Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ vom 23.01.2024
Die Energieversorgung in Deutschland unterliegt derzeit einem Transformationsprozess in bisher unfassbarem Maße, fast vergleichbar mit der Industrialisierung vor 250 Jahren. Bis 2030 soll der Anteil von erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bei mindestens 80 Prozent liegen.
15 Jahre später, 2045, soll unser Land schließlich vollständig klimaneutral sein. Die bereits erreichten Fortschritte stimmen mich grundsätzlich optimistisch für die Zukunft. So stammte bspw. Mitte des vergangenen Jahres die Hälfte unseres Stroms bereits aus erneuerbaren Quellen. Und das letztjährige Ausbauziel von Solarenergie wurde schon vier Monate vor Jahresende erreicht. Und dennoch: Das derzeitige Tempo reicht noch bei weitem nicht aus, um die langfristig gesteckten Ziele zu erreichen. Das stellt alle Marktakteure vor die Aufgabe, so zügig wie möglich den Ausbau von Wind- und Solarenergie voranzutreiben. Aber es ist auch die Politik gefragt, um die Weichen auf gesetzlicher Ebene dafür zu stellen. Denn ohne entschiedene regulatorische Anpassungen rückt das Ziel der Klimaneutralität in weite Ferne. Wir alle müssen jetzt handeln.
Dabei wird sich unser Energiebedarf durch die Dekarbonisierung aller Sektoren und flächendeckende Nutzung von klimafreundlichen Technologien wie E-Autos und Wärmepumpen bis 2045 verdoppeln. Zeitgleich ist die Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist von Tageszeit und Wetter abhängig. Um eine zuverlässige Versorgung an 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr zu gewährleisten, müssen Erzeugung und Verbrauch optimal miteinander synchronisiert werden.
11 Millionen virtuelle Kraftwerke
Der Schlüssel zum Erfolg dieses Vorhabens liegt in der Flexibilität des Energieverbrauchs. Sowohl das Verschieben von Lasten als auch das Speichern von überschüssiger Energie. Die Grundlage, Energie selbst zu erzeugen und zu speichern, ist dabei elementar. Als Türöffner ermöglicht tral und flexibel zu gestalten. 11 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser könnten in Deutschland mithilfe von PV-Anlagen, Wärmepumpen, E-Autos und Heimspeichern einen Großteil ihres eigenen Energiebedarfs selbst decken. Werden sie zu virtuellen Kraftwerken zusammengeschaltet, bilden sie zudem leistungsstarke dezentrale Kapazitäten. Sie stabilisieren so die Netze und ermöglichen Verbraucher:innen, in Zeiten hoher Produktion günstigen Grünstrom zu beziehen – und als Eigenheimbesitzer:in bei negativen Preisen an den Märkten sogar Geld zu verdienen.
Die heutige Gesamtleistung von 20 Gigawatt durch dezentrale Technologien macht lediglich ein Viertel der derzeit verfügbaren flexiblen Kapazitäten aus. Bis 2030 soll die Leistung der dezentralen Technologien auf über 200 Gigawatt ansteigen, bis 2045 soll sie sogar über 500 Gigawatt betragen, wie eine Analyse des energiewirtschaftlichen Beratungsunternehmens Neon im Auftrag von LichtBlick gezeigt hat.
Um das Potenzial dezentraler Flexibilität optimal zu nutzen, hat LichtBlick 2022 das Tochterunternehmen ison gegründet. ison entwickelt die technologische Grundlage zur Verbindung dezentraler Anlagen mit den Energiemärkten und ermöglicht automatischen Energieeinkauf und den Verkauf direkt am Strommarkt, um Preisschwankungen optimal zu nutzen. So kann lokal erzeugter Sonnenstrom effizient im Haus genutzt werden. Eigenheime können damit einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes leisten und zugleich ihre Energiekosten um rund 800 Euro jährlich senken.
Bürokratie bremst Potenziale
Um ein virtuelles Kraftwerk nahtlos in die Energiemärkte zu integrieren, muss das Energiesystem weiter zukunftsorientiert gestaltet werden. Der Abbau bürokratischer Hürden steht hierbei an erster Stelle, Prozesse zur Registrierung und Inbetriebnahme müssen standardisiert und automatisiert werden. Smart Meter müssen flächendeckend installiert werden, um die Eigenheime, klimafreundliche Technologien und Strommärkte miteinander zu verknüpfen. E-Autos stellen mithilfe ihrer Speicher den Großteil an dezentralen Kapazitäten zur Verfügung, das bidirektionale Laden für E-Fahrer:innen muss unbedingt zuhause und unterwegs ermöglicht werden. Virtuelle Kraftwerke brauchen einen diskriminierungsfreien Zugang zum Regelenergiemarkt.
Nur dadurch können wir sicherstellen, dass die klimafreundlichen Technologien ihr volles Potenzial entfalten und einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Transformation der Energieversorgung in Deutschland leisten können. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie sorgen für günstige klimafreundliche Energie – überall und zu jeder Zeit. Und machen uns unabhängiger von Importen aus dem Ausland.