Grüner Wasserstoff gilt als der Schlüssel zur Klimaneutralität. Welche Einsatzmöglichkeiten sehen sie?
Grüner Wasserstoff ist wichtig, weil viele Sektoren der Wirtschaft aus unserer Sicht nur durch diesen Energieträger dekarbonisiert werden können: In der Industrie brauche ich beispielsweise keinen Strom, sondern Wasserstoff, um Stahl oder Zement zu erzeugen. Auch der Nutzlastverkehr auf Schiffen und LKW ist allein mit Batterieantrieb nur schwer vorstellbar.
Laut einer aktuellen McKinsey-Studie soll im Jahr 2030 auch der Preis von grünem Wasserstoff wettbewerbsfähig sein. Schaffen wir die Umstellung allein in Deutschland?
Deutschland ist ein Land mit viel Industrie, mit vielen Bewohnern, die auch viel Energie verbrauchen. Zugleich sind die Bedingungen für erneuerbare Stromerzeugung nicht exzellent. Heute werden gerade 15 Prozent des Energieverbrauchs erneuerbar hergestellt. Damit sind wir noch weit davon entfernt, uns damit komplett versorgen zu können. Angesichts der Diskussion um Stromtrassen und Windräder ist es nicht realistisch, dass Deutschland damit autark wird. Und das ist aus wirtschaftlicher Sicht auch nicht erstrebenswert, weil an vielen Orten der Welt Wasserstoff mit Sonnen- oder Windenergie sehr viel günstiger erzeugt werden kann als in Deutschland, beispielsweise in Südeuropa, Nordafrika, im arabischen Raum oder in Skandinavien. Damit macht es sehr viel mehr Sinn, dass wir in Zukunft Energie nicht mehr wie heute in Form von Erdöl oder -gas sondern in Form von Wasserstoff importieren.
Wie soll denn der importierte Wasserstoff gespeichert und zu den Verbrauchern transportiert werden?
Bisher wurde Wasserstoff beispielsweise in Form von Druckwasserstoff immer nur an Kunden über kurze Entfernungen verteilt. Wasserstoff wird noch nicht in größeren Mengen importiert. Vor acht Jahren sind wir mit unserer LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier)-Technik in diese Lücke gestoßen. Wir binden Wasserstoff an ein flüssiges, öl-artiges Trägermaterial und können damit die bestehende Infrastruktur für Flüssigbrennstoffe nutzen.
Was zeichnet die LOHC-Technik gegenüber anderen Transporttechniken aus wie Flüssiggas, Druckgas oder die Bindung an Ammoniak?
Die Verfahren, Wasserstoff direkt in flüssiger Form oder gasförmig unter Druck zu speichern sind sehr energieaufwendig. Und dann muss ich den Wasserstoff mit seiner niedrigen Speicherdichte, starken Explosivität und den damit verbundenen Sicherheitsthemen noch transportieren. Druck-Wasserstoff eignet sich nur für den Transport über kurze Entfernungen. Flüssiger Wasserstoff lässt sich besser verteilen, muss dafür aber auf minus 200 Grad herabgekühlt werden, was einen immensen Aufwand und hohe Anforderungen an die Infrastruktur stellt.
Sicherlich macht es Sinn, künftig Wasserstoff bei grünem Ammoniak einzusetzen, wie in der Düngemittelindustrie. Aber wir sind skeptisch, ob sich Ammoniak breiter als Transportmittel einsetzen lässt, weil er höchst toxisch ist und schwierig als Gefahrengut zu handhaben. Dass er künftig in Tankstellen und in Innenstädten angeboten wird, können wir uns nicht vorstellen.
Die LOHC-Technik verbraucht für die Freisetzung des Wasserstoffs ja auch Energie. Erwarten Sie, dass LOHC wirtschaftlich eingesetzt werden kann, um Wasserstoff zu transportieren?
Auf jeden Fall. Denn die Wertschöpfungskette beginnt ja an dem Ort, an dem ich durch Elektrolyse Wasserstoff produziere. Dort kann ich ihn zunächst in Ammoniak, Flüssigwasserstoff oder LOHC umwandeln, um ihn zu transportieren und schließlich beim Kunden wieder als Wasserstoff freizusetzen. Hinzu kommt, dass eben bei Einspeicherung in signifikantem Maße nutzbare Abwärme entsteht. Wenn ich diese gesamte Kette vergleiche, dann hat LOHC den Vorteil, dass er die bestehende Infrastruktur nutzt, sich in den heutigen Tankschiffen und Tanklastzügen durch die Gegend fahren lässt. Dabei verdampft nichts und muss nichts aufwendig gekühlt werden. Der Stoff ist beliebig zu lagern. Das ist ein großer Vorteil gegenüber allen anderen Transporttechniken, für die erst eine Infrastruktur geschaffen werden muss.
Gerade hat die von Ihnen erwähnte Studie von McKinsey und Hydrogen Council die Kosten der Wasserstoffbereitstellung zwischen LOHC, Flüssigwasserstoff und Ammoniak verglichen. Dabei war LOHC sehr wettbewerbsfähig – vor allem auch wegen der Infrastruktur und Sicherheit.
Bisher fehlt Ihnen aber auch bei LOHC noch die industrielle Erfahrung…
In den ersten Jahren ging es natürlich darum, kleine Anlagen aufzubauen, um zu zeigen, dass die Technik funktioniert. Seit zwei Jahren entwickeln wir nun mit verschiedenen Partnern Anlagen in industriellem Maßstab, mit denen sich auch Raffinerien und andere kommerzielle Abnehmer versorgen lassen.
Wie funktioniert denn der Übergang von Ihrer LOHC-Technik zu anderen Wasserstoff-Transportmitteln, vor allem zu den Gasnetzen, die jetzt im großen Umfang für Wasserstoff umgerüstet und ausgebaut werden?
Die Wasserstoffleitungen erfordern sehr viel größere Investitionen und Zeitachsen als unsere Technik. Es dauert noch Jahrzehnte, bis wir ein flächendeckendes Leitungsnetz erreichen. Selbst dann wird der Bedarf für nicht-leitungsgebundene, flexible Lösungen wie insbesondere LOHC bleiben. Unsere Technik wirkt heute schon sinnvoll synergetisch. Einerseits stellen wir Wasserstoff bereit, der dann durch Leitungsnetze weitergeleitet werden kann. Wir haben beispielsweise in Rotterdam ein Gemeinschafts-Projekt, in dem wir grünen Wasserstoff in LOHC gebunden aus Spanien anlanden wollen. Im Hafengebiet werden Teile des grünen Wasserstoffs aus dem Trägermedium wieder freigesetzt und in ein lokales Pipelinenetz eingespeist, das Abnehmer in der Region anbindet. Ähnliche Vorgehensweisen ergeben sich auch in Bayern und Niedersachsen, wo wir über die Donau oder die Insel Helgoland mit der LOHC-Technik den darin gebundenen Wasserstoff transportieren und ihn freigesetzt in ein Netz einspeisen können.
Wie können Sie sich langfristig ein Wasserstoffnetz in Europa vorstellen, mit dem alle Verbraucher, Großindustrien wie Kleinverbraucher erreicht werden?
Das Leitungsnetz, das schrittweise entsteht, kann auf allen Ebenen mit der LOHC-Technik ausgebaut und ergänzt werden. Mit unserer Technik lassen sich alle Verbraucher versorgen, die nicht an ein Netz angeschlossen werden. Zudem können wir schon früher als Pipelines größere Mengen Wasserstoff importieren. Wenn man beispielsweise die Kosten, die Bürgerproteste und alles berücksichtigt, dann kann es 30 bis 40 Jahre dauern, bis eine Pipeline nach Osteuropa fertig ist. Bis dahin transportieren wir längst in einem Projekt mit dem österreichischen Stromkonzern Verbund und anderen Partnern Wasserstoff aus Osteuropa über die Donau in Form von LOHC. Sogar aus den Arabischen Emiraten, wo die Bedingung zur Erzeugung grünen Wasserstoffs perfekt sind, lässt er sich auf klassischen Schifffahrtsrouten auf Tankern importieren. Statt wie heute Öl laden die Tanker künftig in großen Mengen Wasserstoff.
Wann wird in Bayern der erste Wasserstoff mit LOHC-Technik aus Rumänien angeliefert?
Es hängt noch von Genehmigungsverfahren ab, aber wir erwarten den praktischen Start des Projektes Ende 2021. Ende 2023 können wir dann in Bayern eine Raffinerie und einen Glashersteller mit großen Mengen grünem Wasserstoff beliefern.
Zuvor wird Ende 2022 schon die erste große LOHC-Einspeicher-Anlage in NRW in Betrieb gehen. In Dormagen, am Produktionsstandort von Covestro, fällt Wasserstoff als Nebenprodukt an. Da bei dem Herstellungsprozess grüne Energien eingesetzt werden, ist das grüner Elektrolyse-Wasserstoff, den wir mit der LOHC-Technik über Schiene oder Straße zu verschiedenen Abnehmern in Industrie oder Mobilität weitertransportieren.