Vergangenheit auch manche Sanierungen in „5 vor 12“-Eigenverwaltungen. Grundsätzlich ist der in der Anordnung der Eigenverwaltung liegende Vertrauensvorschuss jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn das Eigenverwaltungsverfahren rechtzeitig und gewissenhaft vorbereitet worden ist, bevor es zu dem mit einer akuten Zahlungsunfähigkeit verbundenen Handlungsdruck kommt. Denn nur dann sind die Sanierungschancen auch am höchsten.

Nach wie vor gilt: Je früher man das Thema Krisenbewältigung professionell angeht, umso eher hat die beabsichtigte Sanierung Aussicht auf Erfolg.