Ist das Insolvenzrisiko in der D&O-Versicherung ein show stopper?

Franz M. Held, Mitglied der Geschäftsleitung VOV GmbH

Die (Unternehmens-) „D&O“-Versicherung ist ein nicht mehr hinwegzudenkendes Versicherungs-produkt (ausf. Held in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 6. Aufl., Kap. 33). Eine D&O-Police schützt vor den finanziellen Folgen einer persönlichen Haftung von Organmitgliedern -insbesondere Geschäftsfüh-rerinnen/Geschäftsführern- für den Fall, dass sie wegen einer bei Ausübung ihrer Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung für den daraus resultie-renden Vermögensschaden persönlich in Anspruch genommen werden. Da das deutsche Haftungsrecht sehr streng ist und einem Geschäftsführer keine gesetzlichen Haftungsprivilegien zu teil wer-den, sind Managerhaftungsfälle schon längst kein bloß nur theoretisches Thema mehr.

Und so gibt es auch einen entsprechend hohen Absicherungs-bedarf. Mit der Etablierung des Produktes hat sich gerade für das Mittelstandsgeschäft ein hart umkämpftes Marktumfeld mit über 20 Anbietern er-geben. Die Prämien bewegten sich über viele Jahre stetig nach unten, während die Bedingungen stetig immer mehr aufgebläht worden sind. So sind auch zunehmend Deckungselemente zugunsten des Unternehmens selbst in die D&O-wordings auf-genommen worden. Diese Entwicklung gipfelt in der sog. „Eigenschaden-Deckung“, wonach sogar dann Versicherungsschutz unter einer D&O-Police gewährt wird, wenn der Geschäftsführer überhaupt nicht haftet – weil ihm beispielsweise wirksam Entlastung erteilt worden ist. Die Versicherungssumme steht dann für ein Risiko zur Verfügung, welches mit dem Schutz des Privatver mögens der Ge-schäftsführer nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Aber der Trend zu immer mehr für immer weniger scheint für die D&O-Versicherung zunächst einmal aufgehalten zu sein. Es zeichnet sich die Tendenz zu einer allmählichen Marktverhärtung ab. Denn nach Veröffentlichungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) haben die D&O-Versicherer zuletzt tief rote Zah-len produziert (Fromme in suedeutsche.de vom 7.10.2019). Ein wesentlicher Schadentreiber sind dabei die Unternehmensinsolvenzen und die daraus resultierenden Managerhaftungsansprüche der Insolvenzverwalter.

Im Falle der Insolvenz einer GmbH besteht für die Mitglieder der Geschäftsführung das Risiko einer Haftungsinanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter aus § 64 Satz 1 GmbHG. Grundsätzlich haften diese ab dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (Insolvenzreife) für jede geleistete Zahlung. Die Haftung tritt selbst dann ein, wenn sie die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung in nur fahrlässiger Weise nicht erkannt haben. Da die Praxis zeigt, dass der Eintritt der Insolvenzreife nicht selten einen längeren Zeitraum zurückliegt, erreichen die Ansprüche gegen den Geschäftsführer schnell existenzgefährdende Summen im Millionenbereich. Hinweis: Mit der jetzt erfolgten Verkündung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfah-rensrecht treten die Vorschriften zur Aussetzung der Insolvenzantragspflichten in Kraft.

Das Gesetz sieht im Bereich des Insolvenzrechts fünf Maßnahmen vor:

1. Die haftungsbewehrte und teilweise auch strafbewehrte dreiwöchige Insolvenzantragspflicht wird vorübergehend bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nur für Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht. Zudem soll erforderlich sein, dass Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Antragspflichtige Unternehmen sollen die Gelegenheit erhalten, ein Insolvenzverfahren durch In-anspruchnahme staatlicher Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finan-zierungsvereinbarungen, abzuwenden.

2. Geschäftsleiter haften während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens vornehmen.

3. Während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an von der COVID19-Pandemie betrof-fene Unternehmen gewährte neue Kredite sind nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzver-schleppung anzusehen.

4. Während der Aussetzung erfolgende Leistungen an Vertragspartner sind nur eingeschränkt an-fechtbar.5. Die Möglichkeit von Gläubigern, durch Insol-venzanträge Insolvenzverfahren zu erzwingen, werden für drei Monate eingeschränkt.

Von wesentlicher Bedeutung ist daher, ob bzw. in-wieweit die D&O-Versicherung diese Haftungsan-sprüche ersetzt. Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.07.2018) hat dazu entschieden, dass solche Zahlungen über die D&O-Versicherung nicht er-stattungsfähig sind und zwar mit der Begründung, dass es ich bei dem Anspruch nach § 64 GmbHG nicht um einen Schadensersatzanspruch handele, sondern um einen Erstattungsanspruch sui gene-ris. Obwohl eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu noch nicht ergangen ist, könnte der D&O-Versicherer sich jedenfalls unter Hinweis auf das OLG-Urteil im Falle von solchen Ansprüchen mit dem Argument, es handele sich nicht um einen unter die Deckung fallenden gesetzlichen Haft-pflichtanspruch, auf Leistungsfreiheit berufen. Die Erkenntnis über diese „Deckungslücke“ hat nun dazu geführt, dass in der einschlägigen Fachpresse letztlich empfohlen worden ist, die D&O-Police daraufhin zu prüfen und ggf. eine Ergänzung des Versicherungsschutzes anzustreben („Der D&O-Versicherungsschutz der Geschäftsleitung bei Zahlungen nach Insolvenz reife“, Dr. Jan Kraayvanger im E-Book GmbH-GF 2019). Konkret bedeutet dies, sich die Mitversicherung von Ansprüchen nach § 64 GmbHG ausdrücklich vom Versicherer bestäti-gen zu lassen, wovon wohl auch nicht wenig Ge-brauch gemacht worden ist. Somit steht fest: Die (meisten) D&O-Versicherer dürften bei Ansprü-chen wegen Zahlungen nach Insolvenzreife im Risiko sein.

Angesichts der attestierten „roten Zahlen“ und vor dem Hintergrund einer prognostizierten Zu-nahme von Unternehmensinsolvenzen bereits in diesem Jahr (https://www.versicherungs bote.de/id/4888468/In-Deutschland-mehr-Firmen pleiten-erwartet/) stellt sich die Frage, ob überhaupt noch bzw. in welchem Rahmen künftig D&O-Versicherungsschutz angeboten werden kann. Ist das Insolvenzrisiko in der D&O-Versicherung also ein show stopper?

Folgende Szenarien sind vorstellbar:

1. Die Versicherungsbeiträge werden in verstärk-tem Maße Gegenstand einer kritischen Betrach-tung sein. Denn nach aktueller Sicht wird man zu der Auffassung gelangen können, dass diese nicht (immer) auskömmlich sind bzw. waren. Bei-tragsanpassungen dürften daher vor allem bei exponierten Risiken zu erwarten sein.

2. Sollten die D&O-Anbieter die Beiträge nicht sig-nifikant erhöhen (können), so dürfte es beinahe alternativlos sein, dass jedenfalls die volle Versicherbarkeit von Ansprüchen nach § 64 GmbHG ein Thema der Vergangenheit sein wird. Entweder erfolgt dann ein expliziter Ausschluss dieses Risikos oder man wird für diese Fälle nur noch Abwehrkosten oder ggf. nur noch ein Sublimit zur Verfügung stellen wollen.

3. Die “Bedingungsinflation“ in der (Unterneh-mens-) D&O-Versicherung wird insgesamt aufgehalten und verschiedene Bedingungs-gimmicks – etwa die Eigenschadendeckung – werden neben der Versicherbarkeit der An-sprüche der Insolvenzverwalter gemäß § 64 GmbHG auf den Prüfstand gestellt. Im Ergebnis könnte dies dazu führen, dass sich die Versiche-rer wieder mit der ursprünglichen Motivation für D&O-Versicherungsschutz, nämlich dem Schutz des Privatver mögens der versicherten Organ-mitglieder, beschäftigen müssen und den Ver-sicherungsschutz auch in erster Linie wieder da-ran aus richten werden. Bezüglich des Umfangs eventueller Anpassungen des Umfangs des Ver-sicherungsschutzes sind dann ganz klar solche Anbieter im Vorteil, die in der Vergangenheit bereits “echtes“ Underwriting betrieben haben.

Sofern sich also grundsätzlich auf der Bedingungs- und Prämienseite künftig keine wesentlichen Änderungen abzeichnen sollten, dann werden selbstredend die Unternehmensinsolvenzen als Schadentreiber noch mehr in den Fokus geraten. Und dann werden die D&O-Anbieter sich ganz kon-kret mit der Frage befassen, ob und in welchem Umfang man für die besagten “64er-Ansprüche“ überhaupt noch Versicherungsschutz unter einer D&O-Police anbieten möchte.

Ein show stopper wären erforderlich gewordene Maßnahmen für die versicherten Personen jedoch nicht, da sämtliche Haftungsrisiken im Normalbe-trieb ausreichend und damit auch weiterhin sachgerecht abgesichert werden könnten. Das alles so bleibt wie es ist, ist allerdings nicht zu erwarten. Daher sollte nun erst recht bei jedem Geschäfts-führer das Thema D&O-Versicherungsschutz zur Chefsache erklärt werden.

(Der Autor gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder)