Forschende Biotech-Unternehmen: Schlüsselindustrie für Deutschland

Sechs Monate Bauzeit – dann stand das Terminal für Flüssiggas in Wilhelmshaven; Bundeskanzler Olaf Scholz nennt es das „neue Deutschlandtempo“. Geschichte wiederholt sich. Auch in der Pandemie standen in Rekordzeit Tests, Masken und eben auch Impfstoffe und Arzneimittel in Deutschland zur Verfügung. Verwundert stellen wir fest: Deutschland, ein innovativer, aber oft doch sehr schwerfälliger Tanker, kann es, wenn es wirklich darauf ankommt!

Der Kanzler hat das neue Tempo nun auch für die Biotechnologie versprochen. Er will „schnellere Genehmigungsverfahren für Fabriken, für neue Medikamente, für Forschungsvorhaben und für die Nutzung von Forschungsdaten möglich machen.“ Und kündigte „in ganz kurzer Zeit“ konkrete Gesetzesvorhaben an, damit forschende Pharmaunternehmen das tun können, was sie am besten können: Lösungen liefern, um kranke Menschen in Zukunft noch besser behandeln zu können.

Deutschland steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Es muss die Digitalisierung gestalten, die Dekarbonisierung sicherstellen, die Herausforderungen der Demografie meistern und seine globale Vernetzung an einigen Stellen überdenken; Stichwort: sichere Lieferketten. Die Sicherstellung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln durch Produktion in Europa ist ein wichtiger Baustein. Und dazu gehören auch entsprechende Erstattungsbedingungen. Sichtbar ist dies derzeit bei der aktuellen Diskussion um die Verfügbarkeit von Generika oder Fiebersafte für Kinder, wo erkannt wurde, dass die sich in der Spirale nach unten übertreffenden Rabattverträge und Festbeträge ein wichtiger Teil des Problems sind. Die gute Nachricht ist: Wir sind ein wohlhabendes Land, wir haben immer noch eine gute Infrastruktur und wir haben die Menschen und das Potenzial, die Veränderungen erfolgreich zu meistern. Wir müssen das nutzen.

Biotechnologie in Deutschland – ein Top-Standort

So ist es auch in der Biotechnologie. Deutschland ist in den vergangenen Jahren zu einem Top-Standort für Forschung und Entwicklung geworden. Aber andere Länder haben das Potenzial der Branche ebenfalls erkannt und geben richtig Gas. Das sind längst nicht mehr nur die USA und China. Auch innerhalb Europas wächst eine starke Konkurrenz heran: Spanien hat uns mittlerweile überholt, wenn es um die Zahl der durchgeführten klinischen Studien geht, die von Pharmaunternehmen initiiert werden. Großbritannien hat den Anspruch kundgetan, künftig in der Forschung den Ton angeben zu wollen. Die klinische Forschung für Zell- und Gentherapien findet mittlerweile fast nur noch in den USA und Asien statt. Wir müssen dringend etwas tun.

Dazu gehört das Bekenntnis, die forschende Pharmaindustrie als Schlüsselindustrie anzuerkennen; schlicht, weil ihre Potenziale für den Gesundheits-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort enorm sind. Die Industrielle Gesundheitswirtschaft hat schon heute eine Bruttowertschöpfung von 85 Milliarden Euro und beschäftigt eine Millionen Menschen. Pharmaunternehmen bieten ein hochqualifiziertes Umfeld, bezahlen gut und sind krisenfest. Menschen in der Wirtschaftspolitik, die sich um den Standort Gedanken machen, können sich eigentlich nichts Besseres wünschen.

Das Bekenntnis zur Schlüsselindustrie erfordert eine integrierte Gesundheitspolitik, in der die Ressorts Gesundheit, Wirtschaft, Wissenschaft und Inneres (wegen der Digitalisierung) an einem Tisch sitzen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Förderung von Forschung auf der einen Seite von Sparmaßnahmen auf der anderen Seite konterkariert wird. Das aber ist momentan Realität in Deutschland. Das im Herbst verabschiedete GKV-Spargesetz hat einen dermaßen innovationsfeindlichen Charakter, dass die Folgen für die Forschung und auf die Arzneimittelversorgung nicht ausbleiben werden; denn das Gesetz entzieht den Unternehmen Liquidität in Milliardenhöhe und erhöht die Unsicherheiten für den Marktzugang.

Warum nicht wieder eine „Apotheke der Welt“ werden?

Eine integrierte Gesundheitspolitik muss man nicht einmal neu erfinden. In Hessen arbeiten die Partner in der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen (IGH) seit 2013 gemeinsam für einen starken Standort der Pharma- und Medizintechnikbranche. Sie schaffen wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Wissenschaft und Forschung miteinander zu verknüpfen. Auch in Baden-Württemberg ist ein „Forum Gesundheitsstandort“ längst Realität und setzt auf die Vernetzung aller Beteiligten. In Rheinland-Pfalz wurde eine Biotechnologieinitiative gegründet und die Förderung der Biotechnologie ganz oben auf die Agenda gesetzt. Auch hier werden Wissenschaft und Wirtschaft, Forschung an Hochschulen, Start-Ups und Pharmafirmen zusammengebracht. Hinter all diesen Initiativen steht die Erkenntnis, dass forschende Pharmaunternehmen mehr zu bieten haben, als „nur“ innovative Arzneimittel und Impfstoffe, um Menschen gesund zu halten und gesund zu machen. Sie bieten alles, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland trotz aller Herausforderungen gesund bleiben kann. Eine moderne Biotechnologie ist ein Aushängeschild für ein modernes Land, der wie ein Magnet weitere Innovationen an sich zieht. Ihre Stärkung ist Wohlstandspolitik. Dafür braucht es drei konkrete Maßnahmen:

  1. Die pharmazeutische Industrie fordert, den Arzneimittel-Herstellern ein Antragsrecht beim Forschungsdatenzentrum zu gewähren, um die vorhandenen Daten zum Nutzen der Patienten viel besser einbeziehen zu können. Wir haben in Deutschland Abrechnungsdaten für mehr als 70 Mio. GKV-Versicherte. Insgesamt müssen sogenannte Real-World-Evidence (RWE) Studiendaten mehr Beachtung erhalten und ihre Potentiale besser genutzt werden.
  2. Wichtig wäre außerdem, dass bessere Bedingungen für klinische Studien geschaffen werden und ein weiteres Zurückfallen im internationalen Vergleich gestoppt wird. Eine große Chance bietet die Durchsetzung von einheitlichen Kriterien für die Nutzenbewertung im Rahmen von EU-HTA. Einheitliche Anforderungen würden den Studienstandort Europa insgesamt und damit auch Deutschland stärken.
  3. Die Branche setzt sich dafür ein, dass Arzneimittelausgaben viel mehr als Investition in die Zukunft betrachtet werden. Innovative Arzneimittel können Kosten der Behandlung einsparen, die Lebenszeit und -qualität verlängern bzw. verbessern und damit positive volkswirtschaftliche Effekte erzielen, die in der reinen Kostendebatte übersehen werden.

Die forschenden Pharmaunternehmen stehen bereit, damit Deutschland wieder eine der „Apotheken der Welt“ werden kann!