Moderne Konzernsteuerung und die Konzernrichtlinie als flexibles Instrument

I. Einleitung
Unternehmen bedienen sich zunehmend kreativer Instrumente, um den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden und klare Organisationsstrukturen zu schaffen, mit dem Ziel, die Agilität der Unternehmensgruppe zu steigern. Dabei werden Instrumente gesucht, die der eigenen Unternehmensstruktur und -kultur am besten entsprechen. Dadurch sollen die Prozesse in der Gruppe – von Einkauf über Produktion bis Jahresabschlusserstellung – vereinfacht und optimiert werden. Dies gilt insbesondere für die Konzernsteuerung. Ohne strukturierte Konzernsteuerung wird in den meisten Unternehmensgruppen je nach Größe entweder ad hoc oder aufgrund umfangreicher Zustimmungskataloge auf Ebene jeder Konzerngesellschaft zeitintensiv kaskadenförmig gelebt.

II. Moderne Konzernsteuerung
Die Ineffizienzen und Langatmigkeit dieser Prozesse vor allem vor dem Hintergrund der heutigen schnellen Marktentwicklungen haben dazu geführt, dass immer mehr Unternehmensgruppen eine Veränderung ihrer Strukturen wagten und neue Formen von Konzernsteuerung und -leitung suchten. Nicht nur große weltweit tätige Konzerne, sondern auch mittelständische Unternehmensgruppen haben ihr Bedürfnis nach flexiblen und klaren Lösungen erkannt. Das klassische Top-down Prinzip hat daher im Laufe der Zeit neue Ausprägungen erhalten. Es bestehen diverse Möglichkeiten, die Entscheidungs- und Berichtswege zu verkürzen und dadurch die Prozesse im Konzern zu vereinfachen und beschleunigen.

1. Matrixstrukturen
Viele Unternehmensgruppen bedienen sich Matrixstrukturen¹. Bei diesen werden Matrixmanager, die bei der Muttergesellschaft oder bei einer anderen Konzerngesellschaft angesiedelt sind, mit gesellschaftsrechtlichen und/oder arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnissen gegenüber Geschäftsführern und/oder Arbeitnehmern der Gruppengesellschaften ausgestattet. Die Matrixmanager sind zentral für bestimmte Bereiche im Konzern zuständig und steuern diese Bereiche direkt und konzernweit. Dabei wird die Dimension der gesellschaftsrechtlich vorgegebenen Strukturen zugunsten der Effizienz und Sachkunde verlassen. Diese mehrdimensionale Organisationsstruktur bringt gewisse rechtliche und tatsächliche Herausforderungen und Risiken mit sich, die im Einzelfall zu prüfen und neutralisieren sind.

2. Verselbstständigung von Sparten oder Unternehmensteilen
Andere Unternehmensgruppen sind einen Schritt weiter gegangen und haben sich für die rechtliche und organisatorische Verselbstständigung von Sparten und Unternehmensteilen entschieden. Durch die Ausgliederung von Unternehmensteilen wird eine Holdingstruktur geschaffen, bei der unterhalb der Holdingmuttergesellschaft mehrere selbstständige Tochtergesellschaften entstehen. Der Vorteil dieser Lösung ist, dass Fachwissen und Zuständigkeit in einer Person vereint werden, indem etwa der Bereichsleiter gleichzeitig Geschäftsführer der verselbstständigten Einheit ist.2 Dadurch kann sichergestellt werden, dass die verselbstständigte Einheit rechtlich in der Lage ist, schnell auf neue Entwicklungen in ihrem Marktsegment zu reagieren, den Kerngeschäfts- und Kundenfokus zu stärken und damit konkurrenzfähig zu bleiben.

3. Konzernrichtlinie
Ein weiteres effektives Instrument der modernen Konzernsteuerung ist die Konzernrichtlinie. Bei der Konzernrichtlinie handelt es sich um eine Sammlung von Regeln und Entscheidungswegen und -prozessen, die den Zweck hat, ein einheitliches Handlungsmuster in den gesamten Konzern einzuführen. Im Vergleich zu den anderen zwei beschriebenen Möglichkeiten ist die konzerninterne Richtlinie im Zusammenhang mit der Konzernleitung eher ein Novum. Bislang werden Konzernrichtlinien regelmäßig in anderen Bereichen eingesetzt, z.B. für die Einführung von einheitlichen Compliance- und Verhaltensvorgaben, den sog. Code of Conduct.³ In der Maschinenbauindustrie werden sie oft für die Beschreibung und Festlegung von einheitlichen Entwicklungs- und Freigabeprozessen verwendet. Die Konzernrichtlinie ist aber vor allem ein flexibles Instrument und eignet sich damit hervorragend für die Implementierung von Konzernsteuerungsstrukturen. Unabhängig davon, ob es sich um rein nationale Konzerne oder interna-tionale Unternehmensgruppen handelt, ermöglicht die Konzernrichtlinie eine einfache und einheitliche Umsetzung der Konzernsteuerung. Bei einer Mehrzahl von betroffenen Jurisdiktionen ist dies ein wesentlicher Vorteil.

III. Konzernrichtlinie zur Konzernsteuerung

1. Inhaltliche Ausgestaltung
In einer Konzernsteuerungsrichtlinie können alle für den Konzern relevanten Themen abgebildet werden. Sie kann Weisungszuständigkeiten und Berichtswege definieren, einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte enthalten, Eskalationsmechanismen beschreiben sowie die Grundsätze für die Strategieentwicklung, Projektdurchführung und Planung im Konzern festlegen. Dabei wird in der Regel auf lange rechtliche Ausführungen zugunsten von Klarheit und Transparenz verzichtet. Durch die Konzernrichtlinie sollen gerade die umfangreichen, schwer verständlichen gesellschaftsrechtlichen Regelwerke, die für jede Konzerngesellschaft gelten, praktikabel für das Tagesgeschäft „übersetzt“ werden.

2. Form
Die Konzernsteuerungsrichtlinie kann in Textform ähnlich wie eine Geschäftsordnung ausgestaltet werden. Da aber – mangels gesetzlicher Regelungen – kein bestimmtes Formerfordernis besteht, ist die Unternehmensgruppe in der Ausgestaltung frei. Häufiger wird daher die optisch ansprechende Form einer Präsentation gewählt, die vorwiegend aus Schaubildern und Grafiken besteht. Auf wenigen Folien können alle für die Entscheidungsprozesse im gesamten Konzern wesentlichen Grundsätze komprimiert dargestellt und jedem zugänglich gemacht werden. Dieses Format überzeugt mit seiner Übersichtlichkeit, Verständlichkeit und Alltagstauglichkeit.

3. Umsetzung
Neben der einfachen Handhabung ist die einfache Umsetzung ein weiterer Vorteil der Konzernsteuerungsrichtlinie. Diese wird in der Regel von der Konzernspitze erarbeitet und anschließend einmalig konzernweit eingeführt. Die Anforderungen an die erstmalige Einführung richten sich nach der jeweiligen Rechtsordnung. Nach deutschem Recht wird sie üblicherweise auf Ebene jeder Konzerngesellschaft durch Gesellschafterbeschluss oder durch eine Regelung in der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung oder einem anderen gesellschaftsrechtlichen Dokument eingeführt. Dabei wird in der Praxis nicht statisch auf die von der Konzernspitze erlassene Konzernrichtlinie verwiesen, sondern dynamisch auf die jeweils gültige Fassung. Dies hat zur Folge, dass durch die Konzernspitze später vorgenommene Änderungen der Konzernrichtlinie automatisch für jede Konzerngesellschaft gelten. Sie müssen dann nicht kaskadenförmig zeitintensiv und aufwändig unter Beachtung der Anforderungen der jeweiligen Jurisdiktion erneut implementiert werden. Die Zulässigkeit einer dynamischen Verweisung und die rechtliche Verbindlichkeit einer Konzernrichtlinie sind im Einzelfall in jeder Jurisdiktion zu prüfen.

IV. Fazit

Es wird deutlich, dass Konzerne immer mehr nach einer pragmatischen Lösung suchen, um ihre Agilität und damit ihren Erfolg am Markt zu steigern. Die Konzernrichtlinie zur Regelung der Konzernsteuerung stellt eine solche pragmatische Lösung dar, bei der die faktische Macht der Konzernspitze und nicht die rechtliche Grundlage und Erzwingbarkeit im Vordergrund steht. Von der Transparenz und Flexibilität dieses Instruments profitieren schließlich alle Beteiligten.

1 Näher zum Begriff der Matrixstrukturen vgl. Kort, NZA 2013, 1318; Maschmann/Fritz, Matrixorganisationen, Kapitel 1.A, Rn. 3.
2 Vgl. Kamlah, BB 2003, 109.
3 Vgl. Hölters/Hölters, 3. Aufl. 2017, AktG § 93, Rn. 101