Stefan Sagmeister, Chefredakteur, Energie & Management
Die gute Nachricht für die Verantwortlichen bei den Energieversorgungsunternehmen ist: Die Digitalisierung bei der Beschaffung schreitet zwar mit hohem, „aber beherrschbarem Tempo voran“. Das schreibt die Unternehmensberatung EY in ihrem Beschaffungs-Survey, den es in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vorgelegt hat.
Darin wurden die Ergebnisse von 90 Fragebögen ausgewertet, die von Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Entwicklung der Energiebeschaffung 2022 ausgefüllt wurden. Grundsätzlich blicken die Fachleute optimistisch in die Zukunft, was den Energiehandel betrifft.
Denn sie gehen davon aus, dass die „Vielfalt der Teilnehmer in der Energiebeschaffung erhalten bleibt“. Vor allem die Profis aus den Beschaffungsabteilungen und die Energiehändler werden weiterhin das Geschehen an den Beschaffungsmärkten dominieren. Die Unternehmen geben dieses Geschäft nicht auf und wollen es auch nicht outsourcen. Viele sehen es als strategisch wichtige Komponente für den Unternehmenserfolg an. Hingegen wird das Handelsgeschäft mit Endkunden beziehungsweise Prosumern laut EY-Survey auch künftig nur eine „geringe Bedeutung“ einnehmen.
An Bedeutung gewinnen wird aber der kurzfristige Stromhandel. Hier gehen die befragten Marktteilnehmer davon aus, dass sich die jährlichen Zuwachsraten von über zehn Prozent in den vergangenen Jahren im Spothandel fortsetzen werden. Das ist nachvollziehbar. Aufgrund der schwankenden Einspeisung von erneuerbaren Energien wird es immer wichtiger, rasch einen Ausgleich zwischen Nachfrage und Angebote herbeizuführen – und das nicht nur netztechnisch, sondern auch bilanziell. Hier kommt dem automatisierten Handel eine immer wichtigere Rolle zu.
Seit 2014 ist an der Spotmarktbörse Epex Spot der automatisierte Handel, kurz Algotrading genannt, möglich. Seitdem hat sich der Markt rasant entwickelt. Mehr als ein Drittel der Handelsgeschäfte an den Spotmarktbörsen werden mittlerweile über automatisierte Handelssoftware getätigt. Voraussetzung für den Einsatz eines Algotraders ist der Zugang zu einer europäischen Spotmarktbörse wie Epex Spot im Strom oder Pegas im Erdgas.
Viele Unternehmen schätzen beim Algotrading, dass die Software den Mitarbeiter unterstützt. Ersetzen kann sie ihn nicht − zumindest nicht vollständig. Denn jemand muss den Autotrader auch bedienen. Ein großer Mehrwert des Algotrading ist es, dass der Händler von der Klickarbeit wegkommt. Oftmals ist er lediglich mit manuellen Routinearbeiten wie Schließen von Positionen beschäftigt, sodass er nicht mehr die Kapazität hat, sich um den Markt zu kümmern. Durch die Entlastung über das Algotrading kann er sich seiner Hauptaufgabe widmen: Trends erkennen und Strategien entwickeln.
Die Digitalisierung wird bei der Beschaffung und im Energiehandel weitergehen. Für viele der Befragten steht die Anschaffung von digitalen System ganz oben. Zum einen ist die Umstellung bei vielen Firmen von analogen auf digitale Prozesse noch lange nicht abgeschlossen. Viele wollen auch neue Geschäftsmodelle erschließen, die durch digitalen Technologien erst möglich werden.
Die gute Nachricht für die Mitarbeiter im Bereich Beschaffung und Handel ist: Sie werden wichtiger. „Für hochautomatisierte Beschaffungseinheiten zählt in Zeiten des Talentmangels Qualität statt Quantität“, heißt es im EY-Survey. Es sei nicht nötig, viele Experten einzustellen, sondern die richtigen. Dabei spiele auch eine Rolle, wie Teams strukturiert sind hinsichtlich Alter, Fähigkeiten und Ausbildungsgrad. Hier empfiehlt der Survey eindeutig heterogene beziehungsweise divers aufgestellte Teams.