Die persönliche Haftung von Geschäftsführern bei unternehmerischen Entscheidungen

Marie Holzhauer, LL.M., Rechtsanwältin, Segger Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Grundsätzlich haftet für die Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen, nicht dagegen der Geschäftsführer. Dadurch ist der Geschäftsführer jedoch nicht von jeder Haftung frei. Doch wann haftet der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit seinem Privatvermögen? Und welche Maßnahmen kann er im Vorfeld ergreifen, um eine mögliche Haftung zu vermeiden?

PERSÖNLICHE HAFTUNG DES GESCHÄFTSFÜHRERS

Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers kann sich sowohl aus der Verletzung von Pflichten aus der Organstellung wie auch aus der Verletzung des Anstellungsvertrages ergeben. Dabei haftet der Geschäftsführer in erster Linie gegenüber der Gesellschaft selbst (sogenannte Innenhaftung), eine Haftung kann jedoch in Einzelfällen auch gegenüber Dritten entstehen (sogenannte Außenhaftung).

Wird der Geschäftsführer von der Gesellschaft oder von Dritten mit seinem Privatvermögen in Anspruch genommen, kann schnell die persönliche Existenz gefährdet sein, da die Haftung des Geschäftsführers grundsätzlich der Höhe nach unbegrenzt besteht.

Durch fortschreitende Digitalisierung, die Gefahren durch Cyberattacken und immer höhere Anforderungen an den Datenschutz, steigen auch die Anforderungen an einen Geschäftsführer und damit auch die Gefahr einer Haftbarmachung.

Generell trifft den Geschäftsführer ein umfassender Pflichtenkatalog, der von allgemeinen Organisations-, Überwachungs-, Sorgfalts- und Treuepflichten bis hin zu spezialgesetzlich normierten Sondertatbeständen reicht.

Zu nennen sind insbesondere folgende Organisations- und Handlungspflichten des Geschäftsführers:

  • Kenntnis und Einhaltung der Gesetze, insbesondere des GmbHG
  • Einhaltung der Satzung und Errichtung einer Geschäftsordnung bzw. eines Geschäftsverteilungsplans mit klaren Zuständigkeiten
  • Errichtung und Aufrechterhaltung einer Compliance-Organisation zur Aufdeckung von Gesetzes- und Regelverstößen, z.B. Einführung eines effektiven Compliance-Systems und auch Compliance-Trainings, Schulungen von Mitarbeitern wie auch stichprobenartige Kontrollen zur Einhaltung der Vorgaben
  • Einhaltung der Vorgaben des Anstellungsvertrages
  • Einhaltung der Weisungen der Gesellschafter
  • Kontrolle der Organisation
  • Regelmäßige Kontrolle der Finanzlage und der wirtschaftlichen Kennzahlen der Gesellschaft, auch durch Beauftragung von externen Dritten (z.B. Steuerberater)
  • Vermeidung übergroßer Risiken, z.B. durch regelmäßige Detailberichterstattung an die Gesellschaftersammlung sowie Einholen von Zustimmungsbeschlüssen für Transaktionen mit hohem Risikopotential
  • Handeln zum Wohl der Gesellschaft
  • Keine verdeckte Verfolgung von Eigeninteressen
  • Umfassende Information und ordnungsgemäße Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen z.B. durch Sicherstellung der richtigen Informationsgrundlage und ggf. durch Einschaltung externer Berater

Die ordnungsgemäße Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen ist eine der Hauptpflichten ordnungsgemäßer Unternehmensführung. Dies erfordert zunächst, dass der Geschäftsführersich alle für die konkrete Entscheidungsfindung relevanten Informationen (auch gesellschaftsinterne Informationen) beschafft und diese dann analysiert. Der Geschäftsführer muss mit den Informationen in der Lage sein, zu erkennen, ob Handlungsbedarf besteht. Dazu ist erforderlich, dass er die Stellung der Gesellschaft im Markt und das Marktumfeld beobachtet. Zur ordnungsgemäßen Entscheidungsfindung gehört auch, dass der Geschäftsführer Entscheidungsalternativen ermittelt, prüft und gegeneinander abwägt. Abwägungsmaßstab ist dabei stets das Unternehmensinteresse. Der Geschäftsführer muss bei der Einrichtung der Unternehmensorganisation darauf achten, dass die Leitungsebene hinreichend informiert wird.

Gerade im Hinblick auf die Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen legt der BGH einen strengen Maßstab hinsichtlich der Zuhilfenahme von Dritten zugrunde:

„Der organschaftliche Vertreter einer Gesellschaft, der selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, kann den strengen Anforderungen an eine ihm obliegende Prüfung der Rechtslage und an die Beachtung von Gesetz und Rechtsprechung nur genügen, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht“ (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2011 – II ZR 234/09).

UMFASSENDE DOKUMENTATION ALS ENTLASTUNGSMÖGLICHKEIT

Pflichtwidrig ist jedoch nur das Verhalten eines Geschäftsführers, das nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns entspricht. Unternehmerische Entscheidungen sind häufig Entscheidungen, die unter Unsicherheit und nicht selten unter großem Zeitdruck gefällt werden, so dass jede unternehmerische Entscheidung einem gewissen Risiko unterliegt. Der Geschäftsführer hat daher bei unternehmerischen Entscheidungen einen weitreichenden Beurteilungsspielraum, „ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist“ (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95).

Im Haftungsfall kann sich der Geschäftsführer daher entlasten, wenn er belegen und nachweisen kann, dass er seine Aufgaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns ausgeführt hat, diesen schuldlos nicht nachkommen konnte oder der Schaden auch bei pflichtgemäßen Alternativverhalten eingetreten wäre (vgl. BGH, Urteil vom 22. 6. 2009 – II ZR 143/08NJW 2009, 2598).

Für eine derartige Entlastung ist entscheidend, dass hinreichend dokumentiert ist, dass die Entscheidungen und Handlungen sachgerecht waren und auf einer fundierten Entscheidungsgrundlage basierten. Nur durch Dokumentation kann der Geschäftsführer im Schadensfall nachweisen, dass er bei Einrichtungs- und Kontrollmaßnahmen die Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet hat:

  • Macht der Geschäftsführer zu seiner Entlastung bindende Gesellschafterweisungen geltend, ist er für diese darlegungs- und beweispflichtig;
  • Besteht der Vorwurf im Überschreiten des unternehmerischen Beurteilungsspielraums, muss der Geschäftsführer zu Grunde gelegte Informationen und entscheidungsrelevante Erwägungen darlegen und beweisen;
  • Liegt der Vorwurf in fehlender Überwachung, muss der Geschäftsführer darlegen und beweisen, welche konkreten Maßnahmen er ergriffen hat;
  • Der Geschäftsführer kann darlegen und beweisen, dass der Schaden auch bei Beachtung der Vorgaben des Gesellschaftsvertrages in jedem Fall eingetreten wäre;
  • Der Geschäftsführer kann darlegen und beweisen, dass der Gesellschaft ein gleichwertiger Vorteil zugeflossen ist, so dass gar keine Einbuße vorlag.

Hinreichende Information ist dabei die wichtigste Voraussetzung des Haftungsprivilegs bei unternehmerischen Entscheidungen. Die Entscheidung ist, wie beschrieben, sorgfältig vorzubereiten. Dazu sind alle für eine sachgerechte Entscheidung erforderlichen Informationen zusammenzutragen, d.h. alle Handlungsalternativen sind zu eruieren und zu prüfen. Grundsätzlich muss der Geschäftsführer in der jeweiligen Situation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen und auf dieser Grundlage Vor- und Nachteile abwägen.

Bei unklarer Rechtslage muss der Geschäftsführer grundsätzlich Rechtsrat eines sorgfältig ausgewählten Beraters suchen. Ist dessen Rat fehlerhaft, haftet der Geschäftsführer nicht, wenn er dem unabhängigen und fachlich qualifizierten Berater alle zur Beurteilung erforderlichen Fakten richtig und vollständig offengelegt hat und er das vom Berater erstellte Gutachten zumindest auf Plausibilität geprüft hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. 5. 2007 – II ZR 48/06).

Der Geschäftsführer ist daher verpflichtet, sich auf dem Laufenden zu halten und seine Mitarbeiter entsprechend zu schulen und weiter zu bilden. Dies ist Voraussetzung für eine entlastende Dokumentation von Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungen. Um erforderlichenfalls darlegen und beweisen zu können, im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen gehandelt zu haben, müssen Geschäftsführer alle maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungsprozesse sorgfältig dokumentieren. Hierbei sollten sie bereits zum Zeitpunkt der Dokumentation im Auge behalten, dass diese die Entscheidung für Dritte nachvollziehbar darstellen sollte und erkennen lassen sollte, dass und weshalb alternative Handlungsmöglichkeiten bewusst nicht weiterverfolgt wurden.

Es sollten außerdem alle Maßnahmen dokumentiert werden, die zur Absicherung von Haftungsrisiken ergriffen werden, insbesondere Maßnahmen zur Anleitung und Überwachung von Dritten, an die Geschäftsführerpflichten delegiert wurden. Auch bei nicht bestandsgefährdenden Risiken sollte die Geschäftsleitung ihre Maßnahmen dokumentieren.

WEITERE MÖGLICHE MASSNAHMEN

Freistellung und Entlastung

Neben der Entlastung durch hinreichende Dokumentation, kann sich ein Geschäftsführer auch von Haftungsansprüchen freistellen lassen oder sich durch die Gesellschafterversammlung entlasten. So kann dem Geschäftsführer ein gesetzlicher Freistellungsanspruch gegen seine eigene Gesellschaft analog § 670 BGB zustehen, wenn er in Ausübung seiner Amtstätigkeit einen Haftungstatbestand gegenüber Dritten verwirklicht hat, ohne dabei seine Organpflichten zu verletzen. Bei einer gesamtschuldnerischen Haftung von Gesellschaft und Geschäftsführer gegenüber einem Dritten kommt ein Befreiungsanspruch des nicht pflichtwidrig handelnden Geschäftsführers nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Somit kann eine umfassende Dokumentation auch bei der Entlastung gegenüber Ansprüchen Dritter entscheidend sein.

Zudem kann die Gesellschafterversammlung den Geschäftsführer entlasten. Dies bewirkt, dass der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft im Rahmen der Entlastung nicht haftet. Üblicherweiseentscheiden die Gesellschafter jährlich über die Entlastung der Geschäftsführer. Soweit die Entlastung reicht, sind Schadensersatzoder Bereicherungsansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer ausgeschlossen. Zeitlich ist die Entlastung auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt, in der Regel auf das zurückliegende Geschäftsjahr. Sachlich erfasst sind grundsätzlich alle Maßnahmen der Geschäftsführung, bei ausdrücklicher Beschränkung auf bestimmte Geschäfte nur diese. Die Entlastungswirkung bezieht sich nur auf Vorgänge, die den Gesellschaftern bei Beschlussfassung bekannt sind oder die zumindest bei sorgfältiger Prüfung der vom Geschäftsführer zur Verfügung gestellten Informationen erkennbar waren. Die Entlastung erfasst aber nicht solche Regressansprüche, deren Durchsetzung im Interesse der Gläubiger der Gesellschaft unverzichtbar sind, wie z.B. der Ersatzanspruch wegen verbotener Einlagenrückgewähr oder wegen Insolvenzverschleppung.

Generalbereinigungsvertrag

Über die Entlastung hinaus kann der Geschäftsführer mit der Gesellschaft auch einen Generalbereinigungsvertrag abschließen. Dadurch erlöschen dann alle Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer unabhängig davon, ob den Gesellschaftern, die den Anspruch begründenden Umstände bekannt waren. Ein solcher Vertrag kann wirksam nur geschlossen werden, wenn die Gesellschafter dem Abschluss per Gesellschafterbeschluss zustimmen. Besonders einem ausscheidenden Geschäftsführer bietet ein Generalbereinigungsvertrag Sicherheit.

D&O-Versicherung

Die Gesellschaft kann außerdem zugunsten des Geschäftsführers eine Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden abschließen, eine sogenannte D&O-Versicherung (Directors and Officers Liability Insurance). Versicherungsnehmer und Beitragszahler ist die Gesellschaft. Wird der Geschäftsführer im Schadensfall von der Gesellschaft haftbar gemacht, kann er im Rahmen der versicherten Risiken eigene Regressansprüche gegen die Versicherung geltend machen. Ein direkter Anspruch der Gesellschaft gegen die Versicherung besteht in der Regel nicht. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit deckt die Versicherung typischerweise nicht ab.

Der Versicherer kann den Geschäftsführer in dessen Prozess mit der Gesellschaft auch unterstützen, um ein pflichtgemäßes Handeln zu belegen und so die eigene Ersatzpflicht zu vermeiden.

FAZIT:

Geschäftsführer sehen sich durch den fortschreitenden Wandel immer umfangreicheren und sich schneller ändernden Pflichten gegenüber. Um eine persönliche Haftung zu vermeiden, sollten sich Geschäftsführer gut mit den einzelnen Überwachungspflichten vertraut machen, für eine gute und ausführliche Dokumentation ihrer Tätigkeit, ihrer Entscheidungen und Entscheidungsgrundlagen sorgen und sich gegebenenfalls von fachlich qualifizierten Personen beraten lassen.