Grenzen der Vertretungsmacht – welche Folgen haben Alleingänge des Geschäftsführers bei der Veräußerung von Gesellschaftsvermögen?

Carsten Laschet, Rechtsanwalt – Partner, und
Claudia Maaßen LL.M. Maître en droit, Rechtsanwältin – Local Partner, FRIEDRICH GRAF VON WESTPHALEN & PARTNER mbB | Rechtsanwälte

Der GmbH-Geschäftsführer ist nach § 37 GmbHG den Weisungen der Gesellschafter unterworfen. Er handelt also pflichtwidrig und haftet, wenn er Weisungen der Gesellschafter zuwiderhandelt.

Wann aber muss der Geschäftsführer eine Weisung, also einen Gesellschafterbeschluss einholen? Diese Frage wird insbesondere für die Veräußerung wesentlicher Teile des  Gesellschaftsvermögens seit langem diskutiert und hat durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 08.01.2019 (NJW 2019, 1512) eine Konkretisierung erfahren, die eine alte Streitfrage klärt und zugleich neue Fragen aufwirft.

HINTERGRUND

Soweit die Gesellschafter einer GmbH dem Geschäftsführer keine Weisungen erteilen, hat dieser die Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (§ 43 GmbHG) eigenverantwortlich zu führen. Dies umfasst alltägliche ebenso wie außergewöhnliche Geschäftsvorgänge. Diskutiert wird aber, ob er verpflichtet ist, bei Geschäften von herausragender Bedeutung einen Gesellschafterbeschluss einzuholen. Dies betrifft insbesondere die Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens, etwa im Rahmen eines Asset Deals, oder des wesentlichen Gesellschaftsvermögens, z.B. des für die Produktion benötigten Betriebsgrundstücks samt Bauten und Maschinen.

§ 53 Abs. 1 GmbHG sieht vor, dass eine Satzungsänderung nur durch Gesellschafterbeschluss erfolgen kann. Dieser muss mit einer Dreiviertelmehrheit gefasst und notariell beurkundet werden (§ 53 Abs. 2 GmbHG). Danach ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlich, wenn die Veräußerung des Gesellschaftsvermögens eine Satzungsänderung voraussetzt. Soll etwa ein Produktionsbetrieb verkauft werden, weil die Gesellschaft fortan als reine Holding fungieren soll, ist eine Änderung des Gesellschaftszwecks erforderlich und damit ein Gesellschafterbeschluss.

Was aber, wenn ohne Satzungsänderung das gesamte Gesellschaftsvermögen verkauft werden soll? So kann es etwa liegen, wenn eine vermögensverwaltende GmbH die Anteile an den von ihr gehaltenen Beteiligungen veräußert, oder – wie in dem dem BGH vorliegenden Fall – sich die GmbH bereits in Liquidation befindet.

Das GmbH-Recht enthält für solche Fallgestaltungen keine ausdrückliche Regelung. Die herrschende Meinung in der juristischen Literatur behalf sich mit einer Analogie zum Aktienrecht. Dortbestimmt § 179 a AktG: „Ein Vertrag, durch den sich eine Aktiengesellschaft zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens verpflichtet […], bedarf auch dann eines Beschlusses der Hauptversammlung […], wenn damit nicht eine Änderung des Unternehmensgegenstandes verbunden ist.“ Fehlt es an einem Gesellschafterbeschluss, ist der Vertrag unwirksam.

DIE ENTSCHEIDUNG DES BUNDESGERICHTSHOFS

Auf diese Analogie stützte sich auch der Kläger in dem vom BGH mit Urteil vom 08.01.2019 entschiedenen Fall. Die Parteien stritten um den Verkauf des Betriebsgrundstücks einer GmbH in Liquidation. Die GmbH hatte zwei einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer, die jeweils auch zu 50 % Gesellschafter der GmbH waren. Einer der Gesellschafter-Geschäftsführer wollte das fragliche Grundstück selbst erwerben. Der andere Gesellschafter-Geschäftsführer nutzte seine Alleinvertretungsmacht jedoch, um das Grundstück an einen Dritten zu veräußern. Der übergangene Gesellschafter machte nun geltend, es fehle an einem Gesellschafterbeschluss über den Verkauf des Grundstücks; der Verkauf sei damit unwirksam. Das Landgericht folgte dieser Argumentation. OLG und BGH vertraten jedoch eine andere Auffassung.

Nunmehr ist höchstrichterlich geklärt: § 179 a Abs. 1 AktG ist nicht analog auf die GmbH anwendbar. Das Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses zur Veräußerung des (im wesentlichen) gesamten Gesellschaftsvermögens führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Veräußerungsvertrags.

Das heißt jedoch nicht, dass der GmbH-Geschäftsführer nunmehr die Gesellschafter bei derart bedeutenden Geschäften völlig außen vor lassen könnte. Im Gegenteil betont der BGH, dass der GmbH-Geschäftsführer bei besonders bedeutsamen Geschäften bereits nach § 49 Abs. 2 GmbHG verpflichtet ist, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen. Bei der Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens sei der Geschäftsführer daher gehalten, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen.

Allerdings führe das Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Veräußerungsvertrags, sondern nur dann, wenn der Geschäftspartner wusste oder es sich ihm aufdrängen musste, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht. Dies werde man häufig annehmen können, wenn das gesamte Unternehmen als solches übertragen werden soll. Dann könne den Geschäftspartner die Obliegenheit treffen, sich nach dem Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses zu erkundigen. Wird nicht das gesamte Unternehmen als solches übertragen, sondern nur ein wesentlicher Vermögensgegenstand, könne sich ein Missbrauch aufdrängen, wenn dem Geschäftspartner bekannt ist, dass ein „maßgebender“ Gesellschafter mit dem Geschäft nicht einverstanden ist.

Auch bei Wirksamkeit des Geschäfts macht sich der eigenmächtig handelnde Geschäftsführer schadenersatzpflichtig, wenn die Gesellschafter mit dem Geschäft nicht einverstanden sind und der Gesellschaft ein Schaden entsteht.

KONSEQUENZEN FÜR DIE PRAXIS

Welche Konsequenzen dieses Urteil für die Vertragspraxis haben wird, ist hoch umstritten.

Wann ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlich?

Einigkeit herrscht, dass bei der Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist. Nach der Entscheidung des BGH ist aber davon auszugehen, dass ein solcher Beschluss auch schon bei der Veräußerung von Einzelgegenständen erforderlich sein kann. Wann genau die Veräußerung eines Einzelgegenstandes ein solches Gewicht hat, dass die Gesellschafter zu beteiligen sind, hat der BGH nicht klar definiert. Genannt werden in der Literatur z.B. Geschäfte über einen Anteil von 80-85 % am Gesamtvermögen der Gesellschaft oder auch die Ausgliederung des wirtschaftlich wertvollsten Teilbetriebs (Heinze, NJW 2019, 1995, 1996).

Welcher Form bedarf der Gesellschafterbeschluss?

Der BGH stellt in seinem Urteil vom 08.01.2019 nicht klar, ob der Gesellschafterbeschluss notariell beurkundet und mit welcher Mehrheit er gefasst werden muss.

Während wohl die Mehrzahl der Literaturstimmen im Anschluss an das Urteil davon ausgeht, dass keine notarielle Beurkundung erforderlich ist, fordern einige Autoren die Beurkundung jedenfalls dann, wenn mit dem Veräußerungsgeschäft dem Gesellschaftszweck die Grundlage entzogen wird, weil z.B. das Betriebsgrundstück oder sämtliche Betriebsmittel veräußert werden. Hierbei handele es sich um eine faktische Satzungsänderung, die entsprechend einer echten Satzungsänderung beurkundungsbedürftig sei (von Prittwitz, DStR 2019, 1265, 1268).

Die besseren Argumente sprechen aber gegen eine Beurkundungsbedürftigkeit. Da der Geschäftsführer zur Veräußerung im Außenverhältnis berechtigt ist, wäre das Formerfordernis unsinnig: Sind die Gesellschafter mit dem Geschäftsführerhandeln einverstanden, ist ein Missbrauch der Vertretungsmacht schwer vorstellbar.

Ebenfalls umstritten ist, ob der Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden kann oder eine Dreiviertelmehrheit erfordert. Nach Ablehnung einer Analogie zu § 179 a AktG wäre es konsequent, eine einfache Mehrheit genügen zu lassen. Auch insofern wird von einigen Autoren aber auf die Nähe zu einer faktischen Satzungsänderung hingewiesen und daher eine Dreiviertelmehrheit gefordert.

Muss sich der Geschäftspartner den Gesellschafterbeschluss vorlegen lassen?

Der BGH weist darauf hin, dass den Geschäftspartner in bestimmten Konstellationen eine Erkundigungsobliegenheit treffen könne. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das gesamte Gesellschaftsvermögen veräußert werde oder wenn dem Geschäftspartner bekannt sei, dass ein „maßgebender“ Gesellschafter mit der Veräußerung nicht einverstanden sei.

Auch wenn diese Erwägungen des BGH in der Literatur kritisiert werden, weil sie dem vom BGH bezweckten Schutz des Rechtsverkehrs widersprechen, ist in der Praxis jedem Geschäftspartner zu raten, sich in derartigen Konstellationen das Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses bestätigen oder sich diesen Beschluss vorlegen zu lassen.

Gilt die Entscheidung auch für andere Gesellschaftsformen?

Ob die Entscheidung des BGH über die GmbH hinaus auch für andere Gesellschaftsformen gilt, insbesondere die GmbH & Co. KG, bleibt offen. So wird vertreten, der BGH habe sich von einer früheren Entscheidung nicht ausdrücklich distanziert, in der er eine analoge Anwendung des § 179 a AktG auf die GmbH & Co. KG bejaht habe (Heinze, NJW 2019, 1995, 1996). Überzeugend ist das nicht: So weist der BGH in seinem Urteil vom 08.01.2019 darauf hin, er habe in der fraglichen früheren Entscheidung lediglich die herrschende Meinung referiert, ohne selbst Stellung zu nehmen. Angesichts der heutigen Argumentation des BGH, § 179 a AktG sei ein „Fremdkörper“ im Gesellschaftsrecht, spricht mehr dafür, auch für die GmbH & Co. KG eine analoge Anwendung abzulehnen.

FAZIT

In der Praxis ist bei Veräußerungsgeschäften über das gesamte oder das wesentliche Vermögen einer GmbH folgendes zu beachten:

  • In der Regel ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlich.
  • Ein privatschriftlicher, mit einfacher Mehrheit gefasster Gesellschafterbeschluss dürfte ausreichen. Will der Geschäftspartner ganz sicher gehen, wird er aber einen mit Dreiviertelmehrheit gefassten und ggf. notariell beurkundeten Beschluss verlangen.
  • Fehlt es an einem Gesellschafterbeschluss, ist das Veräußerungsgeschäft dennoch wirksam, es sei denn, der Geschäftspartner wusste oder es musste sich ihm aufdrängen, dass ein Gesellschafterbeschluss erforderlich war, aber nicht vorlag. Weiß der Geschäftspartner, dass das Veräußerungsgeschäft das wesentliche Vermögen der GmbH umfasst, muss er sich nach dem Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses erkundigen. Gleiches gilt, wenn er weiß, dass die Veräußerung eines wesentlichen Vermögensgegenstandes gegen den Willen eines maßgebenden Gesellschafters erfolgt.
  • Tätigt der Geschäftsführer das Veräußerungsgeschäft, ohne einen Gesellschafterbeschluss einzuholen, handelt er pflichtwidrig und macht sich ggf. schadenersatzpflichtig.