Europa als Kernmarkt: Strategische Erwägungen eines führenden europäischen Versicherers

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Welt ein enormes Wachstum aufstrebender Wirtschaftsregionen und neuer Märkte erlebt. Dazu gehören sicher China, Südostasien, die BRICS-Staaten und inzwischen auch einige Länder Afrikas. Aber wenn es einen Kontinent gibt, der wirklich von einem großen gemeinsamen Markt und großen Innovationen profitieren und einen sicheren Hafen in einer turbulenten Welt bieten kann, dann ist das Europa. Kein anderer Staatenverbund ist mit der Welt so vernetzt wie die Europäische Union. Sie hat einen großen Anteil am Welthandel und stellt trotz aller Krisen weiterhin ein wichtiges Fundament für Wachstum, Wohlstand und Stabilität dar. Mit nur rund 450 Millionen Einwohnern erwirtschaftet Europa ein Bruttoinlandsprodukt von 16 Billionen Euro und hat damit einen Anteil von 14 Prozent am Weltmarkt. In einem von Umbrüchen und Unsicherheiten geprägten internationalen Umfeld kann Europa eine wichtige Rolle dabei spielen, diese Grundpfeiler unserer Gesellschaft langfristig zu sichern. Auch wenn Europa in vielerlei Hinsicht ein Paradebeispiel für Stabilität, Resilienz und Innovationskraft ist, ist dies doch keine Garantie für eine nachhaltig prosperierende Zukunft. Dennoch ist hier kein Pessimismus angesagt. Denn der Kontinent hat zahlreiche Kriege, wirtschaftliche Krisen und politische Umbrüche überstanden, sich immer wieder erholt und sich weiterentwickelt. Europa besitzt eine reiche Tradition in Technologie, Wissenschaft, Kunst und Kultur und ist dadurch eine fruchtbare Umgebung für Kreativität und Innovation.

Multikrisen verlangen Resilienz und Flexibilität
Mehr denn je bewegen wir uns in einer Zeit, die geprägt ist von einer Vielzahl von Krisen, die unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft bereits jetzt gravierend verändert haben: die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, Inflation und steigende Energie- und Verbraucherkosten, der demografische Wandel und der Klimawandel mit all seinen Folgen. Hinzu kommen die anhaltenden Spannungen zwischen den USA und China und der wieder entflammte Konflikt im Nahen Osten – nach Jahrzehnten politischer Entspannung und Prosperität erleben wir derzeit eine Multikrise mit unabsehbaren Auswirkungen für Wohlstand, soziale Sicherheit und die Stabilität unserer Gesellschaft. Gerade in solchen Zeiten großer Unsicherheit ist Europa ein Stabilisierungsfaktor, dabei spielen Wirtschaft und Politik eine immens wichtige Rolle. Insbesondere die Versicherungswirtschaft hat sich über alle Krisen der vergangenen Jahre als Stabilitätsanker mit Sinn für solide Kapitalanlagen und gesellschaftliche Bedürfnisse bewährt.

Europa als Kernmarkt der Generali
Seit ihrer Gründung vor mehr als 190 Jahren ist die Geschichte der Generali eng mit der europäischen verbunden. Für die in mehr als 50 Ländern agierende Generali ist Resilienz Teil ihres kulturellen Erbes. Sie konnte sich immer wieder neu erfinden, Veränderungen antizipieren und die damit verbundenen Chancen nicht nur als Unternehmen erfolgreich nutzen, sondern sich auch um das Wohl der Gesellschaft in ihren Kernmärkten kümmern. Als Nummer 1 unter den Erstversicherern bei den Beitragseinnahmen auf dem Kontinent setzen wir auch in Zukunft auf Europa als Kernmarkt. Und erst kürzlich haben wir hier unsere Führungsposition durch bedeutende Akquisitionen in Spanien, Portugal und Irland gestärkt. Dafür gibt es zahlreiche gute Gründe: Politische Stabilität und ein verlässliches Umfeld für Unternehmen und Investoren, hochqualifizierte Arbeitskräfte sowie die Heimat führender Technologie-Unternehmen. Zudem verfügt Europa über eine ausgebaute Infrastruktur mit Zugang zu einer großen Zahl von Verbrauchern, hohe soziale und Umweltstandards sowie eine kulturelle Vielfalt. Allerdings ist die Vielfalt Europas zwar einerseits eine große Chance und ein Vorteil gegenüber anderen ökonomischen und politischen Systemen, kann aber andererseits zu einer Schwäche werden, wenn sie nicht adäquat gemanagt wird. Ich denke dabei an die konträren Interessen so vieler Mitgliedsstaaten, die infolgedessen keine einheitliche politische Ausrichtung haben. Auch in puncto Regulatorik gelten in allen Mitgliedsländern EU-weite Richtlinien, diese werden aber nicht überall in gleichem Maße umgesetzt. Das ist eine Gefahr für die Zukunft Europas und für die Chancengleichheit der Unternehmen. Wir glauben, dass für einen großen internationalen Versicherer wie Generali es wichtig ist, in Entwicklungsmärkten zu wachsen, und das tun wir. Aber mit Blick auf die aktuelle makroökonomische und geopolitische Lage sind wir davon überzeugt, dass die Fähigkeit, im heimischen europäischen Markt zu wachsen und Gewinne zu erzielen, eine fundamentale Rolle spielt. Auch deshalb haben wir vor gut einem Jahr die Business Unit DACH gegründet. Während wir in Europa viele Sprachen sprechen, haben wir in DACH einen sehr großen Markt, der eine gemeinsame Sprache hat, eine Region in der wir bereits die Nummer zwei sind und in der wir von der Bündelung unserer Kräfte in einem geografischen Raum mit ähnlichen Marktund Sprachbedingungen sowie Geschäftsmöglichkeiten profitieren. Mit Prämieneinnahmen von rund 20 Milliarden Euro und nahezu 13 Millionen Kunden ist DACH nach Italien mit rund 24 Milliarden Euro Prämieneinnahmen die zweitgrößte Business Unit der Generali Group. Mit dem besten Return-on-Investment innerhalb Europas ist die Rendite der Investitionen in der DACH-Region und ihren drei Ländern höher als in jedem anderen Teil Europas und die ideale Voraussetzung für nachhaltig ausgerichtetes unternehmerisches Handeln. In einem zusammenwachsenden Europa sehe ich Generali in DACH zudem als Motor für länderübergreifenden Ideenaustausch, Innovationen, Talententwicklung und natürlich auch den effektiven Umgang mit unseren Ressourcen.

Zukunftsmotor Innovation
Dabei wird es für Unternehmen immer wichtiger, in Netzwerken zu denken und zu arbeiten, um den Kundenerwartungen zukünftiger Generationen gerecht zu werden. Als Generali in DACH kooperieren wir deshalb mit Start-ups und wissenschaftlichen Institutionen, um innovative Produkt- oder Präventionslösungen für unsere Kundinnen und Kunden zu entwickeln. So arbeiten wir beispielsweise in Deutschland schon seit einigen Jahren mit den renommierten Münchner Institutionen Insur- TechHub sowie Plug and Play zusammen. In der Schweiz ist das von der Generali gegründete „HITS – House of Insurtech Switzerland“ eine wichtige Plattform, die ähnlich wie Investoren aus der Wirtschaft Unternehmen in Start-up-Manier mit innovativen Ideen unterstützt. Und in Österreich haben wir zahlreiche innovative Produkte und Services für unsere Kunden eingeführt und wurden als Innovationssiegerin 2022 ausgezeichnet. Darüber hinaus haben wir ein starkes Augenmerk auf die enormen Chancen, die uns generative AI bietet. Um diese wichtigen technologischen Entwicklungen nach vorne zu treiben, haben wir eine weltweite AI-Einheit gegründet. Wie wir AI in der Wirtschaft und in der Gesellschaft verankern, wird die Welt definieren, in der wir in der Zukunft leben. Neben Technologie sind eine alternde Gesellschaft, der Schutz vor neuen Risiken, auch bedingt durch den Klimawandel, nur einige der heutigen Herausforderungen. Versicherer können mit ihrer Expertise eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der europäischen Gesellschaft unserer Zeit spielen, bei der Generali ist das in ihrer DNA verankert. So verfasste 1914 der damalige Geschäftsführer der Generali in Wien, Edmond Richetti von Terralba, eine visionäre Schrift über die Notwendigkeit eines gemeinsamen Europas zur Sicherstellung einer prosperierenden Gesellschaft. Darin beschrieb er, welche Rolle die Versicherer bei der Entwicklung friedlicher und wohlhabender europäischer Gemeinschaften spielen sollten, und zwar: „Alle Völker, unabhängig von ihrem Status, würden mit Freude die vereinten und verbundenen europäischen Staaten sehen“. Diese Worte Richettis können heute mehr denn je unsere Arbeit inspirieren. ■

Die Versicherungswirtschaft hat sich über alle Krisen der vergangenen Jahre als Stabilitätsanker
mit Sinn für solide Kapitalanlagen und gesellschaftliche Bedürfnisse bewährt.

Giovanni Liverani
Giovanni Liverani CEO, Germany, Austria and Switzerland (DACH), Generali
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