Interview mit Herrn Prof. Dr. Rainer Lindner, Vorstandsvorsitzender der Heine + Beisswenger Gruppe

Herr Prof. Dr. Lindner, wie sehen Sie die Zukunft der Stahlbranche in Deutschland?

Laut des jährlichen Global CEO-Survey, das PwC auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2023 vorgestellt hat, rechnen 82% der CEOs deutscher Unternehmen mit einem Rückgang des globalen Wirtschaftswachstums. Klimawandel, Krieg in Europa, Energiekrise, Inflation sind die häufigsten Gründe für die Eintrübung des bisherigen Optimismus. In Krisen müssen Unternehmen agieren, auch wenn die Risikoabwägung komplizierter wird. Wir alle stehen vor strukturellen und systemischen Aufgaben. Auch die Stahlbranche kommt um die notwendigen Transformationsprojekte, etwa die Digitalisierung und die Dekarbonisierung nicht herum. Die Transformation der Stahlindustrie in Deutschland und ganz Europa durchlebt derzeit einen doppelten Stresstest. Neben den technologischen Entwicklungen und der Digitalisierung der Branche, wirkt die Nachhaltigkeitstransformation als Katalysator für viele Themen. Die Stahlindustrie steht damit vor einem Wandel, den es seit Jahrzehnten nicht gab. Das anspruchsvolle Marktumfeld hat die Grenzen der Globalisierung aufgezeigt. Lieferketten geraten unter Druck und werden wieder stärker lokalisiert. Innovationen und neue technologische Ansätze können Game Changer für viele Unternehmen werden und die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland sichern.

Welche Investitionen betrachten Sie als unabdingbar in der aktuellen Phase, insb. für den Mittelstand?

Die Stärken des deutschen Mittelstandes liegen in der technologischen Innovationskraft und Schnelligkeit der Umsetzung. Diese Stärken sind jetzt überlebenswichtig. Die wichtigsten Investitionen gelten jetzt der weiteren Automatisierung von Systemen und Prozessen, die Qualifizierung der Mitarbeitenden sowie in die Bereiche Digitalisierung und nachhaltige Supply Chain. Das gilt übrigens auch für uns als Unternehmen der Stahlindustrie mit einer Handels- und einer Produktionssparte. Unsere Kunden erwarten mehr als Standard von uns. Das dürfen Sie auch.

Wie wollen Sie als Stahlhandelsunternehmen Ihre Kunden auf dem Weg der nachhaltigen Produktion unterstützen?

Als Stahl- und Metallhandelsunternehmen sind wir ein wichtiger Partner sowohl für die Herstellerwerke als auch für die Kunden aus Automotive, Maschinenbau, Erneuerbare Energie, Agrarwirtschaft, Lebensmittelindustrie etc. Es ist uns eine Verpflichtung daran mitzuwirken, dass die deutsche Stahlindustrie ihre Nachhaltigkeitsziele erreicht. Über Synergien zwischen Herstellern, Handel und Kunden kommen wir schneller voran auf dem Weg zum Grünen Stahl. Die von Heine + Beisswenger angeregten Grünen Stahlpartnerschaften unterstützen die Transformation der deutschen und europäischen Stahlindustrie. Wir haben damit gezeigt, dass wir auch in der Wertschöpfungskette weitere CO2-Einsparungen auf der Rohstoff- und Lieferantenseite für unsere Kunden erreichen können.

Welche Erwartungen haben Branchenvertreter an die Politik?

Die Transformation der Stahlindustrie in Deutschland folgt den Vorgaben der europäischen (Green Deal) und deutschen Nachhaltigkeitsziele. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung etwa beim Bau von Reduktionsanlagen und Wasserstoffprojekten diese Transformation unterstützt. Doch es geht um eine Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette für den Grünen Stahl. Dazu gehört u.a. auch die Förderung einer CO2-armen bzw. -freien Logistik bzw. der Förderung erneuerbarer Energie zur Stromerzeugung. Allerdings sind auch die Branchenverbände selbst gefragt, ihre Interessen entlang der Wertschöpfungskette abzustimmen. Heine + Beisswenger hat daher eine Grüne Stahlpartnerschaft der Hersteller-, Stahlhandels- und Kundenverbände angeregt. Damit können wir gemeinsam unsere Interessen in Richtung der deutschen und europäischen Politik platzieren.

Wie hat sich der der Stahl- und Rohstoffhandel in der EU auf Grund des Krieges verändert?

Beschaffung und Stahleinkauf stehen seit dem Ausbruch des russischen Krieges gegen die Ukraine vor bisher unbekannten Herausforderungen. Unser Unternehmen Heine + Beisswenger hat sofort entschieden, die Geschäfte mit Russland und Belarus einzufrieren. Zugleich haben wir uns darum bemüht, mit unseren Lieferanten in der Ukraine im Kontakt zu bleiben und zu unterstützen, wo es geht. Über meine Ehrenämter für die Ukraine sehe ich, dass der Wiederaufbau des Landes eine Generationenaufgabe sein wird. Die Stahlindustrie wird hierbei eine entscheidende Rolle spielen können. Zweitens geht es für uns jetzt um globale Diversifizierung der Beschaffung. Wir wollen unsere Kunden weiterhin zuverlässig beliefern. Sorgen bereiten mir auch die wachsenden Spannungen zwischen China und dem Westen. Damit gerät ein weiterer Beschaffungsmarkt unter Druck. Drittens werden die bevorstehenden Carbon Boarder Adjustment Mechanism (CBAM) der EU neue Regulatorien für die internationale Rohstoffbeschaffung schaffen. Kein Zweifel: das sind die richtigen Signale an die internationalen Märkte, aber auch wir benötigen Planungssicherheit für die Versorgung der Kunden.

Kurzportrait Prof. Dr. Rainer Lindner

Vorsitzender des Vorstands – Heine + Beisswenger Stiftung + Co. KG

Prof. Dr. Rainer Lindner ist seit 2020 Vorsitzender des Vorstands der Heine + Beisswenger Gruppe. Von 2016 bis 2020 war er CEO Central & Eastern Europe/Middle East & Africa bei der Schaeffler AG. Zwischen 2008 und 2015 leitete er als Geschäftsführer den Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft in Berlin und wirkte als Abteilungsleiter im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Zwischen 2005 und 2008 war er Senior Researcher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Lindner leitet seit 2013 im Ehrenamt das Deutsch-Ukrainische Forum.

Kurzportrait H+B Gruppe

Die Heine + Beisswenger Stiftung + Co. KG, gegründet 1901 in Stuttgart, ist eines der größten familiengeführten integrierten Handels- und Produktionsunternehmen innerhalb der Stahl- und Metallbranche in Deutschland. Neben dem Stammhaus in Fellbach bei Stuttgart ist die Gruppe in Dieburg, Langenzenn, Elsendorf, Trossingen, Pforzheim, Hermsdorf, Plettenberg und Velbert aktiv sowie mit zwei Produktionsstandorten in Hermaringen und Adelmannsfelden vertreten. Das Werkstoffsortiment umfasst über 25.000 Artikel im Stabbereich (Langprodukte) aus unterschiedlichen Werkstoffen, Profilen und Abmessungen. Die gehandelten Werkstoffe sind hauptsächlich Automatenstahl, Blankstahl, unlegierter Stahl, Edelbaustahl, Edelstahl, Walzstahl, Werkzeugstahl, HSQ-Stahl (Zerspanungsstahl), Messing, Aluminium und Kupfer. Die wesentlichen Absatzmärkte sind neben der zerspanenden Industrie Kfz-Zulieferer und -Hersteller, Maschinenbau sowie viele weitere stahlverarbeitende Produzenten. Neben einer breiten Servicepalette in der Anarbeitung hat sich Heine + Beisswenger mit den Produktionshäusern H+B Hightech und Rotec im Bereich Zerspanung und Produktfertigung im Bereich Mobilität einen Namen gemacht.