Flexibilität ist alles

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Future Workplace vom 30.08.2022

Schon seit 2010 macht der Filmemacher, Youtuber, Podcaster, Autor und last but not least Unternehmer Christoph Magnussen nach eigenen Angaben „New Work“. Was seine Auffassung von New Work für den Workplace der Zukunft bedeutet, und wie die modernen Herausforderungen der Raumgestaltung gemeistert werden, durfte die Handelsblatt Journal Redaktion mit ihm besprechen. Noch nicht vom MVW, dem Minimum Viable Workspace, gehört? Dann sollten Sie weiterlesen.

Herr Magnussen, machen Sie, was Sie wirklich, wirklich wollen?
Definitiv. Mit meinem Schaffen darf ich dafür sorgen, dass Menschen Arbeit als etwas erkennen und gestalten, das sie stark macht. Ein Traum!

Sie spielen mit der Frage ja auf das Verständnis von New Work, das Frithjof Bergmann geprägt hat, an. Daher in seinem Sinne etwas bildlicher gesprochen: Wenn ich mit meinen Kindern im morgendlichen Hamburger Berufsverkehr unterwegs bin, schauen wir von unserem Lastenfahrrad aus in viele angestrengte, lustlose Gesichter. Ich sage dann, dass die Leute womöglich nicht so richtig Bock auf ihre Arbeit haben, weil sie da vielleicht den ganzen Tag in tristen Räumen rumsitzen müssen. Ich kann nicht verändern, was die Leute machen. Aber wie sie etwas machen, daran kann ich etwas ändern. Etwa, indem wir ihre Büros zu belebten Orten machen, die gerne für echte Zusammenarbeit genutzt werden. Ein bisschen wie im Kindergarten, der ja als Begegnungsstätte auch dazu anregen soll, Kreativität und Spieltrieb freien Lauf zu lassen.

Wer sich mit New Work befasst, kommt an Ihnen nicht vorbei. Seit Jahren sind Sie mit dem Podcast „On The Way To New Work“ unterwegs. Und mit dem 2022 eröffneten „House of New Work“ sind Sie nun am Ziel Ihrer Reise?
Schön wäre es, aber nein: New Work ist ein Prozess, kein Projekt. Schließlich geht es um nicht weniger als die grundlegende Auseinandersetzung damit, wie wir zusammenarbeiten wollen. Das fängt mit modernen Software-Tools an und hört bei dem Raum, in dem wir arbeiten, noch lange nicht auf. Da muss immer wieder neu verhandelt und gestritten werden. Diesem Geist – und dem Einfluss der Pandemie – entstammte auch die Idee für das „House of New Work“: Neben der Kultur entscheiden technologische Lösungen immer mehr über das Wie unserer Arbeit – geteilte Dokumente, Videokonferenzen oder Chat-Tools gibt es ja nicht erst seit der Pandemie. Auch dafür liefern wir Impulse. Das „House of New Work“, das gleichzeitig unser Hauptquartier, lebendes Schaufenster und vielseitig nutzbare Location ist, soll all das nun in den physischen Raum übersetzen. Welche Arbeitsumgebung brauchen wir in Zukunft für welche Aufgaben? Wie fühlt sich das an? Das finden wir hier für unsere Kund:innen raus.

Mit welchem Ergebnis? Welche Erkenntnisse für die Raumplanung lassen sich in so einem Experimentierfeld gewinnen?
Wir können beispielsweise den „People Flow“ austesten und messen, um Social Collaboration unter Kolleg:innen und Arbeit mit digitalen Tools im hybriden Büro besser nachzuvollziehen. Das hilft enorm bei der Steuerung von Kommunikation und damit Kollaboration im Büro, wenn ich weiß: Wer macht wann wo im Büro welche Erfahrung, geht welcher Arbeit nach? Das hat dann im Sinne des „Activity Based Working“-Konzepts ganz konkrete Auswirkungen auf die Raumgestaltung: Wo setze ich welches Möbelsystem ein – seien es starre Telefon-Boxen oder bewegliche Elemente –, wie gestalte ich den Eingangsbereich, wo schaffe ich Relax-Zonen oder offene Arbeitsflächen?

Die Herausforderung bei der Raumplanung besteht ja darin, die Balance zwischen Möblierung, Raum, Technologie und der eigenen Kultur zu schaffen. Und das angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen nur noch ins Büro kommen, wenn sie es wollen. Wenn heute in Büros Meetings stattfinden, steht der Socializing-Part an erster Stelle. Wer das nicht versteht, kann gleich zu Hause bleiben. Tatsächlich kann da viel über die Möblierung erreicht werden, wenn man erst einmal über Kicker und Tischtennisplatte hinausgedacht hat. Büromöbel sind dann sinnvoll, wenn sie in Bewegung sind. Wenn die Leute sie drehen, wenden, schieben können. Klar kann es auch „Fixed Desk Areas“ geben – aber wie geil ist es bitte, wenn die Tribünenelemente fürs All-Hands-Meeting im nächsten Moment als Arbeitstische für einen Workshop dienen können, oder wenn man verstanden hat, dass das Smartphone mindestens zeitweilig als einziges Arbeitsgerät taugt und ein Sofa dann den Schreibtisch ablösen kann?!

Das klingt schon sehr nach dem großen Traum vom neuen Arbeiten. Aber welche praktischen Herausforderungen bei der Raumgestaltung bringt das mit sich?
Ein Büro ist ein mächtiges Tool im Sinne der internen Kommunikation – und die Gestaltung liegt in unseren Händen! Das klingt erstmal gut, aber bei all den gestalterischen Möglichkeiten wissen viele schnell nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Und dann geht’s daneben, weil nicht richtig priorisiert wird.

Nicht jede Organisation braucht jedes denkbare Gestaltungselement, nicht jeder Use Case muss in jedem Office abgedeckt werden. Ganz individuell muss daher zum Beispiel entschieden werden, wann das Büro für ein Meeting der richtige Ort ist, oder ob ein Video-Call reicht – und welche Anforderungen das jeweils mit sich bringt.

Ein weiterer, wesentlicher Aspekt: Mitarbeitende müssen den Raum als Tool mitgestalten können und auch die Möglichkeit bekommen, neue Formen der Zusammenarbeit zu erlernen. Schließlich sollen sie ihn ja ebenso nutzen wie die vielen anderen, meist digitalen Tools! Auch da sind viele Menschen überfragt, weshalb das Bewusstsein über bestimmte Spannungsfelder der Arbeit hilfreich sein kann: Plane ich hier Performance oder Erholung, Brainstorming oder Konzeptarbeit, Arbeit allein oder Arbeit im Team? So können die richtigen Ableitungen getroffen werden.

… was in der Regel Sache der Führungskräfte ist.
Richtig. Ob es nun institutionalisierte Führungskräfte gibt, oder jede:r Führungskraft hat und ist: Wichtig ist bei der Bürogestaltung auch die Meta-Kommunikation. Oft entstehen Missverständnisse, weil alle denken, dass alles klar ist. Ist es aber nicht, sofern man sich nicht auf grundlegende Dinge geeinigt hat. Meta-Kommunikation heißt dann einfach, dass über die Kommunikation gesprochen werden muss. Es braucht stete Impulse und Rückversicherungen über das, was unbedingt erlaubt und erwünscht ist.

So bringt der beste Socializing-Bereich nichts, wenn Mitarbeitende denken, sie würden „da ja eh nicht arbeiten, sondern nur so abhängen“. Nein, sie müssen das durch entsprechende Kommunikation bestärkte Gefühl haben, dass es erlaubt und erwünscht ist, Kontakte zu knüpfen! Das klingt trivial, ist aber wirkungsvoll. Führungskräfte sollten explizit dazu aufrufen, das Büro so zu gestalten und nutzen, wie es eben angelegt ist. Und vor allem selbst Zeit in den Gemeinschaftsbereichen verbringen – leading by example, ganz wichtig!

mobile büromoebel

Mobile Büromöbel – wie hier im „House of New Work“ – beleben und sorgen für maximale Flexibilität.

Sie haben bereits angedeutet, dass man besser in Prozessen als in Projekten denkt. Wie sinnvoll ist es also, jetzt ein Büro für die kommenden zehn Jahre zu gestalten?
Allein angesichts der Erfahrungen mit der Pandemie und der grundlegenden Transformation des Bewusstseins darüber, was Arbeit ist, und wie sie sein sollte, ergibt eine fixe Planung über Jahre keinen Sinn. Flexibilität ist alles. Wir reden daher gern vom „Minimum Viable Workspace“, den Organisationen gestalten sollten.

Der Begriff ist der Software-Entwicklung und Startup-Welt entlehnt, wo man mit „Minimum Viable Products“ arbeitet, um frühzeitig Ideen zu testen und zu validieren. Ohne riesigen Aufwand, um eben schnell auch andere Richtungen einschlagen zu können, wenn das Feedback dies hergibt. Beim Minimum Viable Workspace untersucht man innerhalb eines abgesteckten Bereichs und über einen bestimmten Zeitraum, welche Anforderungen es an das Büro gibt, und welche Annahmen – Stichwort People Flow – sich bewahrheiten beziehungsweise welche Elemente sich als sinnvoll erweisen. So bleibt man flexibel und hat nicht plötzlich ungenutzte Flächen oder Möbel. Raumgestaltung ist in der Regel kapitalintensiv und mit diesem Ansatz lässt sich wunderbar iterativ vorgehen. Das spart Kosten und Nerven.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Beispiele von Unternehmen und Organisationen, die ihre Büros nach dem New-Work-Gedanken aus- und eingerichtet haben. Gibt es Blaupausen?
Von Blaupausen würde ich nicht sprechen, aber natürlich gibt es jede Menge Inspiration. Jede Organisation ist individuell, das ist einfach so. Trotzdem oder gerade deswegen kann der Blick in andere Büros inspirierend für die eigenen Ambitionen sein und der Anstoß, bestimmte Dinge zu testen und mit diversen Raumelementen zu experimentieren. Genau aus dem Grund haben wir beispielsweise das „House of New Work“ geschaffen. Und im Sinne der Sache wiederhole ich mich da gern: New Work ist ein Prozess, eine Reise. Go out and explore!

Wenn heute in Büros Meetings stattfinden, steht der SocializingPart an erster Stelle. Wer das nicht versteht, kann gleich zu Hause bleiben.

Christoph Magnussen Gründer und CEO, New Work-Beratung Blackboat
Das aktuelle Handelsblatt Journal
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