Rechtliche Ausgangslage und Möglichkeiten der Risikominimierung
Einleitung
Das inzwischen vor mehr als einem Jahr in Kraft getretene Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz (StaRUG) soll Unternehmen in der Krise einen gesetzlichen und verfahrensrechtlichen Rahmen für die Sanierung und Restrukturierung im Vorfeld einer Insolvenz bieten.
Daneben hat es auch den Pflichtenkanon von Geschäftsleitern erweitert, etwa in Gestalt von § 43 StaRUG. Nach dieser Vorschrift sind die Geschäftsleiter dazu verpflichtet, eine „rechtshängige Restrukturierungssache“ mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu betreiben und die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren. Für erhebliche Rechtsunsicherheit sorgt jedoch die Frage, ob Geschäftsleiter in Folge des Inkrafttretens des StaRUG nunmehr auch eine Haftung wegen einer sog. Reorganisationsverschleppung fürchten müssen.
Der Beitrag will sich dieser Rechtsunsicherheit annehmen, indem er beleuchtet, ob und inwiefern sich der allgemeine Sorgfaltsmaßstab von Geschäftsleitern verändert hat (dazu unter A.), wie Geschäftsleiter mit Weisungen von Gesellschaftern in der Krise umgehen sollten (dazu unter B.) und ob es eine Verpflichtung zur Nutzung der Instrumente des StaRUG gibt (dazu unter C.).
A. Veränderung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs von Geschäftsleitern nach § 43 GmbHG, § 93 AktG?
Der allgemeine Sorgfaltsmaßstab für Geschäftsleiter nach §§ 43 GmbHG, 93 AktG, an dem alle geschäftspolitischen Entscheidungen und Geschäftsführungsmaßnahmen zu beurteilen sind, gilt selbstverständlich auch in der wirtschaftlichen Krise und drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft. Offen ist jedoch, ob die Geschäftsleiter nach dem Inkrafttreten des StaRUG in dieser Phase im Rahmen ihrer allgemeinen Sorgfaltspflichten auch zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit, den sog. „shift of duties“, verpflichtet sind und eine Reorganisationsverschleppungshaftung fürchten müssen.
I. Ausgangspunkt der Diskussion
Der Ausgangspunkt für diese aktuelle Diskussion ist, dass in dem Referenten- und auch Regierungsentwurf des StaRUG zum einen in § 2 StaRUG-E eine allgemeine Verpflichtung der Geschäftsleiter (und auch Aufsichtsräte) zur Berücksichtigung des allgemeinen Gläubigerinteresses ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO vorgesehen war und deren Verletzung zum anderen durch die Regelung des § 3 StaRUG-E haftungsrechtlich sanktioniert werden sollte.1
Die Regelungen der §§ 2 f. StaRUG-E wurden zwar mehr oder weniger in „letzter Minute“ durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Allerdings hat die ersatzlose Streichung der beiden Normen die Diskussion über die Pflicht zur Berücksichtigung der „shift of duties“ durch die Geschäftsleiter nicht beendet.
II. Pflicht zur Berücksichtigung von Gläubigerinteressen
Somit stellt sich nach wie vor die Frage, ob und in welchem Umfang die Interessen der Gläubigergesamtheit durch den Geschäftsleiter zu beachten und zu wahren sind. Dies ist insbesondere auf den Umstand zurückzuführen, dass es in den vergangenen Jahren eine deutliche Tendenz in Literatur und instanzgerichtlicher Rechtsprechung gegeben hat, die in der Krise einer Gesellschaft eine Ausrichtung des Handelns der Geschäftsleiter an den Interessen der Gläubiger und nicht an denen der Gesellschafter verlangt bzw. statuiert.2 Wenn und soweit die Geschäftsleiter in der Krise zur Berücksichtigung der Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet sind, könnte man im Anschluss daran die Auffassung vertreten, dass die Geschäftsleiter auch für eine verzögerte bzw. „verschleppte“ Reorganisation der Gesellschaft haften.
Für eine Pflicht der Geschäftsleiter zur Berücksichtigung der Interessen der Gläubigergesamtheit spricht zunächst die Begründung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zur Streichung der §§ 2 f. StaRUG-E. Dieser hat insoweit ausgeführt, dass das Bedürfnis des Gläubigerschutzes bereits durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen werde.3 Demnach könnte es also dem gesetzgeberischen Willen und Wertung entsprechen, dass die Geschäftsleiter die Interessen der Gläubigergesamtheit in der Krise im Rahmen ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG zu berücksichtigen haben.4 Schließlich wird bereits durch die drohende Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft die Gefährdung ihrer Gläubiger indiziert und der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags geht ausdrücklich davon aus, dass es eine fortbestehende Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen in der drohenden Zahlungsunfähigkeit gebe.5 Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Prognosezeitraum für die Feststellung der Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO auf zwölf Monate verkürzt wurde, wodurch aus der Sicht der Gläubigergesamtheit ein nicht unerhebliches Risiko besteht, dass die Gesellschaft ihre Liquidität durch eine Aufzehrung ihres Gesellschaftsvermögens decken könnte.
Gegen eine generelle Pflicht der Geschäftsleiter zur Berücksichtigung der Interessen der Gläubigergesamtheit in der Krise der Gesellschaft dürfte insbesondere sprechen, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Berücksichtigung der Gläubigerinteressen nach § 43 Abs. 1 StaRUG erst ab der „Rechtshängigkeit“ der Restrukturierungssache gilt und eben nicht grundsätzlich in der Krise oder drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft. Bis zu diesem Zeitpunkt – so ließe sich jedenfalls argumentieren – muss immer bzw. primär das Interesse der Gesellschaft im Vordergrund stehen.
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich die Diskussion bzgl. einer vorinsolvenzlichen Pflichtenverschiebung der Geschäftsleiter derzeit im vollen Gange befindet und bei dieser Thematik vieles im Fluss ist. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags recht eindeutig für eine Berücksichtigung der Gläubigerinteressen positioniert hat, eine belastbare gerichtliche Klärung dieser Frage aber noch lange Zeit auf sich warten lassen dürfte. Richtigerweise wird man annehmen können, dass Geschäftsleiter erst mit Beginn einer Krise zur Berücksichtigung der Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet sind, während ansonsten allein das Gesellschaftsinteresse maßgebend ist. Alles andere würde auch zu Abgrenzungsproblemen führen.
B. Umgang mit Weisungen von Gesellschaftern in der Krise
Diese unklare Rechtslage führt für Geschäftsleiter einer sich in der Krise befindlichen Gesellschaft zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei ihren Handlungen und Entscheidungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Geschäftsleiter sich solchen Weisungen der Gesellschafter ausgesetzt sehen, deren Befolgung dem Interesse der Gläubigergesamtheit zuwiderläuft.
Vor diesem Hintergrund sollten Geschäftsleiter zur Reduzierung des eigenen Haftungsrisikos mit einem etwaigen Voranschreiten der Krise des eigenen Unternehmens die Interessen der Gläubigergesamtheit bei ihren Geschäftsleitungsmaßnahmen zumindest stärker beleuchten und diesen ein höheres Gewicht im Rahmen der eigenen Entscheidungsfindung einräumen. Dabei bedarf es selbstverständlich immer einer Betrachtung des Einzelfalls. Als grundsätzliche Empfehlung sollten Geschäftsleiter bereits bei den ersten konkreten Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft genauestens prüfen, was den Gesellschaftern zugewendet werden kann bzw. darf. Zudem sollten Geschäftsleiter sowohl die Weisungen der Gesellschafter als auch ihre diesbezüglichen Entscheidungen nebst ihren Entscheidungsgrundlagen und -gründen schriftlich dokumentieren. Dies gilt gerade auch für die Berücksichtigung der Gläubigerinteressen im Zuge des Entscheidungsprozesses.
C. Keine Pflicht zur Nutzung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens
Im Zusammenhang mit der vorstehenden Fragestellung ist auch zu untersuchen, ob es für Geschäftsleiter eine Pflicht zur Nutzung der Instrumente des StaRUG bzw. zur Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gibt.
Dies dürfte zu verneinen sein. Zwar sind Geschäftsleiter nach § 1 Abs. 1 StaRUG verpflichtet, fortlaufend über die Entwicklungen, welche den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können, zu wachen und nach dem Erkennen solcher Entwicklungen geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Regelung ist somit festzuhalten, dass die Geschäftsleiter zur Einleitung geeigneter Gegenmaßnahmen verpflichtet sind.
Allerdings soll ihnen bereits nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf die Auswahl der zu treffenden Gegenmaßnahmen ein unternehmerischer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zustehen.6 Entscheidend soll dabei sein, dass die betreffenden Maßnahmen die Gefährdung für den Fortbestand der Gesellschaft beseitigen.7 Eine Verpflichtung zur Nutzung der Instrumentarien des Sta- RUG scheidet bereits deshalb aus, weil diese nur eine von vielen Sanierungsoptionen für eine Gesellschaft darstellen.8 Schließlich kann der Geschäftsleiter eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit auch durch die Einwerbung von Eigen- oder Fremdkapital beseitigen oder im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit statt einer Restrukturierungsanzeige auch eine Sanierung im Eigenverwaltungsverfahren wählen.9
Soweit sich der Geschäftsleiter einer GmbH im Rahmen seiner Ermessensentscheidung jedoch für die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens entschieden hat, ist es erforderlich, sich vor der Anzeige der Restrukturierungssache in jedem Fall mit den Gesellschaftern abzustimmen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es sich bei dem Restrukturierungsverfahren um eine außergewöhnliche Maßnahme von besonderer Bedeutung handelt.10
D. Fazit
Die Geschäftsleiter sind in der Krise der Gesellschaft nicht zur Nutzung der Instrumentarien des StaRUG verpflichtet. Gleichwohl besteht aufgrund der unklaren Rechtslage hinsichtlich der Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen der Gläubigergesamtheit in der Krise für Geschäftsleiter ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Zur Reduzierung des damit einhergehenden Haftungsrisikos sollten Geschäftsleiter bei den ersten konkreten Anzeichen einer Krise der Gesellschaft genauestens prüfen, ob und welche Vorteile den Gesellschaftern gewährt werden. Zudem sollten Weisungen der Gesellschafter wie auch ihre Entscheidungen und Entscheidungsgründe schriftlich dokumentiert werden.
1 Vgl. den Regierungsentwurf des SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181.
2 Vgl. hierzu den Überblick bei Bitter, in: Scholz, GmbHG, 12. Auflage 2021, § 64 Rn. 29 ff., 461 ff.; sowie zu § 2 StaRUG-E: Thole, ZIP 2020, 1985, 1987.
3 BT-Drs. 19/25353, S. 9.
4 So auch Bitter, ZIP 2021, 321, 322; Gehrlein, BB 2021, 66, 67; Bitter, GmbHR 2021, R16, R17.
5 BT-Drs. 19/25353, S. 12.
6 BT-Drs. 19/24181, S. 104. 7 Mock, in: Skauradszun/Fridgen, StaRUG, § 1 Rn. 30.
8 Vgl. auch Riedemann, in: Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 43 Rn. 16.
9 Vgl. auch Mock, in: Skauradszun/Fridgen, StaRUG, § 1 Rn. 30.
10 Goetker, in: Flöther, StaRUG, 2021, § 1 Rn. 78; vgl. auch Kramer, in: Skauradszun/Fridgen, StaRUG, § 31 Rn. 31; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127.