Energiewende braucht Versorgungssicherheit

Rund 140 Jahre. So lange wurde in England Strom aus Kohle erzeugt. Im Oktober dieses Jahres schloss Uniper das Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar nach 60 Jahren Betrieb. Es war das letzte Kohlekraftwerk in Großbritannien. Die Schließung von Ratcliffe, einst ein Symbol der Industrialisierung, markiert das Ende einer Ära in der britischen Energieversorgung.

Volkswirtschaftliche Chancen nutzen
Der Kohleausstieg ist richtig, weil mittlerweile bessere und kostengünstigere Technologien zur Verfügung stehen. Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, wie dieses Jahr auch mit dem Kraftwerk Heyden 4 bei Minden geschehen, ist aber nur ein Teil des Wegs. Die größere Herausforderung besteht darin, ihre Leistung so zu ersetzen, dass ein besseres, widerstandsfähigeres Energiesystem entsteht. Dies ist eine der größten Herausforderungen, aber auch eine der größten volkswirtschaftlichen Chancen unserer Zeit. Wenn wir sie nutzen wollen, brauchen wir vor allem Technologieoffenheit und klare Rahmenbedingungen.

Wir brauchen neue flexibel einsetzbare Erzeugungskapazitäten
Erneuerbare sind in der Erzeugung günstiger, aber auch unzuverlässiger als fossile Energieträger. Die sogenannte Dunkelflaute, also Zeiten, in denen Wind und Sonne nicht ausreichend Energie liefern, ist real. Aktuell wird für 2030 in Deutschland eine Versorgungslücke von mindestens 20 GW erwartet. Um diese Lücke zu schließen, müssen wir flexibel einsetzbare und perspektivisch emissionsfreie Kraftwerke zubauen. Unipers bestehende Kraftwerksflotte trägt bereits heute einen wesentlichen Teil zur Netzstabilisierung bei. Und wir stehen, wie viele andere Unternehmen, in den Startlöchern, um neue flexibel einsetzbare Erzeugungskapazitäten hinzuzubauen. Investitionsentscheidungen können aber erst getroffen werden, wenn die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen klar sind. In Deutschland ist das nach wie vor nicht der Fall. Dazu gehört zum Beispiel ein Mechanismus, der festlegt, welche Vergütung ein Unternehmen dafür erhält, dass es Stromerzeugungskapazitäten bereithält, die während Dunkelflauten zum Einsatz kommen können. Großbritannien hat dazu bereits vor Jahren einen sogenannten zentralen Kapazitätsmarkt etabliert, und dieses Jahr seine Kohleverstromung beendet. Auch andere europäische Staaten wie Belgien verfügen über ähnliche Systeme. Es gibt also bereits erprobte, erfolgreiche Modelle, an denen man sich orientieren kann, um auch für Deutschland eine pragmatische und vor allem zeitsparende Lösung zu finden.

Brückentechnologien sind gefragt
Wir wissen heute noch nicht, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen wird. Welche Technologie zum Erfolg führt, sollten wir im Wettbewerb und nicht aus Ideologie heraus entscheiden. Beim Wasserstoff zum Beispiel sollten wir uns, solange CO2 eingespart wird, nicht auf eine Farbe, also Produktionsform beschränken: Sowohl grüner als auch blauer Wasserstoff haben ihre Rolle. Außerdem sollten wir die Potenziale der Abscheidung und Lagerung von Kohlenstoff (Carbon Capture and Storage, CCS) fair bewerten. Technologien, die helfen, Emissionen schon heute einzufangen und zu speichern, sind keine Hindernisse, sondern Brücken zu einer emissionsfreien Zukunft. Aufgabe der Politik in unserer demokratischen Gesellschaft ist es, Ziele zu setzen und den Rahmen für ihre Erreichung vorzugeben. Aufgabe von Unternehmen wie Uniper ist es, Lösungen vorzuschlagen und diese durch Investitionen zu realisieren. Dabei müssen wir systemisch denken: von den Bedürfnissen des Verbrauchers hin zum Zusammenspiel von Infrastruktur, Erzeugung und den globalen Energiemärkten. Wenn wir die Weichen jetzt richtig stellen und die Balance zwischen Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit im Blick behalten, können wir auch in Deutschland nicht nur bald das letzte Kohlekraftwerk abschalten. Dann können wir auch die volkswirtschaftliche Chance nutzen, die sich uns eröffnet. ■

Wir müssen flexibel einsetzbare und perspektivisch emissionsfreie Kraftwerke zubauen.

Michael Lewis,CEO, Uniper SE

www.uniper.energy/de

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