Haftungsgefahren in der Krise – Das neue Zahlungsverbot nach § 15b InsO

Dr. Alexandra Schluck-Amend, Rechtsanwältin, Partnerin, CMS Deutschland
Franziska Fuchs, Rechtsanwältin, CMS Deutschland

Geschäftsführer sind in der Krise der Gesellschaft zahlreichen Haftungsrisken ausgesetzt. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife und die Haftung für insolvenzauslösende Zahlungen an Gesellschafter. Im Rahmen der Gesetzesänderungen durch das SanInsFOG, wurde dieser Haftungstatbestand, der zuvor in verschiedenen Gesetzen geregelt war (v.a. § 64 GmbHG a.F.) zur Vereinheitlichung zentral in die Insolvenzordnung verlagert und weiter konkretisiert. Er findet sich nun in § 15b InsO.

Was ist der Sinn und Zweck der neuen Regelung?

Der Geschäftsführer ist grundsätzlich zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Gesellschafter und der Gesellschaft verpflichtet. Ab Eintritt der Insolvenzreife verschieben sich diese Pflichten allerdings. Statt der Gesellschafter- und Gesellschaftsinteressen tritt nun das Gläubigerinteresse an einer gleichmäßigen Befriedigung in den Mittelpunkt. Die Geschäftsleitung ist dann vor allem zur Erhaltung der Insolvenzmasse verpflichtet. Die Einhaltung dieser Pflicht soll die persönliche Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife und insolvenzauslösende Zahlungen an den Gesellschafter sicherstellen.

Der Begriff der „Zahlung“ ist dabei durchaus weit zu verstehen, sodass beispielsweise auch Forderungsverzichte und Einzahlungen auf debitorische Konten hierunter fallen. Der Geschäftsführer ist somit im Stadium der Krise zu einer besonderen Prüfung sämtlicher Vermögensabflüsse aus dem Gesellschaftsvermögen angehalten. Auch die Neuregelung des § 15b InsO folgt diesem Grundgedanken der Masseerhaltung durch die Geschäftsleitung.
Was bedeutet Insolvenzreife? Anknüpfungspunkt des Zahlungsverbots ist die Insolvenzreife der Gesellschaft. Insolvenzreife bedeutet dabei entweder Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.

Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die Rechtsprechung gewährt hierbei einen Karenzzeitraum von drei Wochen, in dem es der Gesellschaft ermöglicht werden soll, liquide Mittel zu beschaffen, um mindestens 90 % der fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Gelingt dies nicht oder ist dies zum Zeitpunkt der Fälligkeit bereits absehbar, liegt Zahlungsunfähigkeit vor. Auch die Zahlungseinstellung kann auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.

Der Insolvenzgrund der Überschuldung ist weniger einfach zu beurteilen. Die Gesellschaft ist überschuldet, wenn (i) das Vermögen des Schuldners im Liquidationsszenario nicht ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu decken und (ii) keine positive Fortbestehensprognose besteht. Im Rahmen der positiven Fortbestehensprognose kommt es dabei vor allem darauf an, dass die Gesellschaft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist.

Sind alle Zahlungen vom Zahlungsverbot erfasst?

Der Zahlungsbegriff des § 15b InsO ist weit zu verstehen, sodass nahezu jeder Vermögensabfluss aus dem Gesellschaftsvermögen als „Zahlung“ einzustufen ist. Nach der Rechtsprechung sind dem Geschäftsführer alle Zahlungen zuzurechnen, die mit seinem Wissen und Wollen ausgeführt wurden. Auch eine Aufteilung der Geschäftsbereiche unter mehreren Geschäftsführern ändert hieran in der Regel nichts. In der Krise muss der Geschäftsführer daher Vermögensabflüsse aus dem Gesellschaftsvermögen aktiv verhindern, beispielsweise durch den Widerruf von Lastschriftmandaten oder die Mitteilung an die Schuldner, nicht mehr auf ein debitorisch geführtes Konto zu leisten.

Eine Ausnahme bilden dabei sogenannte „privilegierte“ Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Während nach der alten Regelung diese Privilegierung hauptsächlich durch die Rechtsprechung näher konkretisiert werden musste, gibt nun das Gesetz weiteren Aufschluss darüber, welche Zahlungen als privilegiert einzustufen sind.

Dabei gilt die grundsätzliche Vermutungsregelung, dass nach Verstreichen der Insolvenzantragsfrist ohne Insolvenzantrag sämtliche Zahlungen nicht mehr privilegiert sind. Die Insolvenzantragsfrist beträgt bei Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit drei Wochen, bei Vorliegen der Überschuldung sechs Wochen. Während die Insolvenzantragsfrist aber noch läuft und parallel entweder Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zumindest zur Vorbereitung des Insolvenzantrags getroffen werden, sind alle Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang privilegiert. Der Begriff „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ wird dabei nicht weiter erläutert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Privilegierung der Regelfall sein dürfte.

Dies gilt vor allem für Zahlungen, ohne die ein größerer Schaden des Gesellschaftsvermögens droht, weil bei Zurückhalten der Zahlung der Geschäftsbetrieb schlimmstenfalls eingestellt werden müsste. Dies betrifft beispielsweise die Zahlung von Löhnen und Gehältern, von Miet- oder Pachtzins oder von Rechnungsbeträgen aus Material- und Rohstofflieferungen. Dem Insolvenzverwalter wird es in der Regel nicht gelingen, mit einem stillgelegten Geschäftsbetrieb eine verwertbare Masse zu erzielen, die mit der des fortgeführten Unternehmens vergleichbar ist. Aus diesem Grund ordnete die Rechtsprechung derartige Zahlungen teilweise bereits unter der alten Regelung als privilegiert ein. § 15b InsO stellt nun klar, dass alle üblichen und notwendigen Zahlungen privilegiert sind.

Offen ist allerdings noch immer, ob für nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist getätigte Zahlungen eine Exkulpation der Geschäftsführung über die Notgeschäftsführung möglich ist. Nach der Notgeschäftsführung dürfen Geschäftsleiter die Zahlungen vornehmen, die für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unerlässlich und absolut notwendig sind. Teilweise wird auch vertreten, dass Zahlungen noch während der Insolvenzantragsfrist dann nicht automatisch privilegiert sind, wenn in dieser Zeit nur noch der Insolvenzantrag vorbereitet wird, aber keine Sanierungsmaßnahmen mehr ergriffen werden.

Darüber hinaus wird die Haftung der Geschäftsleitung weiterhin dadurch eingeschränkt, dass der Erstattungsanspruch der Gesellschaft auf den tatsächlichen Schaden begrenzt ist. Anders als nach der früheren Rechtslage, nach der sämtliche Zahlungen zu ersetzen waren, hat der Geschäftsführer nun die Möglichkeit nachzuweisen, dass durch die Zahlung tatsächlich ein geringerer Schaden der Gesellschaft entstanden ist. Er hat dann nur die Differenz zu ersetzen.

Was gilt für steuerrechtliche  Zahlungspflichten?

Ein besonderes Problem aus Sicht der Geschäftsführer stellen im Krisenszenario steuerrechtliche Zahlungspflichten dar. Dies betrifft vor allem die Abführung von Lohn- und Gewerbesteuer. Bei Verletzung der steuerrechtlichen Zahlungspflichten haften die Geschäftsführer in der Regel persönlich. Diese Haftungsverpflichtung stand bisher im Widerspruch zur Massesicherungspflicht der Geschäftsleitung in der Krise und wurde auch in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Im Ergebnis führte dies zu großer Unsicherheit in der Rechtsanwendung. Die Neuregelung legt nunmehr fest, dass der Geschäftsführer nicht gegen seine steuerrechtlichen Zahlungspflichten verstößt, wenn er bis zur Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens die betreffenden Steuern nicht abführt. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt wird. Die bisherigen Unklarheiten und Uneinigkeiten werden damit endgültig ausgeräumt.

Zu den Sozialversicherungsbeiträgen trifft § 15b InsO keine expliziten Regelungen. Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist grundsätzlich noch immer strafbewehrt (§ 266a StGB).

Wie sind Zahlungen an  Gesellschafter zu behandeln?

Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen an Gesellschafter werden auch im Rahmen des neuen § 15b InsO besonders gewürdigt. Zahlungen an Gesellschafter sind, soweit sie zur Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft führen mussten, unzulässig. Unklar ist nach dem Gesetzeswortlaut, wann eine Zahlung zur Insolvenzreife „führen musste.“ Hier werden in der Literatur verschiedene Ansätze diskutiert. Entscheidend für die Frage der Kausalität kommt es dabei darauf an, wie weit die entsprechende Zahlung und der Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft in zeitlicher Hinsicht auseinander liegen. Es werden hier hautsächlich Zeiträume von wenigen Monaten bis zu zwei Jahren genannt. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung diese Frage beantworten wird.

Der Geschäftsführer ist allerdings auch hier nicht völlig schutzlos gestellt. Er kann sich dadurch exkulpieren, dass er nachweist, dass selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters das Auslösen der Insolvenzreife bei Vornahme der Zahlung nicht erkennbar war.

Was folgt daraus  für die Praxis?

Auch die Neuregelung des § 15b InsO ist für die Geschäftsführer einer GmbH noch immer ein scharfes Schwert, das es vor allem in der Krisensituation nicht zu unterschätzen gilt. Aufgrund der Tatsache, dass die Vorschrift an Zahlungen anknüpft, laufen hier schnell hohe Beträge auf, für die die Geschäftsführer mit ihrem Privatvermögen einzustehen haben.

Die klare Empfehlung für die Praxis lautet daher, die finanzielle Situation der Gesellschaft sorgfältig zu überwachen und bei ersten Anzeichen der Krise die Erfüllung (insolvenz)rechtlicher Pflichten sicherzustellen, da die Geschäftsführer nur dann von den Haftungserleichterungen profitieren sollen. Parallel sollten im Stadium der Krise sämtliche Vermögensabflüsse aus dem Gesellschaftsvermögen genau geprüft werden. Nur so kann gewährleistet werden, unzulässige Vermögensabflüsse rechtzeitig zu verhindern und Haftungsrisiken zu vermeiden.