Digitale Transformation der Arbeitswelt: Den Wandel sozial gestalten

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Future Workplace vom 30.08.2022

In Zeiten von Krieg und existentiellen Bedrohungen geht es viel um das Hier und Jetzt, um das akute Krisenmanagement. Doch die großen Zukunftsfragen bleiben bestehen und werden immer drängender. Wir befinden uns mitten in einer tiefgreifenden Transformation: Die „drei Ds“ Demografischer Wandel, Dekarbonisierung und Digitalisierung fordern uns heraus – auch in der aktuellen Gleichzeitigkeit dieser drei Phänomene. Sie bieten aber auch Chancen, das Leben und die Arbeit in unserem Land ganz konkret zu verbessern.

Als Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellen wir bei der Gestaltung dieses Wandels die Menschen in den Mittelpunkt. Dieses Ziel ist vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen noch wichtiger geworden. Viele Bürgerinnen und Bürger sorgen sich derzeit um die hohe Inflation und die steigenden Energiekosten. Gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen stellt sich jetzt erst einmal die Frage, wie sie die nächste Stromrechnung bezahlen sollen. Diese drängenden und ganz lebenspraktischen Fragen dürfen wir auch im Lichte der großen Transformation nicht aus den Augen verlieren.

Technologie muss den Menschen dienen
Wie schaffen wir es also, dass technologischer Fortschritt wirklich bei den Menschen ankommt? Und wie gelingt es uns, die Beschäftigten bei der Gestaltung der Digitalisierung mitzunehmen und sie fit zu machen für die Arbeit von morgen? Das Digitale hat nahezu alle Bereiche unserer Lebenswirklichkeit erfasst: Wie wir kommunizieren, wie wir konsumieren, wie wir arbeiten und leben. Die Pandemie hat der Digitalisierung einen Innovationsschub verpasst, auch in der Arbeitswelt. Die Digitalisierung unseres Alltags ist keine Frage des Ob mehr, sondern des Wie. Im Detail sind viele Entwicklungen aber noch unklar beziehungsweise offen. Klar ist nur: Die digitalisierte Arbeitswelt von morgen wird anders aussehen als heute. Dabei gilt: Neue Technologien sind weder gut noch schlecht. Entscheidend ist, was wir daraus machen. Technologische Innovationen sind kein Selbstzweck, sondern sollen den Menschen und der Gesellschaft als Ganzes dienen.

Wir setzen uns als Arbeitsministerium dafür ein, dass die Beschäftigten von heute auch morgen noch gute und sichere Jobs haben. Dafür stellen wir derzeit die Weichen: Bei fairen Löhnen, Weiterbildung und Qualifizierung, bei Regeln für mobiles Arbeiten, neuen Geschäftsmodellen wie in der Plattformökonomie und bei der Sicherung von Beschäftigtenrechten, etwa im Datenschutz.

Die Arbeitswelt der Zukunft muss zeitgemäße Flexibilität und Sicherheit bieten, das Homeoffice spielt hierbei eine zentrale Rolle: Für viele ist mobiles Arbeiten normal geworden. Es ermöglicht häufig eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Uns geht es um eine gute Balance zwischen arbeiten von zu Hause und vor Ort im Team. Hierfür wollen wir mehr Flexibilität schaffen. Klar muss außerdem sein, dass auch im Homeoffice mal Feierabend sein muss. Da brauchen wir klare Regeln.

Der Arbeitsplatz ist immer auch ein zentraler Ort für soziale Kontakte, ein Ort für Anerkennung, über die eigene Arbeit hinaus. Manchmal bringt der spontane Austausch unter Kolleginnen und Kollegen „an der Kaffeemaschine“ mehr Erkenntnisgewinn für das aktuelle Projekt als lange und formalisierte Sitzungsformate. Viele werden zustimmen, dass auch ein noch so nett arrangierter informeller Zoom-Termin den persönlichen Austausch im Team auf Dauer nicht völlig ersetzen kann. In Zeiten des hybriden Arbeitens wird es daher auch darum gehen, den Betrieb als sozialen Ort neu zu erfinden – in digitalen wie analogen Formaten.

Die Digitalisierung verändert Berufsbilder. Um die Chancen des digital-ökologischen Wandels zu nutzen und die sozialen Risiken zu begrenzen, wollen wir die berufliche Weiterbildung konsequent stärken. Wir müssen die Beschäftigten fit machen, die Arbeit von morgen auch bewältigen zu können. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe – für die Betriebe, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Sozialpartner und Politik. Wir haben deshalb gemeinsam mit den Sozialpartnern die Nationale Weiterbildungsstrategie auf den Weg gebracht. Mit dem Qualifizierungschancengesetz und dem darauf aufbauenden Arbeit-von-morgen-Gesetz haben wir die Weiterbildungsförderung insbesondere für Beschäftigte erheblich ausgeweitet. Mit der Einführung einer Bildungs(teil)zeit nach österreichischem Vorbild wollen wir individuelle arbeitsmarktbezogene Weiterbildungen von Beschäftigten unterstützen.

Schutz der Rechte von Beschäftigten – analog wie digital
Die Arbeitswelt von morgen lebt von neuen Geschäftsmodellen. Diese brauchen jedoch klare Regeln. Plattformarbeit ist in unser aller Alltag präsent wie beispielsweise bei Essenslieferanten, Fahrdiensten, Haushaltsdienstleistungen, Online-Arbeit und Programmierung. Und das hat viele Vorteile: Von diesen Dienstleistungen profitieren nicht nur wir Konsumentinnen und Konsumenten; digitale Plattformen bieten vielen Menschen einen niedrigschwelligen Zugang zu flexiblen Erwerbsmöglichkeiten.

Aber: Diese neuen plattformgetriebenen Geschäftsmodelle dürfen nicht zu prekären Arbeitsbedingungen führen. Auf einigen digitalen Arbeitsplattformen ist das leider der Fall. Die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie wir sie heute kennen, sind von Gewerkschaften, Arbeitnehmervertretern und Politik über viele Jahrzehnte erkämpft worden. Wir werden nicht zulassen, dass diese Errungenschaften nun mit der Digitalen Revolution preisgegeben werden. Was offline gilt, muss auch online gelten. Digitale Ausbeutung bleibt Ausbeutung. Unser Ziel sind anständige Arbeitsbedingungen auf Plattformen. Dafür werden wir unser nationales Arbeits- und Sozialrecht überprüfen.

Bereits Ende 2020 haben wir im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Eckpunkte für faire Arbeit in der Plattformökonomie vorgelegt und wollen sie in dieser Legislaturperiode weiterentwickeln. Plattformen agieren oft grenzüberschreitend. Darum brauchen wir auch international gute Arbeitsbedingungen auf Plattformen – die EU-Kommission geht hier voran. Mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen und die sozialen Rechte von Plattformtätigen zu verbessern, einheitliche Wettbewerbsbedingungen für Arbeitsplattformen in der EU herzustellen und auf diese Weise das nachhaltige Wachstum des Geschäftsmodells zu fördern. Diesen Vorstoß der EUKommission unterstützen wir. Wir wollen innovativen Unternehmen ermöglichen, Potenziale der Plattformökonomie zu nutzen. Gleichzeitig müssen auch in der Plattformökonomie gute Tätigkeitsbedingungen und soziale Absicherung gewährleistet sein.

Durch die digitale Transformation der Arbeitswelt entstehen zudem neue Herausforderungen für die betriebliche Mitbestimmung – von Fragen des Datenschutzes über die Kontrolle und Überwachung von Arbeitstätigkeiten und die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Tätigkeiten bis hin zu den Auswirkungen auf Qualifikation, Entgelte, Arbeitszeiten und Beschäftigungssicherheit. Auch hier wollen wir die digitalisierte Arbeitswelt der Zukunft mit entsprechenden Regelungen mutig und gerecht gestalten.

Die digitale Transformation der Arbeitswelt sozial verträglich, inklusiv, mit besserer Teilhabe für alle und vor allem menschenzentriert zu gestalten – das ist die Herausforderung, vor der Politik, aber auch Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft stehen. Dass unsere Unternehmen in diesem Prozess nicht an Stärke, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft verlieren dürfen, versteht sich von selbst. Im Gegenteil: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern aus unserer Sicht Auslöser und Vehikel, um die Arbeitswelt der Zukunft und damit unser Wirtschafts- und Wohlstandsmodell nachhaltiger, krisenfester und leistungsfähiger zu machen.

Demografischer Wandel, Dekarbonisierung und Digitalisierung fordern uns heraus. Sie bieten aber auch Chancen, das Leben und die Arbeit in unserem Land konkret zu verbessern

Anette KrammeParlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales
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