„Ich könnte mir als CFO keine stabilere Bilanz wünschen“

Die Handelsblatt Journal Redaktion im Gespräch mit Dr. Gunnar Wiedenfels, CFO, Discovery über die Strategie des Unternehmens und die finanziellen Auswirkungen der Pandemie

Herr Dr. Wiedenfels, der Medienmarkt und die Mediennutzung verändern sich rasant. Mit welcher Strategie begegnet Discovery als internationalesUnternehmen dieser Entwicklung?
Discovery besitzt weltweit und über alle Plattformen hinweg seine Inhalte selbst, da wir fast ausschließlich komplette Buyout-Deals abschließen. Wir verfügen über einen Katalog mit rund 300.000 Stunden Programm – spezialisierte non-scripted Inhalte für begeisterte Zielgruppen. Damit sind wir unabhängig von Veränderungen der Verbreitungswege und erreichen unsere Zuschauer auf allen Plattformen.

2018 haben Sie für rund 15 Milliarden Euro das US-Entertainmentunternehmen Scripps übernommen. Welche Rolle spielt Scripps in Ihrer Strategie heute?
Diese Übernahme war ein Meilenstein für Discovery und hat unsere Entwicklung maßgeblich definiert. Sie wird auch in Zukunft eine sehr große Rolle spielen. Mit der Übernahme haben wir zwei Dinge zusammengebracht, die perfekt zusammenpassen: Scripps mit Sendermarken wie HGTV und Food Network, die im Werbemarkt extrem erfolgreich sind, aber international unterrepräsentiert waren, und Discovery, präsent in 220 Märkten. Damit können wir die neuen Inhalte perfekt in unserem Portfolio auswerten. Das hat sehr stark zu unserem Wachstum beigetragen.

Wie sieht Ihre weitere Planung mit Scripps aus?
Von Anfang an haben wir komplett neu gedacht, anstatt uns zu fragen, wie wir Scripps in Discovery integrieren. Dadurch konnten wir schon über eine Milliarde US-Dollar Kosten einsparen, und dieser Prozess läuft noch. Wir haben die Maßnahmen zur Transformation nach der Größenordnung ihres Wertbeitrags und der Komplexität ihrer Implementierung priorisiert und arbeiten sie nun in dieser Reihenfolge systematisch ab. Der zweite Punkt unserer Agenda heißt Direct-to-Consumer-Angebote. In Deutschland ist Joyn – unser Joint-Venture mit ProSiebenSat.1 – sehr erfolgreich, international sind es Dplay, der Eurosport Player oder Motortrend. Der Merger hat unser Angebot auch hier deutlich erhöht. In den USA haben wir heute einen Anteil von ca. 20 Prozent am Kabelfernsehmarkt.

International entwickeln sich große Plattformen immer mehr zu Inhalteanbietern. Was bedeutet das im Wettbewerb für Discovery?
Es bedeutet Herausforderung und Möglichkeit zugleich. Mit Plattform-Partnerschaften können wir Themen groß machen, Plattformen sind auch in der Distribution wichtige Partner. Nehmen Sie Amazon, einen der großen Plattform-Player: Amazon ist ein toller Vermarktungs- und Distributionspartner für unsere App Food Network Kitchen. Und dank unserer Reichweiten sind wir auch ein äußerst attraktiver Partner für Kooperationen: so erreichen wir z.B. mit Discovery Channel nahezu 400 Millionen Haushalte weltweit.

Welche Relevanz hat die direkte Beziehung zu den Endkunden?
Das kontinuierliche Wachstum von Online-Video-Nutzung spricht hier eine klare Sprache. Deshalb haben wir mehrere 100 Millionen Dollar in unsere Direct-to-Consumer-Plattformen investiert und ein zentrales Technologieteam aufgebaut. So können wir beliebig skalieren und nutzen unsere globale Größe, statt in jedem Land einzelne Applikationen zu entwickeln. Im Contentbereich haben wir wichtige Verträge unter anderem mit der PGA-Tour im Golf sowie mit der BBC über Naturdokus geschlossen. Und wir haben uns mit Führungskräften u.a. von Google und Amazon verstärkt. Diese intensiven Veränderungen sind in allen Bereichen erfolgreich.

Auch die Medienbranche wurde von der Krise empfindlich getroffen. Wie sieht es bei Discovery aus, wie solide ist das Unternehmen finanziert?
Discovery ist eine sehr solide finanzierte Firma. Eine Kreditoption, die wir im Frühjahr gezogen hatten, war unserer kaufmännischen Vorsicht geschuldet. Niemand konnte absehen, wie sich die Corona-Krise entwickelt. Hier mussten wir unsere Liquidität absichern, das sind wir unseren Aktionären und Investoren schuldig. Wir haben die Kreditlinie acht Wochen später vollständig zurückgeführt. Wir sind durch die Krise gegangen, ohne – wie viele andere Unternehmen – Cash zu verbrennen, sondern wir haben im zweiten Quartal den höchsten Free-Cash-Flow in der Geschichte des Unternehmens in einem zweiten Quartal generiert. Wir sind kerngesund. Die wichtigste Kennzahl ist für uns der Verschuldungsgrad. Hier hatten wir durch die Übernahme von Scripps einen höheren Hebeleffekt, weil sie zu einem Großteil fremdfinanziert war. Wir haben diese Verschuldung innerhalb von 18 Monaten so weit zurückgeführt, dass wir wieder in unserem Zielkorridor des 3 bis 3,5fachen unseres operativen Gewinns liegen. Das ist grundsolide, aus Sicht der Ratingagenturen ist das klar ein Investment-Grade.

Auf der Finanzierungsseite haben wir von dem aktuellen Zinsumfeld profitiert. Durch die niedrigen Zinssätze konnten wir Anleihen, die in den nächsten drei bis vier Jahren fällig gewesen wären, zurückkaufen und neue Anleihen mit Laufzeiten von zehn und 30 Jahren zu historisch niedrigen Zinssätzen aufnehmen. Damit haben wir unsere langfristige Finanzierung auf ein noch solideres Fundament gestellt und sparen Zinskosten. Ich könnte mir als CFO keine stabilere Bilanz wünschen.

Mit welchen Maßnahmen hat Ihr Unternehmen auf die Corona-Krise reagiert und wie sieht die aktuelle Situation aus?
Die Sicherheit unserer Mitarbeiter hatte für uns von Beginn an oberste Priorität. Wir sind stolz darauf, dass wir unsere ca. 10.000 Mitarbeiter weltweit bereits in der zweiten Märzwoche ins Homeoffice geschickt haben und trotzdem unverändert voll arbeitsfähig waren. Derzeit öffnen wieder Standorte, natürlich mit verschärften Hygienemaßnahmen. Außerdem stellen wir es unseren Mitarbeitern frei, ob sie weiter von zu Hause arbeiten möchten. Auf der Kostenseite haben wir die Reisetätigkeit vollständig eingestellt und Facility-Maßnahmen in den Büros gekürzt. Wie Sie wissen, mussten auch TV-Produktionen pausieren. Wir haben festgestellt, dass es möglich ist, mit unseren Stars Inhalte von zu Hause aus zu produzieren. Wir hatten eine TV-Köchin, die von ihrer Tochter mit dem iPhone gefilmt wurde – mit einem enormen Erfolg, das hatte Kultcharakter. Daneben haben wir unseren Stars auch technische Ausrüstungen zur Verfügung gestellt, mit denen sie selbst produzieren konnten. Dadurch haben wir nicht nur erheblich günstiger produziert, sondern auch erfolgreiche Zuschauermarktanteile erzielt. Denn unsere Zuschauer schätzen Authentizität. Was die Werbeeinnahmen anbelangt: Wir hatten beispielsweise in den USA einen Rückgang im Werbemarkt von ca. 15 Prozent im zweiten Quartal. Das ist, im Kontext des Ausmaßes dieser Krise, positiv zu sehen.

Welche Veränderungen, die die Krise hervorgebracht hat, werden bleiben?
Homeoffice und Meetings über Videokonferenzen sind inzwischen etabliert. Das bedeutet nachhaltig verringerte Reise- und Bürokosten. Wir werden uns anschauen, welche Kapazitäten wir an welchen Standorten noch benötigen. Zudem haben wir schon vor Jahren in  Cloudbasierte Lösungen investiert. Das zahlt sich jetzt aus. Wir können den Sendebetrieb aufrechterhalten, ohne dass die Kollegen dafür vor Ort sein müssen.

Sie haben vom IOC die Rechte für die Übertragung der Olympischen Spiele erworben. Können Sie solche Rechte amortisieren? Hat Ihnen Corona nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Eine Refinanzierung von Sportrechten ist immer anspruchsvoll. Als internationales Unternehmen können wir die Rechte aber länderübergreifend auswerten und verfügen in der Plattformtiefe über eine große Flexibilität. Wir haben Märkte, in denen wir im Free-TV zu sehen sind oder im Kabelfernsehen, wir können sublizensieren und natürlich gibt es europaweit den Eurosport-Player. Dadurch haben wir einen 360-Grad-Zugang zu dem Thema. Was den finanziellen Aspekt anbelangt: Umsätze und Kosten sind um ein Jahr verschoben. Die Verschiebung eröffnet uns auch neue Möglichkeiten, gerade in der Vermarktung, wenn wir 2021/2022 eine Strecke von neun Monaten mit dem Olympia-Thema bespielen können.

Sie leben mit Ihrer Familie in New York. Wie haben Sie die letzten Monate hier erlebt?
Die Zeit im März und April ist dramatisch gewesen. Die Bilder von Kühllastern in den Straßen, weil die Stadt keine andere Möglichkeit hatte, mit so vielen gleichzeitigen Todesfällen umzugehen, werde ich nicht vergessen. Heute hat sich die Situation grundlegend geändert: In dem Vorort von New York, in dem wir leben, trägt jetzt jeder eine Maske und hält Abstand. Man  hat aus der Krise gelernt – und gelernt, mit ihr umzugehen.

Was ist, aus Ihrer Sicht, der größte kulturelle Unterschied im Business zwischen Deutschland und USA?
Für einen CFO sind die Unterschiede nicht so groß. In beiden Märkten hat man als CFO mit den gleichen Themen und Investorengruppen zu tun. Was ich hier sehrgenieße, ist die Möglichkeit, in New York mit Weltklasse-Leuten zusammenzuarbeiten – sowohl intern als auch extern.

Ein Stereotyp kann ich in der Tendenz bestätigen: In Deutschland ist man sehr auf Details und sorgfältige Analysen fokussiert. In den USA herrscht ein zupackenderes, unternehmerisches Denken. Außerdem können die Amerikaner die große Story besser verkaufen. Das eine ist nicht besser als das andere, aber es geht darum, die Unterschiede zu verstehen, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die größten Erfolge kann man meines Erachtens erzielen, wenn man die Detailarbeit gut mit dem großen Ganzen verbindet.

 

„ In Deutschland ist man sehr auf Details und sorgfältige Analysen fokussiert. In den USA herrscht ein zupackenderes, unternehmerisches Denken.“

 

Dr. Gunnar Wiedenfels
CFO
Discovery, Inc.

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