Embedded Finance ist ein Muss

Chloé Mayenobe

Artikel aus dem Handelsblatt Journal BANKING vom 07.09.2022

Die Berichterstattung über einen großen Zahlungs- und Konsumentenkreditanbieter sowie den daraus resultierenden Schulden gerade bei der sogenannten Generation Z war in den letzten Monaten unübersehbar. Fast schon erschien es, als ob ganze Käufersegmente völlig ungehemmt online einkaufen, obwohl gleichzeitig von einer Stagnation des Online-Handels die Rede ist – ein einseitiges Phänomen also, das nicht für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung steht, allerdings auf die Digitalisierung im Allgemeinen zurückzuführen ist.

Die neuen Finanzdienstleistungen von Buy-now-paylater über virtuelle Debitkarten bis hin zu Cyberwallets sind inzwischen problemlos in eine jeweilige Customer Journey zu integrieren, haben den Online-Handel weiterentwickelt und werden den Markt stark beeinflussen. Dass der Umgang mit neuen finanziellen Möglichkeiten von Händlern und Konsument:innen im Bereich E-commerce gelernt werden muss, versteht sich dabei von selbst.

Quo vadis E-commerce?
Beschäftigt man sich näher mit der angesprochenen Stagnation des Online-Handels, zeigt ein genauerer Blick in die Zahlen und Vorhersagen, dass trotz einer drohenden Rezession und der gegenwärtigen Inflation, wenn überhaupt, eigentlich nur von einer Plateauphase gesprochen werden kann. Denn wer in den letzten Jahren die Möglichkeiten hatte, finanzielle Produkte in die Customer Journey zu integrieren, hat dies getan – alle anderen müssen nun aufholen. Es wird also weiteres Wachstum geben.

Warum diese Annahme eine valide Grundlage hat, verdeutlicht eine aktuelle Studie des Kölner Marktforschungsinstituts IFH: Für das Jahr 2022 prognostiziert die Studie einen weiteren Umsatzanstieg der deutschen ECommerce-Branche auf rund 97 Milliarden Euro Umsatz, also ein Plus gegenüber dem Vorjahr von gut 12 %, trotz gedrückter Konsumstimmung durch den Ukraine-Krieg und der Inflation.

Das weltweite Wachstum spielt bei dieser Entwicklung ebenfalls eine signifikante Rolle, denn der Online-Handel ist eben nicht an geographische Grenzen gebunden. Eine aktuelle Prognose von Statista zeigt auf, dass bis 2025 fast 25 % der weltweiten Einzelhandelsumsätze durch E-Commerce zustande kommen werden, mit einem Volumen von 4,9 Trillionen USD. Es verwundert daher nicht, dass gegenwärtig Online-Zahlungsdienstleister – trotz angekündigter Stagnation – weiterwachsen, wie das Beispiel PayPal verdeutlicht, wo allein im ersten Quartal 2022 2.4 Millionen weitere aktive Kund:innen hinzukamen und das Zahlungsvolumen im Gegensatz zum Vorjahr um weitere 15 % anstieg.

Durchsetzen werden sich im Bereich E-Commerce zukünftig eben jene Unternehmen, die sich in einem weitaus schwierigeren Markt nicht den digitalen Finanzdienstleistungen verweigern, sondern auf eine konsequente Integration setzen. Insbesondere unter dem Vorzeichen, dass inzwischen in vielen Märkten die Online-Umsätze auf dem Smartphone  absolute Spitzenwerte erzielen: Allein in Deutschland machten diese 54 % im Jahr 2021 aus, im Gegensatz zu 39 % über Laptop oder Computer. Gerade die „Hand-held-Devices“ verlangen nach einer ungebrochenen Customer Journey, im Rahmen derer Payment Experience nahtlos und mit dem Klick eines Fingers abgeschlossen werden kann.

Wie Embedded Finance die Digitalisierung des Handels antreibt
Von den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Finanztechnologie sind die erwähnten integrierten Finanzdienstleistungen (Embedded Finance) diejenigen, die das größte Umwälzungspotenzial bei der Übernahme der Kontrolle über den Zahlungsverkehr haben – eine Loslösung von traditionellen Banken ist die Folge. Eingebettete Finanzlösungen ermöglichen es Händlern, Finanzprodukte (beispielsweise eine Kreditkarte, ein Cyberwallet oder ein „Buy-now-pay later“-Kredit) nahtlos in die E-Commerce-Nutzung zu integrieren. Dies ist sowohl für Händler als auch für Kund:innen von großem Vorteil.

Da eingebettete Finanzprodukte in die Benutzerführung integriert sind, können Kund:innen direkt mit dem Händler verhandeln und die Zahlung abschließen, ohne auf eine Drittanbieter-Website weitergeleitet zu werden. Ergebnis ist ein reibungsloses Einkaufserlebnis. Der Händler kann seine Markenidentität (soweit vorhanden) beibehalten, sodass mehr Vertrauen entsteht und die Gefahr von Verwechslungen geringer ist. Noch wichtiger ist, dass die Händler den Ablauf anpassen können, einschließlich der Straffung der Anzahl der Schritte, die zum Abschluss des Kaufs erforderlich sind, so dass es weniger Anlässe für Kund:innen gibt, den Einkauf frustriert abzubrechen.

Die Reduktion der Komplexität am Front-End ist hier ausschlaggebend, weil alles im Back-End bereits in Sekunden erledigt wird. Bei hohen Volumina natürlich inklusive Bonitätsprüfung. Der kooperierende Finanzdienstleister kümmert sich um die Überprüfung der Kundenidentität, Betrugsprävention, die Einhaltung der Vorschriften und andere technische Aspekte und garantiert so sichere Prozesse für Händler und Kund:innen. Der Vorteil liegt für den Händler erstens darin, dass Kapazitäten frei werden, die letzten Endes wieder in Kundensupport investiert werden können. Der Kontakt zur/m Kund:in verlagert sich also von der Zahlungsprüfung hin zur Problemlösung und gewinnt somit an Attraktivität – sowohl für den Händler als auch für die/den Kund:in. Zweitens wird die Customer Journey beschleunigt, da die angesprochene Reduktion der Komplexität für Geschwindigkeit im Kaufprozess sorgt. Somit werden Synergien im System frei, sodass die/der Kund:in weniger Eingaben machen muss. Das sorgt für ein höheres Gefühl von Sicherheit.

Fixierung auf den Point of Sale: Eine Problemlösung
Die soeben erschienene Payment-Studie (Juni 2022) der Bundesbank macht auf das generelle Problem der Kreditkartenzahlungen am Point Of Sale (POS) aufmerksam. Strengere Sicherheitsanforderungen sorgen seit März 2021 für Frustration. Die sicherheitsrelevanten Aspekte führen zu Payment-Kanalwechseln: 12 % der Nutzer:innen, die eine Kreditkarte besitzen und beim Online-Shopping einsetzen, berichteten der Bundesbank, dass sie „häufig“ oder gar „in ungefähr der Hälfte der Einsatzversuche“ wegen der erhöhten Sicherheitsabfragen den Kauf abbrechen, und weitere 24 % brechen Kaufversuche „selten“ ab – ein signifikantes Problem.

Eine Lösung dieses Problems kann im kreativen Umgang mit Kreditkartenzahlungen durch den jeweiligen Händler liegen. Zum einen können entsprechend große Unternehmen eine eigene Kreditkarte herausgeben, diese in die jeweilige Plattform integrieren und mit einer einzigen Sicherheitsabfrage (Know-your-Customer) weitere Käufe ermöglichen, ohne dass am POS ein Frustrationserlebnis eintritt. Im Übrigen ein intelligenter Schritt, da somit ebenfalls eine Möglichkeit geschaffen wird, das Kaufverhalten der Kund:innen über die zugänglichen Daten genauer kennenzulernen.

Zum anderen kann die Kreditkarte von Unternehmen gänzlich umgangen werden, da die Kooperation mit einem Zahlungsdienstleister bereits ein erprobtes Modell darstellt, jedoch das Risiko birgt, dass die kurzfristige Checkout- Sequenz zum Abbruch des Kaufs führt. Besser erscheint hier die Lösung, dass nach dem Kauf die/der Kund:in nochmals befähigt wird, den Gesamtbetrag in einfache und vor allem kleinere Ratenzahlungen aufzuteilen. Eine Lösung, die selbst Industriegiganten wie American Express ihren Nutzer:innen in Deutschland inzwischen mit Erfolg zur Verfügung stellen. Diese Lösung nennen wir Splitpay, Käufe über 100 Euro können problemlos in Raten umgewandelt und über einen Zeitraum von bis zu 24  Monaten bezahlt werden. Dies ist bis zu 90 Tage nach dem Kauf möglich. Der POS verliert psychologisch also an Bedeutung, da die/der Kund:in erlernt, dass Ausgaben flexibel an die eigene Lebenssituation angepasst werden können.

Sicherlich sind diese Überlegungen nur dann von Erfolg gekrönt, wenn durch weitere Embedded-Finance- Lösung am POS sichergestellt ist, dass der Kunde eine Wahlmöglichkeit hat. In Kombination werden diese Lösungen zu stärkerem Wachstum unter Stärkung der Kundenloyalität im Bereich E-commerce führen. Falls es doch zu Problemen kommt, dann steht ein starker Kundensupport bereit. Denn dieser kann wachsen, während die finanzielle Dienstleistung über einen Spezialisten durchgeführt wird.

Wer in den letzten Jahren die Möglichkeiten hatte, finanzielle Produkte in die Customer Journey zu integrieren, hat dies getan – alle anderen müssen nun aufholen.

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