Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bei der Urlaubsgewährung

Dr. Arno Frings, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, und Dr. Stephanie Simokat, Rechtsanwältin, Fringspartners Arbeitsrecht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat uns im vorletzten Jahr mit einer Entscheidung überrascht, die erhebliche Konsequenzen für den Verfall von Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmern mit sich bringt. Unsere bisherige nationale Regelung zum Urlaubsverfall genügt den europäischen Richtern nicht. Alleine die Befolgung des bekannten § 7 Abs. 3 BUrlG führt inzwischen nicht mehr zum Verfall der Urlaubsansprüche der Mitarbeiter. Vielmehr muss der Arbeitgeber selbst aktiv werden, will er den Verfall von nicht beantragten und gewährten Urlaubsansprüchen ermöglichen.

BISHERIGE RECHTSLAGE

Unsere geltende nationale Regelung, die sich mit dem Verfall von Urlaubsansprüchen der Mitarbeiter befasst, sieht vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss, § 7 Abs. 3 BUrlG. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur dann statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub bis zum 31. März des Folgejahres gewährt und genommen werden.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundes-arbeitsgerichts (BAG) verfiel nicht genommener Urlaub unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hatte, den Urlaub zu nehmen nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres, sofern kein Übertra-gungsgrund im Sinne des § 7 Abs. 3 BUrlG gegeben war. Dies galt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres die Ge-währung des Urlaubs verlangte und der Arbeitge-ber den verlangten Urlaub nicht gewährte. Wenn sich der Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung in Verzug befand, trat allerdings an die Stelle des verfallenen Urlaubs ein Schadensersatzanspruch, der die Gewährung von Ersatzurlaub zum Inhalt hatte und hinsichtlich Inanspruchnahme und Abgeltung den Modalitäten des verfallenen Urlaubs unterlag (Vgl. BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16).

ENTSCHEIDUNG DES EUGH UND DARAUFFOLGEND DES BAG

Im Jahr 2018 entschied der EuGH, dass die natio-nale Regelung samt der darauf aufbauenden natio-nalen Rechtsprechung der geltenden europäischen Richtlinie, auf der unser nationales Urlaubsrecht basiert, widerspricht.

Eine nationale Regelung, wie § 7 Abs. 3 BUrlG, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugs-zeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zu-stehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verliert, ließe sich nicht, so der EuGH, mit der europäischen Richtlinie in Einklang bringen. Der Arbeitgeber könne sich auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers vielmehr ausschließlich dann berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen habe, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird.

Für die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten obliegt dem Arbeitgeber die Beweislast. Erbringe der Arbeitgeber den ihm in-soweit obliegenden Nachweis und zeige sich daher, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht ge-nommen hat, stehe die Richtlinie dem Verlust des Urlaubsanspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem Wegfall der fi-nanziellen Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen. Auch stellte der EuGH ausdrücklich fest, dass keine Verpflichtung des Arbeitgebers bestünde, den Arbeitnehmer dazu zu zwingen, diesen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen – er muss ihm also keinen „Zwangsurlaub“ erteilen.

Auch stellte der EuGH ausdrücklich fest, dass keine Verpflichtung des Arbeitgebers bestünde, den Arbeitnehmer dazu zu zwingen, diesen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen – er muss ihm also keinen „Zwangsurlaub“ erteilen

Nach dem richtungsweisenden Urteil der europäischen Richter war es Anfang 2019 an unserem höchsten deutschen Arbeitsgericht, dem BAG, diese neuen Grundsätze umzusetzen. Das BAG hat unsere natio-nale Regelung richtlinienkonform ausgelegt. Nunmehr trifft den Ar-beitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubs anspruchs gem. § 7 Abs. 1 BUrlG. Grundsätzlich führt erst die Erfüllung der inzwi-schen bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, zur Möglichkeit des Verfalls des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Bei einem richtlinien konformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG sei die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers damit grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristen regimes, so der erkennende Senat. Der Arbeitgeber müsse sich nach Ansicht des BAG bei Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsan-spruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ genügen.

Hat der Arbeitgeber durch die Erfüllung seiner Mitwirkungsoblie-genheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG vor (dringende betrieb-liche oder in der Person des Arbeitgebers liegende Gründe), wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen. Aber auch nach Ablauf des Übertragungszeitraums kann der Urlaubs anspruch grundsätzlich nur dann untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch inner-halb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt. Auch diesbezüglich trifft den Arbeitgeber demzufolge eine Mitwirkungspflicht.

Aber auch nach Ablauf des Übertragungszeitraums kann der Urlaubsanspruch grundsätzlich nur dann untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt.

KONSEQUENZEN DER ENTSCHEIDUNG

Aus den Entscheidungen folgt, dass der Arbeitgeber nunmehr eine Mitwirkungsobliegenheit zu erfüllen hat, wenn er denn dafür Sorge tragen möchte, dass der Urlaubsanspruch seiner Mitarbeiter auch tat-sächlich verfällt. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, ist der Urlaubs-anspruch der Mitarbeiter nicht befristet, sondern besteht auch über das Ende eines Kalenderjahres fort. Das Bundesarbeitsgericht konstatierte, dass der Arbeitgeber seiner Pflicht dadurch nachkommen könne, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffor-dert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu bean-tragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubs-jahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Ferner wies der Senat daraufhin, dass die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung regelmäßig durch den Hinweis erfüllt seien, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalender-jahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, ge-schieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Entscheidend für die geforderte „Transparenz“ ist, dass jeder Mitarbeiter individuell auf die persönlich für ihn geltende Anzahl an Urlaubstagen hinge-wiesen wird. Abstrakte Angaben etwa im Arbeits-vertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektiv-vereinbarung genügen den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht. Es exis-tiert keine Formvorgabe, die der Arbeitgeber bei der Erfüllung seiner Pflicht einhalten müsste – aus Beweiszwecken empfiehlt sich jedoch selbstver-ständlich zumindest die Einhaltung der Textform.

Zwar verlangt der Zweck der vom Arbeitgeber zu beachtenden Mitwirkungsobliegenheiten grund-sätzlich nicht die ständige Aktualisierung dieser Mitteilungen, etwa anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs. Dennoch sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen ein Arbeitgeber seine zu Beginn des Jahres bereits durchgeführte Mittwirkungsobliegenheit im Laufe des Jahres noch einmal wiederholen muss. In Be-tracht kommt dies beispielsweise, wenn ein Mit-arbeiter im Herbst des Jahres noch immer seinen gesamten Jahresurlaub zur Verfügung stehen und noch keinen Urlaub beantragt hat. Wichtig ist, dass die Pflicht des Arbeitgebers für jedes Urlaubsjahr auf Neue erfüllt werden muss – auch mit Hinweis auf die übertragenen Resturlaubsansprüche aus dem vorangegangenen Kalenderjahr.

Immer wieder wird diskutiert, ob die erforderlichen Angaben auf die Entgeltabrechnung gedruckt wer-den können oder ob es möglich ist, die Mit arbeiter im Rahmen des Arbeitszeiterfassungssystems ent-sprechend zu unterrichten. Zunächst ist bereits fraglich, ob die Informationen in einem gesonderten Schreiben erfolgen müssen. Sofern die Trans parenz auch ohne ein gesondertes Schreiben eingehalten werden kann, erscheint es unserer Ansicht nach nicht er-forderlich, ein gesondertes Schreiben zu fordern. Der EuGH verweist jedoch ausdrücklich auf die „völlige Transparenz“, sodass nicht jedes Schreiben oder jeder Hinweis ohne besondere Kenntlichmachung den Grundsätzen entsprechen dürfte. Hinzu kommt, dass sowohl in der Entgeltabrechnung als auch in einem Arbeitszeiterfassungssystem in der Regel nicht ausreichend Platz vorhanden sein dürfte, um tatsäch-lich auf sämtliche erforderlichen Informationen, die der EuGH fordert, hinzuweisen. Darüber hinaus ist auch zwingend darauf zu achten, ein Beweismittel in den Händen halten zu können, für den Fall, dass ein Mitarbeiter – wahrheitswidrig – behauptet, nicht entsprechend der europarechtlichen Vorgaben unterrichtet worden zu sein.

Darüber hinaus ist auch zwingend darauf zu achten, ein Beweismittel in den Händen halten zu können, für den Fall, dass ein Mitarbeiter – wahrheitswidrig – behauptet, nicht entsprechend der europarechtlichen Vorgaben unterrichtet worden zu sein.

Entgeltabrechnung als auch in einem Arbeitszeiterfassungssystem in der Regel nicht ausreichend Platz vorhanden sein dürfte, um tatsäch-lich auf sämtliche erforderlichen Informationen, die der EuGH fordert, hinzuweisen. Darüber hinaus ist auch zwingend darauf zu achten, ein Beweismittel in den Händen halten zu können, für den Fall, dass ein Mitarbeiter – wahrheitswidrig – behauptet, nicht entsprechend der europarechtlichen Vorgaben unterrichtet worden zu sein.

Entspricht der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nicht, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Beide Urlaubsansprüche stehen gleichwertig nebeneinander, so das BAG. Für beide Urlaubsansprüche gelten die Regelungen des § 7 Abs. 1, 3 BUrlG, sodass auch dieser Urlaubsanspruch zum Ende des Folge-jahres untergeht, sofern der Arbeitgeber in diesem Urlaubsjahr seiner Mitwirkungsobliegenheit nachkommt und korrekt über Bestand und Verfall des Urlaubs informiert hat. Explizit weist das BAG daraufhin, dass der Arbeitgeber das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubs-ansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden könne, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeit-nehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw.im Fall des Vorliegens eines Übertragungstatbestandes und erneuter Unterrichtung, am 31. März des folgenden Jahres. Fehlt es hingegen auch im folgenden Urlaubsjahr an einer ordnungsgemäßen Mitwirkung des Arbeitgebers, so verfällt der Urlaub weiterhin nicht. Es kommt, so das BAG, zu einer uneingeschränkten Kumulation der Urlaubsansprüche. Es greifen weder einzel- oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen (§ 13 BUrlG) und überdies verjährt der Urlaubsanspruch nicht.

FAZIT

Diese vom EuGH den Arbeitgebern neu aufgebürdete Pflicht führt zu einem erheblichen administrativen Aufwand – wenn man sie denn tatsächlich befolgen will. Es stellt sich durchaus die Frage, ob diese Mitwirkungsobliegenheit tatsächlich erfüllt wird oder ob nicht darauf geachtet wird, sofern möglich, dass die Mitarbeiter den ihnen zuste-henden Urlaub nehmen. An dieser Stelle darf durchaus auch auf die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht hingewiesen werden.

Wird entschieden, der Pflicht nachzukommen, so gilt die Pflicht grundsätzlich […] die jedoch den Anschein des Wandelns macht – (noch) ausschließlich für den gesetzlichen Urlaubsanspruch, sofern die Arbeitsvertragsparteien etwas Abweichendes für den Zusatzurlaub vereinbart haben.

Wird entschieden, der Pflicht nachzukommen, so gilt die Pflicht grund sätzlich – zumindest nach bisherigen EuGH-Rechtsprechung, die jedoch den Anschein des Wandelns macht –(noch) ausschließ-lich für den gesetzlichen Urlaubsanspruch, sofern die Arbeits-vertragsparteien etwas Abweichendes für den Zusatzurlaub verein-bart haben. Wurde vereinbart, dass der Zusatzurlaub am Ende des Kalenderjahres verfällt, so müsste wohl nicht auf den Verfall explizit hingewiesen werden. Nichtsdestotrotz empfiehlt es sich selbstverständlich, auch auf den Verfall des Zusatzurlaubs hinzuweisen, wenn ohnehin die Arbeit betrieben wird, grundsätzlich über den Verfall der Urlaubsansprüche zu unterrichten.