Höchste Zeit, Altersvorsorge neu und ganzheitlich zu denken

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Banking 2025 vom 03.09.2025

Tragfähige Altersabsicherung gelingt nur gemeinsam

Deutschland steht beim Thema Altersvorsorge an einem Wendepunkt. Die gesetzliche Rente reicht immer weniger, um den Lebensstandard im Alter zu halten. Viele Rentnerinnen und Rentner sind schon heute auf staatliche Unterstützung angewiesen. Dazu tragen auch Inflation, steigende Mieten und eine zu geringe private Vorsorge bei. Die demografische Entwicklung verschärft die Lage zusätzlich: Bis 2035 gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente, während die nachfolgenden Generationen deutlich kleiner sind. 1960 kamen auf einen Rentner noch sechs Beitragszahler, 2050 werden es voraussichtlich nur noch 1,5 sein. Mehr als 110 Milliarden Euro an Steuermitteln überweist der Bund darum inzwischen an die Rentenversicherung – pro Jahr. Und die Steuerzuschüsse wachsen unaufhörlich weiter, trotz gleichzeitig steigender Rentenbeiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese Entwicklung ist sozial und wirtschaftlich nicht nachhaltig.

Das gesetzliche Rentensystem gerät damit zunehmend unter Druck. Die Auswirkungen werden in der gesamten Gesellschaft zu spüren sein: eine weiter ansteigende Beitragsbelastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gleichzeitig sinkende Rentenerwartungen. Eine Entwicklung, die sozialen Sprengstoff birgt. Es ist an der Zeit, neue Wege zu beschreiten. Die bisherigen Reformen reichen nicht aus. Mit der Idee der Frühstart-Rente hat die Politik erkannt, wie sinnvoll und notwendig die kapitalgedeckte private Altersvorsorge ist. Ein Schritt in die richtige Richtung, damit die nächste Generation optimistisch und finanziell abgesichert in die Zukunft blicken kann.

Einheitliches Altersvorsorgedepot für Frühstart- und Riester-Rente

Wir sollten diesen Neustart dazu nutzen, die gesamte staatlich geförderte Altersvorsorge neu und ganzheitlich zu denken. Ein Blick ins Ausland zeigt, welches Potenzial im frühzeitigen kapitalmarktbasierten Vermögensaufbau liegt.

Die von der Bundesregierung geplante Frühstart-Rente ist ein wichtiger erster Schritt. Zwar sind die vorgesehenen zehn Euro im Monat nicht ausreichend, um die Rentenlücke im Alter zu schließen. Aber die Richtung stimmt: Erstmals erkennt der Staat damit die Wichtigkeit einer kapitalmarktbasierten privaten Vorsorge an. Für die Frühstart-Rente wäre es wichtig, dass Kinder bereits ab Geburt sparen, damit der Zinseszinseffekt optimal wirken kann. Rund 14 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren könnten davon profitieren.

Wer früh beginnt, hat länger Zeit, Kapital aufzubauen, Schwankungen auszugleichen und von den Chancen des Kapitalmarkts zu profitieren. Auch die Riester-Rente muss weiterentwickelt werden, denn im vergangenen Jahr ist die Zahl der förderfähigen Riester-Renten wie in den Vorjahren weiter gesunken: Viele Gesellschaften verzeichnen kein Neugeschäft mehr. Ein Verzicht auf die bisher geforderte Kapitalgarantie und die Pflicht zur lebenslangen Verrentung würde mehr Freiraum für moderne, kapitalmarktorientierte Produkte schaffen. Damit sind wir wieder bei der Frühstart-Rente: Je länger man den Kapitalmarkt zum Ansparen nutzen kann, desto weniger notwendig und teuer sind am Ende Garantien.

Am besten denkt man die Frühstart-Rente und das weiterentwickelte Riester zusammen, denn die Frühstart-Rente darf keinesfalls an der Grenze zur Volljährigkeit enden. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres sollten junge Erwachsene ihre Vorsorgeprodukte unkompliziert weiter besparen können. Und auch die staatliche Förderung sollte weiterlaufen, zum Beispiel durch Zulagen oder Steuervorteile. So bleibt der Zinseszinseffekt erhalten und der Anreiz zum Sparen bestehen. Das geht am besten mit einem ganzheitlichen Altersvorsorgedepot, das einen nahtlosen Übergang vom Frühstart zur Langstrecke ermöglicht.

Ebenfalls sollten Immobilieninvestments in der Diskussion um moderne Altersvorsorge nicht fehlen. Wer frühzeitig in Wohneigentum investiert – sei es zur Selbstnutzung oder als Kapitalanlage – schafft sich eine stabile Vermögensbasis. Gerade in Zeiten niedriger Zinsen und hoher Mietpreise kann eine Immobilie langfristig zur finanziellen Entlastung im Alter beitragen.

 

Die Frühstart-Rente sollte mit einer breit angelegten Finanzbildungskampagne verknüpft werden.

Lars StoyCEO, ING Deutschland

 

Finanzkompetenz der Gen Z systematisch fördern

Damit solche Altersvorsorgemöglichkeiten auf Akzeptanz und Nachfrage stoßen, ist finanzielle Bildung unabdingbar. Laut einer aktuellen Umfrage des Bankenverbands fühlen sich 44 Prozent der Menschen zu Finanz- und Vorsorgethemen nicht ausreichend informiert. Und 76 Prozent der Befragten empfinden das Rentensystem als zu kompliziert. Hier könnte die Frühstart-Rente ansetzen: Die Erfahrung, dass Kapitalvermögen trotz kurzfristiger Kursschwankungen langfristig wächst, ist ein wichtiger Lerneffekt. Die Frühstart-Rente sollte mit einer breit angelegten Finanzbildungskampagne verknüpft werden. Schulen, Unternehmen und Eltern sind gleichermaßen gefragt. Nur wer informiert ist, kann eigenverantwortlich vorsorgen.

Eine Veränderung in die richtige Richtung ist allmählich spürbar. Sie geht vor allem von der Generation Z aus, also den Geburtsjahrgängen zwischen 1995 und 2010. Die Gen Z informiert sich verstärkt über finanzielle Themen. Vielfach stammt das Wissen über Aktien, Immobilien und Co. dabei aus den sozialen Medien, zum Beispiel Instagram oder TikTok.

Finfluencer spielen in der Vermittlung von Finanzkompetenz heute eine zunehmende Rolle, denn sie schaffen es, trockene Themen wie Altersvorsorge oder Steuern in kurzen Videos interessant zu verpacken und damit junge Leute zu begeistern. Doch gibt es bei dieser Form der Wissensvermittlung auch Gefahren: Wie seriös manche Ratschläge aus den sozialen Medien sind, lässt sich für Finanz-Einsteiger oft nur schwer beurteilen.

Es ist deshalb nötig, Finanzkompetenz systematisch zu fördern. Die Finanzbildungsstrategie der Bundesregierung ist ein richtiger Schritt. Sie muss in den kommenden Jahren aber konsequent umgesetzt werden. Denn bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge liegt Deutschland im internationalen Vergleich immer noch weit zurück. So investieren nur etwa 16 Prozent der Deutschen in Aktien. Viele Menschen haben Angst vor Wertschwankungen und verzichten deshalb langfristig auf attraktive Renditen. Dabei sollte das Geldanlegen zur Selbstverständlichkeit werden.

Gemeinsam den Wandel gestalten

Genauso selbstverständlich sollte es sein, einen einfachen Zugang zu betrieblicher Altersvorsorge (bAV) zu erhalten. Bereits vor sieben Jahren trat das sogenannte Betriebsrentenstärkungsgesetz in Kraft. Doch das erhoffte Wachstum der zweiten Säule der Altersvorsorge blieb bislang aus. Im Gegenteil: Die Zusatzvorsorge der Unternehmen stagniert, wie eine Studie des Bundesarbeitsministeriums in diesem Jahr ergab.

Einen neuen Anlauf will nun die Regierungskoalition von Union und SPD unternehmen. Zumindest wenn es nach dem Koalitionsvertrag geht, sollen der Zugang zur bAV und die Mitnahme des Anspruchs bei einem Arbeitgeberwechsel erleichtert werden. Außerdem will die Regierung Geringverdiener besser fördern.

Der Druck, eine breite Basis für die Altersvorsorge zu schaffen, wächst. Auch die Finanzinstitute sind gefragt, attraktive Vorsorgeprodukte und verständliche Informationen bereitzustellen. Als drittgrößte Privatkundenbank in Deutschland mit über zehn Millionen Kundinnen und Kunden wollen wir die Transformation der Altersvorsorge aktiv mitgestalten und so unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Mehr als eine Million unserer Kundinnen und Kunden sparen heute schon mit ETF-Sparplänen fürs Alter – viele beginnen mit kleinen Beträgen von unter 50 Euro im Monat.

Wir brauchen eine Altersvorsorge, die flexibel, verständlich und zukunftsfähig ist. Zugleich ist es nötig, junge Menschen früh an die Kapitalmärkte heranzuführen, finanzielle Bildung zu stärken und die Arbeitgeber stärker in die Altersvorsorge einzubeziehen. Nur so kann die nächste Generation optimistisch und sicher in die Zukunft blicken.

Bild: © Roosen-Photography

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