Haftung der Geschäftsleitung für ESG-Compliance

„A business that makes nothing but money is a poor kind of business” sagte schon Henry Ford. Auch heutzutage dominiert die Auffassung, dass Unternehmen nicht nur die Aufgabe haben, Gewinne zu erwirtschaften. Sie tragen auch soziale Verantwortung und haben über die Einhaltung gewisser ethischer Standards zu wachen – und das nicht nur im eigenen Haus, sondern entlang der gesamten Lieferkette. In diesem Kontext taucht immer öfter der Begriff „ESG“ auf.

ESG steht für Environmental, Social and Corporate Governance – zu Deutsch: „Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“. Der Begriff umfasst ethische Standards, zu denen sich Unternehmen freiwillig bekennen, um einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in der Wirtschaft zu leisten, der über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgeht. Darunter fallen unter anderem Themen wie Compliance, Arbeitnehmerrechte, Chancengleichheit und Umweltschutz.

Zum Teil wurden ESG-Themen aber auch schon durch den Gesetzgeber kodifiziert. Das in Deutschland wohl bekannteste Beispiel dürfte das zukünftige Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sein, das voraussichtlich zum 1. Januar 2023 in Kraft treten wird. Bei Verstößen drohen Unternehmen im Einzelfall sowohl erhebliche Ordnungsgelder als auch zivilrechtliche Haftung. Auch das Gesetz zur Frauenquote in Vorständen, welches am 12. August 2021 in Kraft getreten ist, sowie die „EU-Taxonomie- Verordnung“ fallen in den Bereich von ESG. Darüber hinaus lassen sich hierunter auch herkömmliche Gesetzte zum Umweltund Arbeitnehmerschutz fassen.

Dass sich ein Unternehmen an diese Gesetze halten muss, ist selbstverständlich. Doch auch gesetzeskonforme, aber sozial unerwünschte Verhaltensweisen können zu Vermögensschäden führen, etwa in Form von Reputationsverlust und Wettbewerbsnachteilen.

Ein prominentes Beispiel für einen solchen Reputationsverlust ist die schwedische Marke „Oatly“. Das Unternehmen, das vegane Milch vertreibt, galt lange Zeit als umweltfreundliches Vorzeigeunternehmen. Das gute Image des Unternehmens bekam Risse, als herauskam, dass es Aktien im Wert von mehreren Millionen Dollar an eine Unternehmensgruppe verkaufte, zu der der Großinvestor Blackstone gehörte. Nachdem auf Twitter veröffentlicht wurde, dass Blackstone an Brandrodungen im Amazonas-Gebiet beteiligt war, sah sich „Oatly“ mit einem Massenboykott seitens seiner Kunden konfrontiert.

Auch die amerikanische Luxusmarke „Lululemon“ erlitt einen empfindlichen Imageverlust, nachdem das Unternehmen einen Workshop mit dem Slogan „resist capitalism“ veranstaltet hatte. Viele (ehemalige) Kunden empfanden ein solches Verhalten als „heuchlerisch“, angesichts der Tatsache, dass „Lululemon“ Yoga- Leggings für 150$ pro Stück vertreibt. Auf Social Media wurde massenhaft zum Boykott der Marke aufgerufen. Es ist wohl davon auszugehen, dass „Lululemon“ hohe Marketingkosten auf sich nehmen musste, um den Imageschaden zu beheben.

Diese beiden Beispiele sind keine Einzelfälle. Studien belegen, dass Konsumenten von Unternehmen zunehmend erwarten, klare Stellung zu beziehen, wenn es um soziale und umweltpolitische Themen geht. Dabei reicht das öffentliche Bekenntnis zu bestimmten Wertvorstellungen nicht mehr aus. Vielmehr wird auch erwartet, dass sich diese Wertvorstellungen im Handeln des Unternehmens wiederfinden.

Häufig legen sich Unternehmen einen Code of Conduct – also einen eigenen Verhaltenskodex – zu, in dem sie sich freiwillig dazu verpflichten, bestimmte Richtlinien bei ihrem Produktionsablauf, Chancengleichheit, Umweltschutz und anderen Themen aus dem Bereich des ESG einzuhalten. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft immer mehr Unternehmen von ihren Vertragspartnern dazu angehalten werden, sich zur Einhaltung von ESG-Standards zu bekennen, die über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen. Ist ein Unternehmen nicht in der Lage, solche Zusagen zu machen und vor allem einzuhalten, drohen auf lange Sicht Wettbewerbsnachteile, Vermögenseinbußen sowie der Verlust von Kunden und Geschäftspartnern. Werden zugesagte ESG-Standards nicht eingehalten, so kann dies ggf. sogar zu Sanktionen in Gestalt von Schadenersatzforderungen, Vertragsstrafen oder Vertragskündigungen führen.

Es stellt sich daher die Frage, inwieweit der Geschäftsleiter dafür verantwortlich ist, dass das Unternehmen ESG-Standards einhält und welche Haftungsrisiken ihm ggf. drohen.

Der Geschäftsführer bzw. Vorstand hat die Aufgabe, das Unternehmen zu führen und es vor Schaden zu bewahren. Zu den maßgeblichen Pflichten des Geschäftsleiters gehört die sogenannte „Legalitätspflicht“. Danach hat er dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass es zu keinen Gesetzesverletzungen kommt. In all jenen Bereichen, die gesetzlich geregelt sind, ist der Geschäftsleiter durch die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Er hat keinen Ermessensspielraum, sondern trifft sog. gebundene Entscheidungen. Kommt es dennoch infolge fehlerhafter Organisation oder unzureichender Überwachung seitens der Geschäftsleitung zu einem Gesetzesverstoß, so droht die persönliche, unbeschränkte Haftung des Geschäftsleiters für alle der Gesellschaft aufgrund der Pflichtverletzung entstandenen Vermögensschäden. Die Haftung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, also nach § 43 GmbHG für den GmbH-Geschäftsführer, nach § 93 AktG für den Vorstand und nach § 116 AktG für den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Danach ist es ausreichend, wenn das Unternehmen ein Tun oder Unterlassen der Geschäftsleitung darlegt, das möglicherweise eine Pflichtverletzung darstellt und kausal für den Eintritt des Vermögensschadens geworden ist. Es ist dann Aufgabe der Geschäftsleitung, sich im Hinblick auf die Pflichtverletzung oder das Verschulden zu entlasten bzw. zu beweisen, dass es auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten zum Schadenseintritt gekommen wäre.

Anders verhält es sich bei Vermögensschäden, die durch Verhaltensweisen entstanden sind, die zwar nicht ESG-konform, aber gleichwohl gesetzlich zulässig sind. Grundsätzlich steht dem Geschäftsleiter in diesem Bereich, in dem ein konkretes Tun oder Unterlassen aufgrund der Legalitätspflicht nicht zwingend vorgeschrieben ist, ein weites unternehmerisches Ermessen zu. Hat der Geschäftsleiter eine unternehmerische Entscheidung auf angemessener Informationsgrundlage zum Wohle der Gesellschaft und unbeeinflusst von Eigen- oder Drittinteressen getroffen, so liegt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung insoweit nicht vor (Business Judgement Rule). Dies bedeutet allerdings, dass der Geschäftsführer bzw. Vorstand im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidung auch die mit ihr einhergehenden sozialen und umweltrelevanten Faktoren zu ermitteln, zu berücksichtigen und zu dokumentieren hat. Denn nur, wenn er die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in erforderlichem Maße ausgeschöpft hat, kann er das Privileg der Business Judgement Rule für sich in Anspruch nehmen und so der persönlichen Haftung entgehen.

Um Haftungsrisiken zu minimieren, sollte die Geschäftsleitung ihre Organisations- und Überwachungspflichten mit größtmöglicher Transparenz erfüllen und ein geeignetes Risikomanagement installieren. Zu diesem Zweck werden Compliance-Management- Systeme (CMS) implementiert. Die Einrichtung solcher Compliance- Management-Systeme sieht etwa auch der „Deutsche Corporate Governance Codex (DCGK)“ vor, ein Regelwerk, das Standards der „Best Practice“ im Bereich der Unternehmensführung festlegt und entsprechende Empfehlungen und Anregungen für börsennotierte Unternehmen enthält. Bei den herkömmlichen Compliance- Management-Systemen stehen meistens Themenbereiche wie die Prävention von Betrug, Korruption, Geldwäsche und Insiderhandel im Vordergrund. Themen aus dem Bereich des ESG werden zwar auch zum Teil berücksichtigt, spielen aber häufig eine eher untergeordnete Rolle. Dabei wird verkannt, dass nicht ESGkonforme Verhaltensweisen mitunter bedeutende Schäden verursachen können. Das Compliance-Management muss daher so angepasst werden, dass auch ESG-bezogene Themen hinreichend berücksichtigt werden.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es bei ESG-Compliance um mehr geht als nur einen idealistischen Text auf der Firmenhomepage und gute Vorsätze. Von Unternehmen wird die Einhaltung ethischer Standards erwartet und Verstöße werden mitunter seitens der Kunden und Geschäftspartner geächtet. Auch ohne dass es zu einem Gesetzesverstoß kommt, sind mit ESG unvereinbare Verhaltensweisen geeignet, erhebliche Wettbewerbsnachteile und Vermögensschäden herbeizuführen.

Geschäftsleiter sollten sich daher intensiv mit für ihr jeweiliges Unternehmen relevanten Themen aus dem Bereich der „ESGCompliance“ auseinandersetzen, diese „weichen Faktoren“ bei der Organisation und Überwachung der Arbeitsabläufe innerhalb der Gesellschaft berücksichtigen und ihnen insbesondere im Rahmen unternehmerischer Ermessensentscheidungen hinreichend Rechnung tragen. Darüber hinaus ist auch das Compliance-Management auf ESG bezogene Risiken auszudehnen. Versäumt es der Geschäftsleiter, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, so geht er das Risiko ein, im Falle des Schadenseintritts persönlich für die Vermögenseinbußen der Gesellschaft zu haften.