Digitale Pflegeanwendungen: So bereitet sich die ambulante Pflege auf die Digitalisierung vor 

Sie stehen in den Startlöchern: Digitale Pflegeanwendungen, kurz DiPA, sollen schon bald Pflegebedürftige und Pflegende unterstützen, um den Verbleib in der Häuslichkeit zu fördern und die Kosten für Pflegekassen zu senken. Erste ambulante Einrichtungen zeigen, wie die DiPA-Vorbereitung funktionieren kann – und welche Schritte seitens Pflege und Politik wesentlich sind.

Wenn Senior*innen stürzen, sind die Sturzfolgen oft unumkehrbar und die Hauptursache für eine höhere Pflegebedürftigkeit. Nicht selten zieht das den Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung nach sich. Den wenigsten ist bewusst, welchen Einfluss Gangparameter wie Schritthöhe, Schrittweite und Schrittgeschwindigkeit auf die Bewegungsfähigkeit im Alter haben. Abhilfe kann eine App schaffen. „Auch eine Entlastung der Pflegekräfte und Kostenreduzierung für die Kassen stehen für Pflegeeinrichtungen und -dienste an oberster Stelle“, sagt Franziska Kathe, DiPA-Projektleiterin bei Korian. „DiPA, wie beispielsweise eine digitale Mobilitätsanalyse helfen, das Sturzrisiko einzuschätzen, nachweislich zu reduzieren und den Verbleib im gewohnten Umfeld zu fördern.“ Digitale Pflegeanwendungen machen sich neue Technologien und mitunter Künstliche Intelligenz zu Nutze, indem sie als App auf dem Smartphone die pflegerische Arbeit unterstützen.

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Pilotprojekte zur reibungsarmen Vorbereitung auf Digitale Pflegeanwendungen

Die Einführung von DiPA in der ambulanten Pflege erfordert eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten: Hersteller, Pflegedienste und Kassen müssen die verschiedenen Schritte und Prozesse genau aufeinander abstimmen. Bereits seit Juli 2022 arbeiten drei Korian Pflegedienste deshalb mit dem MedTech Unternehmen Lindera auf Projektbasis zusammen und nehmen an einer ambulanten Studie teil. Das gemeinsame Ziel: Die Sturzrisikoreduktion per App nachzuweisen. Menia Ettrich ist DiPA-Expertin bei Lindera und bereitet ambulante Pflegedienste auf die Digitalisierung vor: „Die Integration neuer digitaler Hilfsmittel in einem neuen Setting braucht Zeit und bringt neue Herausforderungen. Pilotprojekte schaffen ein Bewusstsein für die Hürden, die im DiPA-Onboarding-Prozess auf uns zukommen werden. So können wir sie gezielt lösen. Davon profitieren künftig alle Akteure.“ Drei Schritte sind dabei als wesentlich für Pflegedienste, Pflegeeinrichtungen und DiPA-Hersteller:

Eine geeignete Infrastruktur schaffen und Akteure einbeziehen

Neben der technischen Ausstattung mit Tablets und einer Internetverbindung wurde auch die Vernetzungsstruktur überdacht, die mitunter den Dokumentationsanbieter betrifft und eine zukünftige Kompatibilität sicherstellen soll. Korian hat alle beteiligten Fachkräfte, Senior*innen und Angehörige gleich zu Beginn in das Pilotprojekt mit einbezogen. Seitens Lindera erfolgte eine Schulung zur App und dem Einsatz in der Praxis. „Wir haben Meilensteine definiert. Probleme, die innerhalb der Meilensteine auftauchen, werden thematisch bearbeitet und gelöst. Intern mit der Pflege und IT bei Korian, extern durch Lindera als digitaler Vorreiter in der Pflege und mit belastbarem Netzwerk- und Expertenwissen“, sagt Franziska Kathe.

Während Korian in eigene Tablets investiert, müssen auch Möglichkeiten zur Refinanzierung oder dem Leihen von Endgeräten für DiPA-Nutzende geschaffen werden. Die Forderung an die Politik: Es könne nicht per se davon ausgegangen werden, dass jede*r Senior*in ein eigenes Endgerät besitzt. “Wir dürfen nicht 80 Prozent aller Pflegebedürftigen aufgrund von Barrieren wie E-Mail-Adressen oder Smartphones, wie es viele DiPA voraussetzen, von der digitalen Teilhabe ausschließen“, so Menia Ettrich.

Aufklären über Finanzierungsmöglichkeiten

Die Finanzierung von DiPA durch die Pflegekassen erfordert mehr Aufklärungsarbeit. Die Prozesse zur Abrechnung und Kostenerstattung für Senior*innen sind häufig nicht klar. Noch müssen sich Pflegende selbst tief einlesen oder erhalten Beratung durch DiPA-Hersteller wie Lindera. „Deshalb ist eine unbürokratische Abrechnung elementar für die erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Auch für die Kassen ist es wichtig, sich digital aufzustellen, umBarrieren im Erstattungsprozess bereits im Vorfeld zu beseitigen“, sagt Franziska Kathe.

So können Pflegebedürftige bei Bedarf Unterstützung bei der Nutzung von digitalen Hilfsmitteln erhalten. Ein passender Ansatz findet sich über ergänzende Unterstützungsleistungen für DiPA. Diese sehen vor, dass Pflegebedürftige von Dritten – u.a. zertifizierten Pflegediensten – Hilfe bei digitalen Anwendungen erhalten. Diese Leistung kann von Pflegediensten abgerechnet werden. „Wie die Abrechnung genau auszusehen hat, muss allerdings im Leitfaden der Rechtsverordnung verankert werden. Wir müssen hohe Kosten für Pflegebedürftige vermeiden”, so Menia Ettrich.

Praxisnahe Anforderungen im Sinne der Golden Ager schaffen

Noch fehlen DiPA-Entwickler*innen ein transparenter Anforderungskatalog und mehr Möglichkeiten für die Zulassung. „Anders als bei der Zulassung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) gibt es bei DiPA kein Erprobungsjahr, weswegen DiPA-Hersteller umso mehr auf Evidenzen mit Praxisbezug angewiesen sind. Jetzt geht es darum, dass das BfArM dies praxistauglich umsetzt. Weder Pflegedienste noch Kassen oder Hersteller wollen, dass DiPA an überzogenen Anforderungen aus der künstlichen Laborwelt scheitern“, erklärt Menia Ettrich.

Pflegedienste sind angesichts neuer Tariflöhne und steigender Energiekosten aktuell zurückhaltend mit Neuinvestitionen. Franziska Kathe glaubt jedoch an den Erfolg der Pilotprojekte und den langfristigen Wert der Investition in die Digitalisierung, so auch im Fall der App zur Sturzrisikoreduktion von Lindera. „DiPA sind eine riesige Chance für die Pflege. Indem wir uns jetzt mit Herstellern und Kassen vorbereiten, stellen wir die Weichen für einen erfolgreichen und schnellen Start. Wer jetzt nicht anfängt, büßt an Pflegequalität und Wirtschaftlichkeit ein.“

Menia Ettrich ist Business Development Managerin des Berliner Deep Tech Unternehmens Lindera und betreut dabei die Kundenseite der digitalen Pflegeanwendung. Zuvor arbeitete sie 15 Jahre in der ambulanten und stationären Eingliederungshilfe. Mit ihrer Expertise zur DiPA und ihrem ausgeprägten Verständnis für die Bedürfnisse pflegebedürftiger Personen, ist die ehemalige Ergotherapeutin für die reibungslose Überführung von Pflegediensten und Senior*innen in die Nutzung von digitalen Pflegeanwendungen verantwortlich.

Lindera entwickelt KI-basierte 3D-Bewegungsanalysen für digitale Gesundheits-, Pflege- und Fitnessanwendungen, die mit dem gängigen Smartphone oder Tablet und ganz einfach per App durchgeführt werden können. Die innovative Lindera Technologie wurde auf höchstem Niveau wissenschaftlich validiert und unterstützt Fachkräfte bei der Analyse, Dokumentation und trägt nachweislich zur Mobilitätsförderung und Sturzprävention bei.

Franziska Kathe arbeitet als Projektleiterin im Zentralen Qualitätsmanagement von Korian Deutschland. Im Rahmen ihrer Funktion verantwortet sie die Einführung von DiPA und betreut das Pilotprojekt mit der Lindera Mobilitätsanalyse.