Ein Managementkonzept für die Transformation des Energiesystems

Schnittstellen zwischen Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Technologie

von Prof. Dr. Peter Birkner, Dr. Thomas Gambke und Gabriele C. Klug

Die Energiewende ist eine der wichtigen Antworten auf den anthropogenen Klimawandel. Sie beinhaltet den fundamentalen Umbau zentraler Infrastrukturen. Die Aspekte der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziologie – sind genauso zu beachten wie der erwartete Anstieg der Anzahl der Menschen auf acht bis zehn Milliarden. Die Energiewende ist trotz ihrer subsidiären Ausprägung global zu denken. Ethik spielt eine wichtige Rolle. Es geht um Menschenwürde, Bildung und Grundversorgung.

 

Die Energiewende benötigt ein Managementkonzept
Diese komplexen Veränderungen erfordern ein durchdachtes Managementkonzept. Die Infrastruktur muss auch in der Transformationsphase funktionsfähig bleiben und internationale Wettbewerbsverzerrungen sind auszuschließen.

Der Entwurf eines geeigneten Managementkonzepts muss die technisch-physikalischen Eigenschaften des regenerativen Zielenergiesystems reflektieren. Wind und solare Strahlung sind die entscheidenden globalen Primärenergiequellen, deren Kennzeichen geringe Energiedichten, hohe Volatilität, begrenzte zeitliche sowie intermittierende Verfügbarkeit sind. Die eingesetzten technischen Aggregate stellen in der Regel elektrische Energie bereit.

Dies erlaubt drei Feststellungen:

1. Die Nutzung von erneuerbaren Energien erfordert Fläche. Die Veränderung des Erscheinungsbilds von Landschaft und Städten bedarf der Akzeptanz der Bevölkerung. Zielkonflikte zwischen Energie, Biodiversität und Landwirtschaft sind zu lösen.

2. Das künftige Energiesystem ist stromzentriert. Die leistungsstarke Dynamik der Erzeugung wird auf das Stromnetz projiziert. Energiewende wird zur Leistungsund Flexibilitätswende. Digitalisierung („Smartness“) und Echtzeitstromwirtschaft sind operative Elemente von strukturell interagierenden und hierarchisch aufgebauten Energiezellen.

3. Stabilität und Versorgungsicherheit müssen sichergestellt werden. Flexibilitäten in Form schnell veränderbarer Lasten und Kraftwerke sowie Speichern sind gefragt. Der bidirektionale Wechsel zwischen Elektrizität und anderen Energieformen wird zum zentralen Element („Sektorenkopplung“).

Es entsteht ein interagierendes, multimodales Energiesystem, dessen Umfang und Komplexität vor allem durch Suffizienz und Effizienz auf der Bedarfsseite reduziert werden kann. Digitalisierung ist ein Instrument zur Verringerung des Energiebedarfs ohne Komfort- oder Produktivitätseinbuße.

Zielerreichung erfolgt durch iteratives Vorgehen, multilaterale Ansätze und Übergangslösungen
Wirtschaftlich betrachtet wird aus dem bisherigen Mischsystem aus investiven und betrieblichen (Brennstoff-) Kosten ein investitionsdominiertes System. Konsistenz des Zielsystems und konkrete Ausgestaltung des Transformationsprozesses sind aktuell noch unbekannt.

Es kann festgehalten werden:

1. Die Ausprägung des Zielsystems ist technologieabhängig und wird vom kaum prognostizierbaren technischen Fortschritt bestimmt. Iterative Adjustierungen sind die Folge.

2. Energiewende nutzt heimische Energieträger, erfordert aber zugleich einen multilateralen und internationalen Ansatz. Ein Ausbau der Strukturen für Import und Export ist unabdingbar. Nationale Autarkie ist nicht das Ziel.

3. Emissionsreduzierende Übergangslösungen sind anzuwenden. Dem Klima ist durch eine perfekte Lösung, die zeitlich zu spät kommt, nicht geholfen.

Das künftige Energiesystem ist aus Erzeugungsgründen stromfokussiert. Zugleich erlaubt die Elektrifizierung effizientere Anwendungen. Dies bedeutet aber keine „all electric world“, da vor allem im Mobilitätsbereich Grenzen durch einen Verlust an Effektivität existieren. Synthetische Treibstoffe wie Wasserstoff treten neben Strom.

Zeit ist der eigentliche Engpass
Die Triebfeder der Transformation ist der Klimawandel. Die Reservoirs der Atmosphäre für Treibhausgase sind nahezu erschöpft. Kipppunkte setzen selbstverstärkende und irreversible Mechanismen in Kraft, die das Potenzial haben, das Anthropozän deutlich negativ zu beeinflussen. Die für die Systemtransformation verfügbare Zeit bildet damit den eigentlichen Engpass. Die Wahrheit liegt im konkreten Handeln. Es ist echte Führungsverantwortung gefordert. Die Frage nach Organisation, „Guidance“ und „Governance“ des Prozesses ist zentral.

Bisherige Erfahrungen können nur begrenzt genutzt werden. Veränderungsdynamik und -tiefe erreichen gegenüber bekannten gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen eine neue Dimension. Die Gesellschaft wurde bereits – z.B. durch Digitalisierung – in kürzester Zeit mit Blick auf das regionale soziale Gefüge und die globalen Wirtschaftsstrukturen tief verändert. Die wachsende Weltbevölkerung verschärft die Situation. Verteilungsgerechtigkeit führt zu einem erhöhten Gesamtbedarf an Ressourcen, ist aber eine fundamentale Voraussetzung für Frieden. Nachhaltige Lösungen sind gefragt.

Die Aspekte

1. Hoher Handlungsdruck durch die rapide fortschreitende Klimaveränderung
2. Hochdynamische und kaum prognostizierbare Technologieentwicklung
3. Tiefgreifender Einfluss auf globale Wirtschaft und regionale Gesellschaft
erfordern ein neues Verständnis von „Strategischem Controlling“ durch Staat, Kommunen und Gesellschaft. Vor allem geht es um „Steuerung“ und nicht um „Kontrolle“. Der Staat setzt Rahmenbedingungen und greift lenkend ein, damit bei verbessertem Erkenntnisstand Fehlentwicklungen vermieden und Korrekturen vorgenommen werden.

Die Unterstützung der Markteinführung neuer Technologien ist zielführend. Die angemessene Sozialisierung der Risiken des Technologiewettbewerbs gewährleistet einen breiten und resilienten Ansatz. Mitnahmeeffekte und Überförderung sind zu vermeiden. Die optimierende Kraft von Marktmechanismen ist gezielt einzusetzen. Geeigete juristische, verwaltungstechnische und finanzwirtschaftliche Instrumente sind zu schaffen. Investitionen erfordern Planbarkeit.

Da die Implementierungstechnologien noch nicht klar sind, kann die Aufgabe der Politik nicht in der Vorgabe der konkreten technologischen Umsetzung liegen. Zielorientierung und Definition von Rahmenbedingungen haben Vorrang vor Methoden- und Technologieregulierung. Der Ordnungsrahmen ist sektorenübergreifend zu denken. Innerhalb des so aufgespannten Lösungsraums sind Marktmechanismen zu etablieren, die durch finanzielle Anreize die Optimierung des technischen Systems unterstützen. Dies lenkt die Finanzströme und ermöglicht die nötige Umsetzungsgeschwindigkeit.

Marktwirtschaft und damit Wettbewerb optimieren komplexe, zeitvariable und multidimensionale Systeme
Dieses Vorgehen bedeutet die Entwicklung einer ökosozialen Marktwirtschaft auf Basis der sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb ist dazu geeignet, komplexe, multidimensionale Systeme zu optimieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn zeitliche und örtliche Varianzen auftreten. Die marktgetriebene Lösungsfindung wird durch gleichgewichtete ökologische und soziale Leitplanken begleitet. Dies gilt auch für erneuerbare Energiequellen. Zur Gewährleistung der Sicherheit für die notwendigen langfristigen Investitionen, ist ein System des investiven „Hedging“ zu entwickeln. „Early Mover“ werden so nicht bestraft und „Zauderer“ nicht begünstigt. Das natürliche Monopol von Netzinfrastrukturen ist weiterzuentwickeln und Flexibilitäten sind als Instrument der Systemoptimierung zu begreifen.

Die hohe Dynamik der Technologieentwicklung erfordert die Definition von Meilensteinen. Regelmäßige Soll-/Ist-Vergleiche führen zu einem iterativen Prozess. Ziele und Leitplanken sind kontinuierlich vor dem Hintergrund der bereits geschaffenen Strukturen, des technologischen Fortschritts sowie der konjunkturellen Lage zu bewerten. Korrekturen erfolgen faktenbasiert.

Die Transformation ist transparent und messbar zu gestalten. Dies führt zur Taxonomie, die künftig die Datenbasis zur Ermittlung des unternehmerischen Gewinns im Rahmen der ökosozialen Marktwirtschaft darstellt. Es geht um resiliente und selbstjustierende Verfahren und nicht um dirigistische Ansätze eines allwissenden Staates.

Lieferketten und Wertstoffkreisläufe sind Bestandteil des Konzepts. „Rebound-Effekte“, die den Fortschritt konterkarieren, sind zu vermeiden. Prohibitive Konzepte, die einen „Lock-in-Effekt“ für Kunden erzeugen und Wettbewerb unterbinden, sind nicht akzeptabel.

Langfristig, umfassend und global denken
Es ist langfristig zu denken. Die Energiewende muss, basierend auf einem gesellschaftlichen Grundkonsens, konsequent und unabhängig von der Schwerpunktsetzung der jeweiligen Regierung verfolgt werden.

Die globale Sicht darf nicht aus den Augen verloren werden. Hier ist der reziproke Zusammenhang zwischen Bildung, Lebensstandard und Bevölkerungswachstum wichtig. Es geht also im Kontext der Energiewende nicht nur um Technologie und Transformation. Menschenwürde, Bildung, Verbesserung des Lebensstandards und Gewährleistung der Menschenrechte sind integrale Bestandteile. Durch ganzheitliches Denken und nachhaltiges Handeln kann so letztendlich ein gerechterer Planet erreicht werden. Dieses Ziel lohnt. Es ist zu unser aller Wohl. Konditionierte und adaptierte Marktmodelle unterstützen diesen Weg.

Die Wahrheit liegt im konkreten Handeln. Es ist echte Führungsverantwortung gefordert.

 

Dr. Thomas Gambke, Vorsitzender, Grüner Wirtschaftsdialog e.V.
Gabriele C. Klug, Stellvertretende Vorsitzende und Geschäftsführerin, Grüner Wirtschaftsdialog e.V.
Prof. Dr. Peter Birkner, Geschäftsführer, House of Energy e.V.

 

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