„Es läuft auf die Symbiose von Mensch und Maschine hinaus“

Augmented Reality optimiert die Arbeitswelt. Menschen wird diese Technologie aber nicht überflüssig machen, sagt TeamViewer-AR-Experte Hendrik Witt. Warum nicht, Herr Witt?

Zur Person: Hendrik Witt ist Chief Product Officer bei TeamViewer und einer der Gründer des Bremer Datenbrillenspezialisten Ubimax, den TeamViewer im Sommer 2020 übernommen hat. Der promovierte Informatiker gründete 2011 die Strategieberatung xCon Partners, Vorläufer von Ubimax. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten kommerziell erhältlichen Datenbrillen frisch auf dem Markt. Witts Begeisterung für Wearables reicht aber noch weiter zurück: Schon im Jahr 2004 beschäftigte er sich in einem EU-Projekt erstmals mit Wearables für den Unternehmenseinsatz– damals noch mit einem zugehörigen Computer im Rucksack.

Herr Dr. Witt, Augmented Reality (AR) war mal ein Nischen-Novum für Gamer und gilt mittlerweile als Zukunftstechnologie. Wie ist dieser Imagewechsel geglückt?
Eine Datenbrille ermöglicht es uns, digitale Informationen direkt in das Sichtfeld des Arbeiters einzublenden. Die Industrie hat erkannt, dass darin ein enormes Potenzial steckt. Ein Mensch kann also Computertechnologie nutzen und bedienen, ohne sie in den Händen zu halten. Und das ist besonders wichtig für alle, die ihre Hände zum Arbeiten brauchen, beispielsweise zur Fertigung oder Reparatur von Geräten etwa.

Stichwort Potenzial: Wie sieht es mit der Effizienz der Arbeit von Menschen aus, die AR-Technologie nutzen?
Aufgrund der visuellen Unterstützung macht der Mensch weniger Fehler und kann viel effizienter und adäquater arbeiten. Wir sehen substanzielle Verbesserungen in Arbeitsprozessen, etwa in der Größenordnung von 25 Prozent. Beim Logistikunternehmen DHL sehen wir einen Effizienzgewinn von etwa 15 Prozentbei Flugzeugbauer Airbus sind es sogar 40 Prozent. So eine Steigerung kann man derzeit mit keiner anderen Technologie erreichen.

Augmented Reality erfordert, dass Mitarbeitende Datenbrillen tragen. Sogenannte Wearables sind aber nicht nur Datenbrillen, sondern zum Beispiel auch Handscanner oder Smart-Watches. Was macht das mit den Menschen und ihrer Arbeit?
Neben einer Verbesserung der Arbeitsergebnisse beobachten wir, dass Wearables ein ganz signifikantes Bindungselement zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen sein können. Menschen, die AR-Lösungen für ihre Arbeit erhalten, fühlen sich bestens gewappnet und ausgestattet für die Herausforderungen, vor die sie die zunehmend digitale Arbeitswelt stellt.

Also ist der AR-Einsatz eine Win-Win-Situation?
Eine doppelte sogar: Die Technologie bietet Vorteile für die Mitarbeitenden und das Unternehmen. Arbeitsabläufe werden durch den Einsatz von Wearables einfacher. Der Arbeiter hat seine Hände frei und kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das entlastet einerseits und macht Prozesse anderseits weniger anfällig für Fehler. Davon profitiert der Arbeitgeber. Dazu kommt, dass Kunden AR gezielt einsetzen, um Mitarbeiter anzulocken und zu halten, ihnen zu vermitteln: „Bei uns haben Sie nicht nur einen sicheren Job, sondern auch einen, der zukunftssicher ist und der technologisch attraktiv ist.“ Durchaus ein Entscheidungskriterium für Arbeitskräfte in der heutigen Zeit.

Welche Jobs sind das zum Beispiel?
Einsatzmöglichkeiten für AR finden sich entlang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette – in Logistik, Fertigung, Instandhaltung und im Service. Ein besonders eindrucksvolles und innovatives Beispiel sind hierbei 3-D-Visualisierungen in der Fertigung auf Basis von Mixed-Reality-Anwendungen. Diese erlauben es, ganze Maschinen oder einzelne Bauteile zu simulieren, bevor diese überhaupt physisch verbaut sind. Die Pandemie-Situation verstärkt einen weiteren Trend: Remote-Support. Mit keiner anderen Lösung kann man beispielsweise eine Fehlerbehebung während einer Wartung sicherer und genauer aus der Ferne begleiten als mit AR. Jeder einzelne Reparaturschritt lässt sich quasi in die Realität einzeichnen und das Problem wird deutlich schneller gelöst.

Beim Remote-Support helfen Menschen Menschen mittels Technologie. Künstliche Intelligenz (KI) dringt aber auch in dieses Feld vor. Hilft bald nur noch eine KI dem Menschen?
Nein, es gibt gute Gründe für beide Szenarien. Wir sprechen im Fall der Kombination von AR und KI von Augmented Intelligence. Die Daten, die die KI liefert werden durch die Verwendung von Datenbrillen nutzbar gemacht. Das wirkt sich auf die Prozesseffizienz aus, da Entscheidungen datenbasiert stattfinden können. Andererseits könnte sie die Arbeitsumgebung für einen Werker noch sicherer gestalten, indem sie ihn etwa vor Gesundheitsgefährdungen oder gefährlichen Situationen warnt und so Arbeitsunfälle reduziert. Dieses Thema ist ebenso vielversprechend wie AR. Wir werden deshalb sehr stark in AI investieren.

Bei so viel Technik auf dem Shopfloor: Wie lange spielt der menschliche Arbeiter künftig noch eine Rolle in der Produktion?
Es geht nicht darum, dass Maschinen den Menschen abschaffen. Das würde auch gar nicht bei jeder Aufgabe gelingen. Eher läuft alles auf die Symbiose von Mensch und Maschine hinaus. Beide werden immer weiter und enger miteinander arbeiten. Maschinen werden nicht zuletzt dank des Internet of Things immer smarter und Menschen werden wiederum digital agiler, getrieben durch Augmented Reality. Effiziente Kollaboration ist in Zukunft kein Entweder-oder, sondern ein klares Sowohl-als-auch.

Herr Dr. Witt, danke für das Gespräch.