Insolvenzantragspflichten und Sanierungsoptionen für Unternehmen in der (Corona-)Krise

Bartosz Zdanowicz, Rechtsanwalt, Partner,  Fachanwalt für Steuerrecht,  Hoffmann Liebs

Aufgrund der COVID-19-Pandemie schauen viele Unternehmen ungewiss in die Zukunft. Öffnungsverbote, Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen führen zu einem teilweise drastischen Umsatzrückgang, wohingegen die Kosten weiter laufen.

Doch nicht erst die COVID-19-Pandemie drängt zahlreiche Unter-nehmen in die Krise. Bankenkrise, Finanz- und Wirtschaftskrise oder Automobilkrise sind weitere Beispiele dafür, dass Geschäftsleiter eines Unternehmens vorausschauend planen und auf etwaige Krisensituationen jederzeit vorbereitet sein sollten. Denn es geht nicht allein um die Zukunft des Unternehmens und seiner Mitarbeiter, sondern auch um die persönliche Haftung der Geschäftsleiter. Daher sollte sich jeder Geschäftsleiter/Vorstand eines Unternehmens frühzeitig mit Sanierungsoptionen befassen, um in der Krise schnell reagieren zu können. Gleichzeitig sollte bekannt sein, ab wann sogar eine Verpflichtung besteht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Denn die in § 15a InsO geregelte Insolvenzantragspflicht gilt für alle Geschäftsleiter juristischer Personen (z.B. GmbH, AG, GmbH & Co. KG) gleichermaßen.

Wann ist ein Insolvenzantrag zu stellen und wann nicht?

Bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Höchstfrist von drei bzw. sechs Wochen, ein Insolvenzantrag zu stellen. Erfolgt dies nicht, kann jeder Geschäftsleiter in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen werden, was regelmäßig zur Privatinsolvenz der Geschäftsleiter führt. Auch strafrechtliche Ermittlungen im Falle einer Insolvenzverschleppung sind regelmäßig Folge einer verspäteten/unterlassenen Insolvenzantragstellung. Besonders brisant ist die Tatsache, dass die vorgenannten Haftungsansprüche im Falle einer Insolvenz „rückwirkend“ geltend gemacht werden können, also bei einer unterlassenen Antragstellung, die oft mehrere Jahre zurückliegt.

Doch wann liegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor? Dies wird nachfolgend anhand von Beispielen erläutert. Zugleich wird aufgezeigt, was zu tun ist, um eine Insolvenzantragspflicht frühzeitig zu vermeiden.

1. Zahlungsunfähigkeit
Ein Schuldner ist nach § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Zur Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist zunächst ein stichtagsbezogener Finanzstatus zu erstellen, im Anschluss daran ggf. ein dreiwöchiger Finanzplan.

a) Stichtagsbezogener Finanzstatus
Weist der Finanzstatus aus, dass mit der am Stichtag vorhandenen Liquidität (Bankguthaben, Kasse, offene Kreditlinien) alle fälligen Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können, ist keine Zahlungsunfähigkeit gegeben. Belaufen sich also z.B. die fälligen Verbindlichkeiten am Stichtag auf T€ 100, ist aber freie Liquidität in Höhe von T€ 105 vorhanden (T€ 50 Bankguthaben, T€ 50 Kreditlinie, T€ 5 Barkasse), so besteht keine Zahlungsunfähigkeit. Erst wenn die Kreditlinie ausgeschöpft ist, ergibt sich eine Liquiditätslücke und die Erstellung eines dreiwöchigen Finanzplans ist notwendig.

b) Finanzplan für drei Wochen
Im Falle einer Liquiditätslücke ist ein Finanzplan aufzustellen. Hier werden die Liquidität und die Mittelzuflüsse aus den geplanten Umsatzgeschäften der nächsten drei Wochen den bereits fälligen und den innerhalb der drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) gegenübergestellt. Zu den Mittelzuflüssen können auch Maßnahmen der Fremdkapitalbeschaffung (Kreditaufnahmen) oder Zuführungen der Gesellschafter (z.B. Gesellschafterdarlehen, Kapitalerhöhungen) gehören, ebenso wie Sale-and-Lease-Back-Geschäfte oder Factoring.

Gibt es am Ende der drei Wochen keine Liquiditätslücke (mehr), liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Im o.g. Beispiel stehen am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten von T€ 100, bei voll ausgeschöpfter Kreditlinie, ein Bankguthaben von T€ 50 und ein Barkassenguthaben von T€ 5 gegenüber (= Liquiditätslücke von T€ 45). Kommen in den nächsten drei Wochen weitere Verbindlichkeiten von T€ 50 hinzu, kann das Unternehmen aber aus Ausgangsrechnungen mit einem Eingang von T€ 100 rechnen, so stehen Passiva von T€ 150 Aktiva von T€ 155 gegenüber (= keine Zahlungsunfähigkeit).

Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des Drei-Wochen-Zeitraums dagegen weiterhin 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Kann im vorgenannten Beispiel nicht mit Zahlungseingängen von T€ 100 gerechnet werden, sondern z.B. nur in Höhe von T€ 70, so sind die fälligen Gesamtverbindlichkeiten von T€ 150 nur in Höhe von T€ 125 (= 83,33 %) gedeckt. Die Liquiditätslücke von 16,67 % bedeutet Zahlungsunfähigkeit.

Beträgt die Liquiditätslücke weniger als 10 %, ist regelmäßig von Zahlungsstockung und nicht von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. In einem solchen Szenario ist dennoch der Finanzplan fortzuführen, um die Weiterentwicklung der Liquiditätslücke darzustellen. Denn zeigt sich, dass die Lücke demnächst erneut mehr als 10 % betragen wird, liegt Zahlungsunfähigkeit vor. Ergibt sich jedoch, dass die Lücke in überschaubarer Zeit geschlossen werden kann, ist keine Zahlungsunfähigkeit gegeben.

2. Überschuldung
Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist von der bilanziellen Überschuldung abzugrenzen. Ein Fehlbetrag in der Bilanz oder ein negatives Eigenkapital bedeuten nicht zugleich Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne, sind aber Indizien dafür, eine etwaige insolvenzrechtliche Überschuldung zu prüfen. Letztere liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (§ 19 Abs. 2 InsO). Sofern aber eine positive Fortbestehensprognose vorliegt, d.h. die Fortführung des Unternehmens ist überwiegend wahrscheinlich und es droht keine Zahlungsunfähigkeit, liegt keine Überschuldung vor. Ist eine positive Fortführungsprognose hingegen nicht gegeben, ist eine Überschuldungsbilanz aufzustellen.

a) Positive Fortbestehensprognose
Die Fortführungsprognose soll eine Aussage dazu ermöglichen, ob ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die im Prognosezeitraum fälligen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Der Prognosezeitraum umfasst 12 Monate. Ist die zu prüfende Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen, gilt ausnahmsweise im Jahr 2021 ein verkürzter Prognosezeitraum von 4 Monaten (§ 4 COVInsAG). Die Fortführungsprognose ist eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose. Mit anderen Worten: Im Planungszeitraum darf keine Zahlungsunfähigkeit eintreten. Dies muss anhand eines Finanzplans dokumentiert werden. Für die Beurteilung ist unerheblich, ob das betroffene Unternehmen im Prognosezeitraum Verluste schreibt, also nicht ertragsfähig ist, sofern die Liquidität erhalten bleibt.

Wenn Liquidität zugeführt werden soll, können auch beabsichtigte Maßnahmen (z.B. Gesellschafterdarlehen, Kapitalerhöhungen, Aufnahme von Krediten, staatliche Hilfen) mit ihren erwarteten Auswirkungen in den Finanzplan einbezogen werden. Ist danach die Fortbestehensprognose positiv, liegt keine Überschuldung vor.

Die Fortbestehensprognose ist jedoch negativ, wenn z.B. im Prognosezeitraum ein Darlehen fällig wird und feststeht, dass es nicht prolongiert werden kann oder dann, wenn berechtigte Steuerforderungen gestundet, aber keine Mittel vorhanden sind, um die nach Ablauf der Stundung fälligen Steuern zu bedienen.

b) Überschuldungsbilanz
Im Falle einer negativen Fortbestehensprognose sind Vermögen und Verbindlichkeiten des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen. Ist das sich daraus ergebende Reinvermögen negativ, liegt Überschuldung vor. Ausgangspunkt ist z.B. ein zeitnaher handelsrechtlicher Jahres- oder Zwischenabschluss. Dabei sind ggf. vorhandene stille Reserven aufzudecken.

Besitzt z.B. das Unternehmen noch Vorräte, Forderungen, Bankguthaben sowie eine Immobilie in Höhe von insg. 1 Mio. €, stehen diesen Vermögenswerten aber Darlehen von 2 Mio. € gegenüber, ist das Reinvermögen negativ (-1 Mio. €) und eine Überschuldung zu bejahen. Ist die Immobilie aber 1,5 Mio. € mehr wert, als bislang in der Bilanz dargestellt (also 2,5 Mio. €), so ist das Reinvermögen positiv (T€ 500) und Überschuldung zu verneinen.

Wie kann Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit vermieden werden?

Da Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung anhand einer Finanzplanung geprüft werden, können etwaige Liquiditätslücken vorzeitig durch Zusicherungen Dritter (z.B. harte Patronatserklärungen, Kreditzusagen der Hausbank im Falle von Liquiditätslücken) beseitigt werden.

Kommen solche Zusagen nicht in Betracht, kann eine Überschuldung dadurch beseitigt werden, dass die Aktivseite gemehrt (z.B. Zuführung Eigenkapital durch Gesellschafter) oder die Passivseite reduziert wird (z.B. Rangrücktrittsvereinbarung mit den Gesellschaftern).

Sanierungsoptionen im Falle von Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit

Sollten die vorgenannten Maßnahmen nicht helfen, kann ein Schutzschirmverfahrens/eine Eigenverwaltung eine Sanierungsoption darstellen.

Dieses spezielle und in § 270 ff. InsO geregelte gerichtliche Sanierungsverfahren kann nicht nur bei Überschuldung/Zahlungsunfähigkeit, sondern bereits bei drohender (in Zukunft absehbarer) Zahlungsunfähigkeit beantragt werden.

Das Schutzschirmverfahren/die Eigenverwaltung bietet z.B. folgende Sanierungseffekte:

  • Erledigung von Altverbindlichkeiten (z.B. Darlehen/Kredite, Pensionszusagen, gestundete Forderungen) mithilfe eines Sanierungsplans;
  • Nichtzahlung von Löhnen/Gehältern für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, dies hat regelmäßig einen großen Liquiditätseffekt zur Folge;
  • Kurzfristige Kündigung langjähriger Dauerschuldverhältnisse (z.B. Miet- und Leasingverträge) möglich;
  • Sozialversicherungsbeiträge müssen zeitweise nicht abgeführt werden;
  • Die Geschäftsleitung bleibt während des gesamten Sanierungsverfahrens im Amt und kann die Sanierung selbst (mit-)gestalten;
  • Umstrukturierungen im Personalbereich unter vereinfachten Bedingungen möglich

Sollten weder Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung, sondern lediglich eine drohende (in Zukunft absehbare) Zahlungsunfähigkeit vorliegen, wurde ab dem 1. Januar 2021 mit dem StaRUG die Möglichkeit einer außergerichtlichen präventiven Sanierung geschaffen. Dabei kann vom Unternehmen selbständig ein Restrukturierungsplan erstellt werden, der notwendige finanzielle Maßnahmen (z.B. einen Schuldenschnitt) und weitere erforderliche (z.B. operative)
Sanierungsmaßnahmen enthält. Dem Restrukturierungsplan muss eine Mehrheit von 75% der teilnehmenden Gläubiger zustimmen. Es muss daher keine Einstimmigkeit erzielt werden, wie es bei außergerichtlichen Sanierungen bislang erforderlich war. Unternehmen können (und sollten) sich auch bei dieser Sanierungsoption einen erfahrenen Sanierer/Rechtsanwalt an die Seite holen, um die Verhandlungen mit den Gläubigern und die Erstellung des Restrukturierungsplans gemeinsam zu bewältigen.