Eine neue Ära für deutsche Unternehmen?

Nach einem Jahr der beispiellosen Disruption blicken die Unternehmen in die Zukunft. Wird es einen dauerhaften Wandel geben? Wie sollen sie sich auf eine neue Realität einstellen? Und wie sollten sie die sich beschleunigenden, digitalen Transformations-Initiativen managen.

Christian Frauen, VP und Country Manager DACH, Workiva, teilt seine Perspektive.

Die Zeitpläne für digitale Transformations-Initiativen haben sich im letzten Jahr dramatisch beschleunigt, da Unternehmen sich beeilten, ihre räumlich verteilte Belegschaft zu aktivieren. Glauben Sie, dass wir 2021 und darüber hinaus ein ähnliches Tempo an Veränderungen erleben werden?

Auf jeden Fall. Wir alle denken darüber nach, was wir aus dem letzten Jahr lernen können und wie wir Veränderungen herbeiführen können – nicht nur im Unternehmen, sondern auch in unserem persönlichen Leben. Die Unternehmen, mit denen ich gesprochen habe, waren durch die Pandemie gezwungen, sich schneller für die Möglichkeiten der digitalen Transformation zu öffnen. Als sie Probleme bei der Verwendung von On-Premise-Lösungen hatten, erkannten sie die Vorteile einer Cloud-Lösung, zur Wahrung der Geschäftskontinuität, sehr deutlich. Und sie fanden heraus, dass sie in der Lage waren, ihre Arbeitsweise relativ schnell und relativ schmerzlos zu transformieren. Wir haben gesehen, wie widerstandsfähig und anpassungsfähig Unternehmen trotz erheblicher Beeinträchtigungen sein können.

Was wir jetzt sehen werden, sind Unternehmen, die ihre Initiativen zur digitalen Transformation weiter beschleunigen. Wenn die Büros wieder vollständig geöffnet sind, werden sie damit nicht aufhören. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Art und Weise, wie wir arbeiten, ändern wird. In den meisten Fällen werden wir das Entstehen einer hybriden Arbeitsumgebung sehen, die zwischen der virtuellen Welt und der persönlichen Interaktion aufgeteilt ist. Und dies muss  entsprechend technisch unterstützt werden. Die digitale Transformation wird demnach in diesem Jahr, im Jahr 2022 und darüber hinaus an Fahrt aufnehmen.

Sie haben erwähnt, dass die Forderungen der deutschen Regierung nicht stark genug sind – was muss passieren, damit sich die Dinge ändern?

Vorschriften sind notwendig. Sie sind  starke Treiber für Veränderungen. Wir haben das bei ESEF gesehen – die Unternehmen haben angefangen, sich damit zu beschäftigen, als es vorgeschrieben wurde. Bevor die Vorschriften eingeführt wurden, wurde das Thema nicht von allen ernst genommen. Das ist nicht immer eine schlechte Sache. Obwohl wir Deutschen historisch gesehen keine Nation von Early Adopters sind, nehmen wir ein vorgeschriebenes Thema jedoch sehr ernst und werden unter Umständen zu Marktführern. Wenn es also Vorschriften gibt, die Unternehmen dazu auffordern, Remote Work zu unterstützen, würden wir am Ende führende Programme für flexibles Arbeiten entwickeln.

Im letzten Jahr sind viele unternehmerische Herausforderungen an die Oberfläche gekommen – waren das wirklich neue Herausforderungen, die durch die pandemiebedingten Störungen entstanden sind. Oder sind es längerfristige Probleme, mit denen sich Unternehmen erst jetzt endlich auseinandersetzen müssen?

Der Mensch mag grundsätzlich keine Veränderungen. Als Deutscher kann ich sagen, das ist in unserer Arbeitsweise verankert – es muss lange weh tun, bevor wir etwas ändern. Dies kann eine Menge Probleme schaffen. Es gab viele unterschwellige Probleme, die schon vor der Pandemie existierten, im Jahr 2020 offensichtlich wurden und nun angegangen werden müssen.

Natürlich gilt das nicht für alle Unternehmen. Jüngere Unternehmen sind anpassungsfähiger und agiler. Sie haben sich von Anfang an stark auf digitale Taktiken verlassen. Sie können ihre geschäftlichen Herausforderungen relativ schnell identifizieren und angehen. Aber für alteingesessene Unternehmen ist es schwieriger, Veränderungen anzunehmen – es ist ein langsamer Prozess.

Dies ist in vielerlei Hinsicht ein kulturelles Problem. Wenn es eine Vorschrift oder eine Regel gibt, die Unternehmen dazu zwingt, große  Herausforderungen anzugehen, dann tun sie das auch. Das muss sich ändern. Alte Führungsstile funktionieren nicht mehr. Führungskräfte, die unflexibel sind und immer noch nicht darauf vertrauen, dass Remote-Mitarbeiter effizient und produktiv sein können, werden nicht die besten Talente anziehen. Das Gleiche gilt für Unternehmen, die sich nicht der Forderung der jüngeren Generation nach einem Arbeitgeber stellen, der eine starke Ökobilanz aufweist. Was früher funktionierte, wird nicht mehr funktionieren – größere Agilität ist gefragt, Geschäftsmodelle müssen überdacht werden. Die stärksten Unternehmen werden diejenigen sein, die in der Lage sind, den Wandel anzunehmen. Sie werden die Gewinner sein.

ESG ist ein aufkommendes Thema auf dem gesamten Kontinent, insbesondere nach den neuen Vorschlägen der Europäischen Kommission zu Beginn dieses Jahres. Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen in Deutschland, wenn sie sich darauf vorbereiten, sowohl finanzielle als auch nichtfinanzielle Daten zu kombinieren?

Es gibt viele neue Anforderungen in der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), mit denen sich deutsche Unternehmen auseinandersetzen müssen. ESG ist kein neues Thema in der Region – viele Unternehmen berichten bereits ihre ESG-Kennzahlen. Aber jetzt werden sie noch genauer unter die Lupe genommen. Nachhaltigkeitsdaten müssen mit der gleichen Transparenz erhoben, analysiert und veröffentlicht werden wie Finanzdaten.

Eine weitere neue Herausforderung ist eine externe Prüfung, der sie unterzogen werden müssen. Sowohl finanzielle als auch nicht-finanzielle Daten werden von Aufsichtsbehörden und Investoren auf die gleiche Weise analysiert – was bedeutet, dass Nachhaltigkeit ein Teil des Kernrisikos von Unternehmen sein wird. ESG wird von einer Angelegenheit, die hauptsächlich von Kommunikationsteams getragen wird, in das Controlling übergehen.

Und dann werden die Unternehmen die beiden Berichtsströme zusammenführen müssen. Dies ist ein massives Change-Management-Projekt. Sie werden sicherstellen müssen, dass alle Stakeholder zeitnah zum gleichen Bericht beitragen.

An der Stelle ist wichtig anzumerken, dass wir noch nicht viel darüber wissen, wie die neue Richtlinie aussehen wird, heute ist sie nur ein Vorschlag. Wir könnten zum Beispiel spekulieren, dass auch eine XBRL-Anforderung vorgeschrieben werden wird. Diese Ungewissheit macht es sehr schwierig, vorauszusehen, wie man sich auf die neuen Anforderungen vorbereiten kann. Dennoch ist es wichtig, einen Schritt voraus zu sein und schon heute mit den Vorbereitungen zu beginnen. Unternehmen müssen ihre Instrumente überprüfen und feststellen, ob sie flexibel genug sind, um sich an die veränderte Landschaft anzupassen und zukunftssicher zu sein.

Entscheidungen, die zur Unterstützung der digitalen Transformation getroffen werden, sind selten geradlinig. Was sind die größten Fehler bei Tech-Investitionen, die Sie bei Unternehmen gesehen haben?

Ich sehe viele Unternehmen, die in Einzelprodukte investieren, ohne eine langfristige Strategie zu haben. Es ist einfach, ein Problem innerhalb eines Silos zu betrachten und für dieses spezifische Problem eine Lösung zu wählen – ohne dabei zu bedenken, welche Rolle die Lösung im unternehmensweiten Ökosystem spielt. Das Arbeiten in Silos hat langfristig nur sehr begrenzte Vorteile. Ein gesundes Unternehmen funktioniert wie ein Organismus , nicht wie eine Reihe von Silos. Dies muss sich in den Technologieinvestitionen des Unternehmens widerspiegeln.

Unternehmen müssen eine Gesamtstrategie entwickeln. Und sie dürfen flexibler sein. Sie brauchen ein Instrument für alle Arbeitsabläufe. Im Allgemeinen haben sie einen großen Vorteil, wenn sie sich für eine Plattform anstelle einer Einzellösung entscheiden. Natürlich gibt es hier einige Nachteile – einige Best-of-Breed-Lösungen brauchen zwischen 2-3 Jahre, um vollständig implementiert zu werden. Es gilt also eine gute Balance zu finden, zwischen einer schnellen Implementierung, die dem Unternehmen einen schnellen und kurzfristigen Nutzen bringt und der Berücksichtigung langfristiger Vorteile.

In Deutschland wollen wir zu 100% sicher sein, dass die Lösung zu 100% unseren Anforderungen entspricht. Und wir müssen sehen, dass sie sich 1.000-fach bewährt hat. Wir sind das Land der Ingenieure, daher ist die Beweislast hier viel höher als in anderen Ländern. Vor diesem Hintergrund macht es für Unternehmen Sinn, verlässliche, vertrauenswürdige und skalierbare Lösungen zu bevorzugen, die sich über mehrere Anwendungsfälle hinweg bewährt haben, anstatt sich auf isolierte Einzellösungen zu stützen. Eine Plattform – als Strategie – macht hier Sinn. Einmal investieren und die Zukunft damit sichern.

Was ist das Beste, was Unternehmen tun können, um sich auf weitere unvermeidliche Unterbrechungen vorzubereiten?

Niemand kann die Zukunft vorhersagen, aber sie können sich auf Unvorhergesehenes  einstellen. Was in den letzten 20 Jahren funktioniert hat, wird in Zukunft nicht mehr lange funktionieren. Jetzt haben Unternehmen die große Chance, die Art und Weise, wie sie arbeiten, neu zu definieren. Wenn wir sagen, dass wir im Jahr 2020 einen Reset-Knopf drücken, dann können wir nicht mit denselben alten Perspektiven und Methoden in die Zukunft blicken, die wir vor der Pandemie hatten. Die erfolgreichsten Unternehmen werden diejenigen sein, die sich an die neue Welt anpassen, mitgestalten und gleichzeitig ihre Werte beibehalten und mit den Grundlagen, die ihre Mission untermauern, verwurzelt bleiben.

Unternehmen haben die Pflicht, ihre Arbeitsweise zu verändern. Weitere Pandemien sind unvermeidlich. Die Bedrohungen für die Cybersicherheit nehmen zu. Wir alle müssen aus dem letzten Jahr lernen und uns der neuen Realität stellen. Workiva hat seinen Kunden bei diesem Übergang geholfen. Obwohl wir ein globales Unternehmen sind, haben wir hier in der DACH-Region ein großartiges Team von lokalen Mitarbeitern, die die Herausforderungen mit denen Unternehmen konfrontiert sind, verstehen und die ihnen dabei helfen, in einer kollaborativen, sicheren und vernetzten Umgebung zu arbeiten.