Europa befindet sich in der Wohnungskrise – Ein gemeinsamer Plan muss her!

Die kontinuierlich steigenden Wohnkosten sind für viele Europäer eine wachsende Herausforderung. Steigende Mieten und Baukosten, hohe Hypothekenzinsen sowie eine rückläufige Bautätigkeit, die das Angebot verknappen, stellen Hürden für erschwinglichen Wohnraum dar. Gerade für junge Menschen und Familien kommt diese Situation einer existenziellen Wohnungskrise nahe. Das Phänomen wächst längst über die nationalen Grenzen hinaus und wird im gesamten Euroraum als Problem eingestuft. Für die Europäische Union wird der Mangel an bezahlbaren Wohnraum zur Chefsache. „Europa befindet sich in einer Wohnungskrise“, stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fest und signalisiert damit den akuten Handlungsbedarf: Im Juli 2024 kündigte sie die erstmalige Ernennung eines Kommissars für das Wohnungswesen sowie eine sogenannte Task Force für den Wohnungsbau an, um mit direkter Verantwortung Lösungen für das Wohnungswesen zu finden.

Damit legt die Kommissionspräsidentin den Fokus auf europaweite Lösungen, um die Ursachen der Not zu untersuchen und die erforderlichen Maßnahmen zur Abmilderung zu definieren. Die Verringerung bürokratischer Anforderungen, die Förderung privater und öffentlicher Institutionen bei gleichzeitiger Berücksichtigung energieeffizienter Bauweisen werden als mögliche Maßnahmen definiert. Ein wirksamer Beitrag zur Verbesserung der europäischen Wohnungskrise macht somit den Bedarf an politischen Reformen, die Schaffung von Investitionsanreizen sowie die Entbürokratisierung im Bauwesen deutlich. Der Blick darauf, welche Faktoren auf die Wohnungskrise einwirken, macht den Handlungsbedarf nachvollziehbar.

Der holistische Blick

Die Wohnungskrise ist kein Einzelfaktorproblem. Die Gründe sind mannigfaltig und entstehen durch die Diskrepanz von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt und kommen in Form von steigenden Preisen und Kosten für Mieten bzw. dem Erwerb zum Ausdruck. Auch demographische Faktoren wie Zuwanderung, Singularisierung und Urbanisierung, sowie steigende Bevölkerungszahlen und ein Reformstau, sind auschlaggebende Faktoren. Die Zinsentwicklung der letzten Jahre, Spekulationen mit Immobilien auf dem Kapitalmarkt sowie hohe Baukosten sind weitere Gründe dafür, die eine optimale Allokation auf dem Wohnungsmarkt verhindern. Eine zentrale Steuerung und Regulierung der Wohungskrise sind daher nicht immer einfach zu gestalten, da diese zusammenwirkenden Faktoren unterschiedliche Auslöser haben und individuelle Gegenmaßnahmen erfordern.

Preisentwicklung in Europa

Zwischen 2015 und 2025 sind die Wohnkosten im Durchschnitt um 48 Prozent gestiegen. Der stärkste Anstieg ist in Ungarn zu verzeichnen, hier sind die Preise um 173 Prozent, der niedrigste in Finnland mit 5 Prozent gestiegen.1

Der Blick auf den deutschen Immobilienmarkt

Deutschland ist ein Land der Mieter. Nirgendwo in Europa ist der Anteil der Eigentümer von selbst bewohnten Immobilien so gering wie hierzulande. Etwa 53 Prozent der Menschen in Deutschland lebten 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamts zur Miete. Das entspricht rund 43 Millionen Personen in 21 Millionen Mieterhaushalte. Zum Vergleich: In Frankreich lag dieser Anteil bei nur etwas mehr als einem Drittel, in Spanien bei rund einem Viertel und in Rumänien lebten nur vier Prozent zur Miete. Diese Beobachtung macht deutlich, dass die Nachfrage nach Mietwohnungen in Deutschland besonders hoch ist. Bei entsprechend unelastischem Angebot an zusätzlichen Wohnraum führt diese Entwicklung auf einen Nachfrageüberhang nach Mietwohnungen, die sich entsprechend auf die Entwicklung der Mieten in Deutschland auswirkt.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lag der Index zur Entwicklung der Wohnungsmieten in Deutschland im Jahr 2024 bei einem Wert von 107,5 Punkten. Dies entspricht einem Anstieg von etwa 7,5 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2020 (Index = 100) – ein Beleg für die anhaltende Verteuerung von Mietwohnungen in Deutschland.

Gerade in deutschen Großstädten treibt der Mangel an Wohnraum die Mieten nach oben. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung sind die durchschnittlichen Wiedervermietungsmieten von im Internet inserierten Wohnungen in großen kreisfreien Städten zwischen 2010 und 2022 um fast 70 Prozent gestiegen.

Unelastisches Angebot an Wohnungsraum führt zu höheren Wohnungskosten

Eine Möglichkeit zu messen, ob die Wohnkosten zu hoch sind, besteht darin, das Verhältnis von Wohnpreis zu Einkommen zu betrachten. Liegen die Wohnkosten über 40 Prozent des verfügbaren Einkommens, ist das ein Zeichen dafür, dass die Haushalte mit Wohnungsproblemen konfrontiert sind. Tatsächlich geben 10 Prozent der Haushalte in der EU mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnraum aus.

Laut dem Mieterverbund sind in Deutschland von den 21 Millionen Mieterhaushalten über ein Drittel deutlich durch Wohnkosten überlastet. 3,1 Millionen Haushalte zahlen für Kaltmiete und Heizkosten mehr als 40 Prozent ihres Einkommens. 4,3 Millionen Haushalte zahlen zwischen 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens.

Kapitalanleger strömen in den Immobilienmarkt

Immobilien haben sich historisch als besonders krisensichere Geldanlage durchgesetzt. Mit stark steigenden Mieten und der rückläufigen Zinsentwicklung werden Immobilien für Kapitalanleger zunehmend interessant. Die Rendite setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen, die sich aus Mieteinnahmen und Wertsteigerung, aber auch der Nutzung von Steuervorteilen ergeben. Das hat Folgen für den Wohnungsmarkt, denn sinkende Zinsen und steigende Mieten ziehen immer mehr Kapitalanleger in den Immobiliensektor. So beobachten Kreditvermittler, dass Privatpersonen, die ihr Geld in Immobilien investieren möchten, vermehrt mehr Kredite aufnehmen als im Vergleich zu Eigennutzern. Auch Banken bemerken eine Rückkehr größerer Investoren auf den Markt, was sich bereits in ansteigenden Preisen für Mehrfamilienhäuser zeigt.

Die Notwendigkeit für europaweite Reformen

Längerfristige Baugenehmigungsverfahren, in der Regel mehrjährige Erstellungszeiträume für Immobilien, die gestiegene Zahl der Bauvorschriften und ausgelastete bzw. überausgelastete Kapazitäten im Baugewerbe – viele bürokratische Hürden und hohe gesetzliche Auflagen erschweren die Angebotsentwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Das vorhandene Angebots- und Allokationsproblem auf dem Immobilienmarkt macht die Notwendigkeit von Reformen sowie den Einsatz lösungsorientierter wohnungspolitischer Instrumente deutlich.

Darauf musste die Europäische Kommission mit politischen Leitlinien reagieren und hat Wohnen zu einem eigenen Politikfeld der EU-Kommission aufgewertet. Auch für die aktuelle Bundesregierung hat das Thema Wohnungsnot hohe Priorität. Mit einem 14-Punkte-Plan will es die Not auf dem Wohnungsmarkt lindern und den Wohnungsbau ankurbeln. Bis 2027 will sie dafür 18 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Um Kosten zu sparen, sollen z. B. die Anforderungen für energiesparendes Bauen nicht wie geplant erhöht werden.

Technologie als Katalysator

Die aktuelle Wohnungskrise ist vielschichtig und erfordert einen gesamtheitlichen Blick zur Evaluierung der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sowie der Einleitung geeigneter Maßnahmen. Technologie kann dabei als Katalysator zur Abmilderung der Komplexität und Senkung von Transaktionskosten unterstützen. Durch die Heranziehung digitaler Lösungen, beispielsweise bei der Einholung von Baugenehmigungen oder der Kreditfinanzierung, in Kombination mit der Verschlankung von Prozessen und Bearbeitungsvorgängen lassen sich Optimierungspotenziale heben. So können zum Beispiel Antragsprozesse fallabschließend durchgängig digitalisiert werden, das Einlesen von Dokumenten wie Energieausweise vollautomatisiert und damit Prozesse verschlankt werden. Auch bei der Prüfung des Kreditvergabeprozesses sind Verbesserungen möglich: Automatisierte Bonitätsprüfungen mittels

SCHUFA und Liquiditätsabfrage, Optionen einer digitalen Wertermittlung über Sachverständige sowie KI-unterstützte regelbasierte Kreditvergabeprozesse sind nur einige Möglichkeiten für komplexitätsreduzierende Optionen im Zusammenhang mit digitalen Antragsstrecken. Mit der Einbindung beteiligter Institute sowie den bestehenden IT- und Systemlandschaften sind durchaus Senkungen von Reibungsverlusten möglich. Positive Kundenerlebnisse entlang der gesamten Customer Journey sowie die Entlastung von Mitarbeitenden sind weitere Vorteile, die sich bspw. mit dem Angebot von Kunden- und Unternehmensportalen ermöglichen.

Fazit

Die Wohnungskrise hat gravierende Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung in Europa. Die aktuelle Situation fördert die Entstehung sozialer Probleme wie Armut, Verdrängung und Konflikten. Gleichzeitig erschwert sie die Mobilität und die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Dadurch hemmt sie das Wirtschaftswachstum, Innovationen und die Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Gegenmaßnahmen droht in Teilen Europas eine dauerhafte Wohnungskrise – mit enormen Folgen für Demografie, Bildung, Integration und wirtschaftliche Stabilität.