Die Stunde der CFOs

Im Interview mit der Handelsblatt Journal Redaktion erklärt Evelyne Freitag, Geschäftsführerin der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, warum die Pandemie nicht nur eine große Herausforderung ist, sondern auch eine Chance sich agiler auf flexibler auf unbekannte Situationen einzustellen und neue Pfade einzuschlagen.

Frau Freitag, wie geht es Ihnen als CFO eines Pharmakonzerns in der Corona-Pandemie?
Corona stellt auch uns vor große Herausforderungen. Die Pharmaindustrie steht besonders im Fokus: Es geht nicht darum, diese Krise zu überleben, sondern die Welt zu retten. Wir brauchen dringend Medikamente, um die Folgen einer Corona-Infektion behandeln zu können und vor allem einen Impfstoff gegen das Virus. Sanofi hat große Erfahrung in der Präventionsmedizin und ein breites Impfangebot. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und gehen neue Wege der Kooperation mit Gesundheitspartnern, alle verbunden im Kampf gegen das Virus. Zusammen haben wir das Knowhow, um Corona pharmazeutisch Paroli zu bieten. Also müssen wir jetzt zeigen, was wir drauf haben!

Hat sich durch Corona Ihr Job wesentlich geändert?
Der Blick aufs Wesentliche ist geschärft. Der Sinn unserer Arbeit ist bis in die Finanzabteilung deutlich in den Vordergrund gerückt. Angesichts der unzähligen Infizierten wissen alle Sanofi-Mitarbeiter weltweit, wozu sie so hart arbeiten. Wir haben nicht weniger, sondern deutlich mehr zu tun. Selbst als CFO kann ich einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten.

Nämlich wie?
Als CFO habe ich schon die letzten Jahre stark an den Themen Digitalisierung, Diversität und Agilität gearbeitet. Die Corona-Krise wurde zum Katalysator dieser Transformation und hat gezeigt, wie wichtig es ist, die jüngst gegangenen Schritte nun zu beschleunigen. Wir waren daher technisch und mental gerüstet, um das Unerwartbare zu bewältigen. Nun müssen wir die Technologie und neu erprobte Arbeitsweisen als Teil unserer DNA verstehen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Als der Lockdown kam, steckten wir noch voll im Jahresabschluss. Trotz Homeoffice konnten wir selbst mit den externen Wirtschaftsprüfern fast unverändert weiterarbeiten. Ohne die dafür notwendigen Technologien wären wir nicht überlebensfähig gewesen. Sogar Aufsichtsratssitzungen sowie Vertreterversammlungen konnten – aufgrund dafür neugeschaffener Gesetze – virtuell abgehalten werden. Es lief alles ungewohnt, dennoch völlig reibungslos.

Sie erwähnten Diversität und Agilität – welche Rolle spielte das?
Die heutige Wirtschaft ist extrem schnelllebig. Deswegen ist unsere Arbeit so ausgerichtet, dass wir schnell und flexibel auf alle Veränderungen reagieren können. Solche Agilität erfordert neben digitalen Technologien auch eine gewisse Art der Zusammenarbeit im Team. Es hat sich gezeigt, dass all diese Eigenschaften wichtig und hilfreich sind, um die Krise zu bewältigen.

Was heißt das konkret?
Wir haben bei Sanofi auf Unternehmensebene sehr schnell ein Krisenteam mit  unterschiedlichsten Kompetenzen aufgebaut und gemeinsam gelernt, mit der Situation umzugehen. Egal welche Themen kamen, wir waren virtuell und funktionsübergreifend organisiert (R&D, Finanz, HR, Supply Chain, Kommunikation etc. und selbstverständlich die Produktion, die weiterhin für alle Patienten weiterlaufen musste). Alles wurde als Team besprochen, jeder hat zu jedem Thema seine Meinung abgegeben. Jeder hat dem anderen geholfen, seinen Wald zu sortieren und nicht nur Bäume zu sehen.

Das klingt wie eine schöne Erfahrung…
Das war es auch, auch wenn das angesichts der Pandemie sonderbar klingen mag. Gerade in dieser Zeit war der Teamgeist sehr beeindruckend und stärkend. Wir waren einfach füreinander da. Das war ein sehr gutes Beispiel für Solidarität und Kollaboration, egal wo.

Homeoffice galt als Nischenthema meist für oft weibliche Teilzeitkräfte. Mit Corona wurde das plötzlich die neue Norm.
Auch bei uns gab es bis vor Kurzem noch zahlreiche Führungskräfte, die Homeoffice oder besser gesagt das mobile Arbeiten für „nicht praktikabel“ hielten. Aber in der Krise waren alle gezwungen, mit den vorhandenen Technologien umzugehen und haben gemerkt: Das funktioniert! In der Not hat es plötzlich „Klick“ gemacht.

Wie kam es zu diesem „Klick“?
Naja, wir saßen alle zuhause und mussten trotzdem einen Weg finden, um unserer Aufgabe, der Versorgung von Patienten, gerecht zu werden. Dabei haben ganz einfache Tools wie Teams oder Zoom geholfen. Wir haben versucht, die Mitarbeiter spielerisch an diese ungewohnte Arbeitsform heranzuführen: Komm, probiert einfach aus. In jeder Sitzung haben alle voneinander gelernt. Das ging nicht immer perfekt. Aber alle haben gemerkt: Das funktioniert nicht nur, sondern das macht sogar Spaß! Und so sind sogar virtuelle Kaffeerunden entstanden. Auch das war ein positives Erlebnis!

Homeoffice oder Mobile Office als Weiterbildungsmotor?
In gewisser Weise schon. Aber auch ein Instrument zur Steigerung der Effizienz und zum Überdenken unserer bisherigen Geschäftsmodelle. Denn die neue Arbeitsweise hat gezeigt, dass wir unsere Kunden und Patienten über verschiedene Kanäle (Telefon, Mail oder Remote/Online) effizienter erreichen können. Wir haben den Fokus auf das Wesentliche gerichtet: was ist wirklich kritisch? Wie kommen wir schnell ans Ziel? Die Prioritäten wurden  zuerst definiert und somit wurde jeder in die Lage versetzt, schnelle Entscheidungen eigenständig zu treffen.

Welche Auswirkungen hatte das aufs Unternehmen?
Der Krankenstand war so niedrig wie nie – und zwar nicht, weil die Mitarbeiter Angst um ihren Job haben mussten. Sondern weil sie plötzlich klarer denn je erkannten, für wen ihre Arbeit wertvoll ist. Alle hielten sich konsequent an die Corona-Regeln. Auch wuchsd ie Bereitschaft, mehr Risiken für schnellere Ergebnisse einzugehen. Diese Erfahrung hat bei vielen einen Wandel im Kopf ausgelöst.

Inwiefern?
Nicht Kontrolle motiviert, sondern Sinn. Du weißt, wieso du etwas tust. Die Leute haben genauso gut oder sogar engagierter gearbeitet. Vorgesetzte haben gesagt: „Ich werde nicht kontrollieren, wann und wie Du arbeitest. Du kannst dich selbst organisieren.“ Gib den Menschen Vertrauen und du bekommst Leistung zurück!

Ohne Zweifel hat sich die Pandemie gesamtgesellschaftlich schon jetzt als Digitalisierungsbeschleuniger erwiesen. Gilt das in concreto auch für Ihr Arbeitsumfeld?
Ganz klar! Corona war ein Beschleuniger der digitalen Transformation und Kultur. Jedes Jahr organisieren wir den „Digital Campus“, ein unternehmensinterner Kongress, bei dem wir uns mit Aspekten der Digitalisierung beschäftigen. Schon vor einem Jahr war das Interesse groß. Aber da war es einfach fancy. Dieses Jahr war das Event virtuell. Es ging um agile Methoden, neue Formen von Kooperationen sowie Kundenkontakte und zwar so praxisorientiert wie nie zuvor. Da wurden einfache Fragen zu neuen Technologien oder praktische Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz gestellt, aber auch konkrete Fragen zum Thema virtuelle Führung diskutiert. Wie schafft man virtuell eine Kultur der Zugehörigkeit, was sind neue Teams-Ritualen, wie erfolgen Feedbacks und emotionale Kontakte? Es ging nicht um Bits & Bytes, sondern darum welche Skills eine Führungskraft in der digitalen Welt braucht.

Und welche braucht man?
Vor allem emotionale Intelligenz: Erkennen, ob es den Mitarbeitern gut geht, wenn sie nicht einem gegenüberstehen, im Videocall Phasen der Ruhe einbauen, in der Stimme Empathie rüberbringen, Selbstmotivation wecken und Sinn stiften. Und auch Anpassungsfähigkeit und partnerschaftliche Teamgeist: sich immer wieder auf neue Situationen einlassen, nicht auf alles vorbereitet sein, sondern agil genug sein, um mit anderen auf ein immer unsicheres und instabiles Umfeld eine Antwort zu finden.

Und welcher technischen Errungenschaften halten Sie für zukunftsweisend?
Ich werde Ihnen jetzt kein technisches Tool nennen. Egal welche Technologie, sie wird garantiert bald wieder veraltet sein. Zukunftsweisend ist nur die Digitalisierung an sich. Das meint nicht IT. Digitalisierung findet in jedem Bereich statt. Wir setzen bei Sanofi auf Innovationsmanagement. Um das zu formalisieren, haben wir den „Digital Award“ ins Leben gerufen, um Learnings und Ideen in einem zentralen Board zu bewerten und zu promoten. Dabei werden mit Hackathon-Methoden Ideenpitches erstellt, cross-funktionale Hinweise und Kontakte gegeben und ggf. mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet und ausgerollt. Das ist nicht neu. Aber das haben wir auf die Digitalisierung fokussiert und beschleunigt. Covid19 hat einen Sog hergestellt. Es ist jetzt klar, warum es wichtig und dringend ist. Wir nutzen die Welle, um diese Ideen umzusetzen.

Klingt fast als wäre Corona für Sie weniger Krise als Segen…
Nein. Covid-19 war und ist kein Geschenk, sondern eine harte Prüfung. Gerade jetzt wo wir uns wieder häufiger physisch treffen, ist zu spüren, wie sehr die sozialen Kontakte gefehlt haben. Da merken alle, wie schwer die letzten Wochen waren. Aber Krankheit gehört zum Leben dazu. Alle müssen lernen, mit Unsicherheiten umzugehen. Stichwort Risiko Management. Es geht nicht darum, Risiken zu vermeiden. Im Gegenteil. Wir müssen mehr Risiken eingehen. Der Erfolgsfaktor heißt Resilienz: Wir können nicht auf alles vorbereitet sein; aber wir müssen mit allem umgehen können. Das ist Teil der neuen Normalität.

 

„Der Erfolgsfaktor heißt Resilienz: Wir können nicht auf alles vorbereitet sein; aber wir müssen mit allem umgehen können.“

 

Evelyne Freitag
Geschäftsführerin der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH

 

Evelyne Freitag ist Geschäftsführerin der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH und verantwortet als Chief Financial Officer für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz 5 Mrd. Euros Umsatz und 10.000 Mitarbeiter. Vor ihrem Einstieg bei Sanofi im April 2017 war die Französin als Geschäftsführerin & CFO für die DACH-Region, später als Director EMEA Business Transformation bei Goodyear Dunlop sowie Vice President Finance & Supply Chain bei Pfizer Deutschland.

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