Die nächste große Transformation steht vor der Tür

Dr. Peter Mösle & Nicole Wallner

Mit der Dekarbonisierung steht auch die Pharmaindustrie vor der nächsten großen Transformation. Um sie zu bewältigen, sind Partnerschaften über Branchengrenzen hinweg notwendig, genauso wie neue Strategien und inspirierende Innovationen. Denn Europa soll bis 2050 klimaneutral sein.

Nach der Digitalisierung stehen wir mit der Dekarbonisierung vor der nächsten großen Transformation. Um Rohstoffe in Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln, die wir in unserem täglichen Leben nutzen, sind industrielle Prozesse auf natürliche Ressourcen und Energie angewiesen. Das heißt all diese Prozesse müssen klimaneutral werden. Für Märkte und Unternehmen bedeutet das grundlegende Veränderungen, die innerhalb der nächsten Jahre dringend angestoßen und umgesetzt werden müssen. Denn die bis zum Zieljahr 2050 bleibt nicht viel Zeit, wenn man bedenkt, dass Industrieunternehmen bei ihren Standorten mit einem Lebenszyklus von 30 oder 40 Jahren kalkulieren und ihre Investitionen entsprechend langfristig planen. Hinzu kommt, dass nach der Stromerzeugung, die nach und nach auf erneuerbare Energien umgestellt wird, auch die Wärmewende an Fahrt aufnehmen muss. Alle notwendigen Technologien für den Umbau der Energieinfrastruktur stehen schon bereit. Nun gilt es, die einzelnen Bausteine zu einem stimmigen Mosaik zusammenzufügen: Technologien müssen so kombiniert werden, dass auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Dafür ist neben Weitsicht und strategischem Denken auch viel Ingenieurswissen erforderlich.

Was für die Dekarbonisierung der Prozesse erforderlich ist, gilt auch für die dort verwendeten Rohstoffe und Materialien, denn deren Herstellung ist häufig alles andere als klimafreundlich. Es gilt also, auch eine Ressourcenwende zu schaffen und CO2-arme und kreislauffähige Materialien für die Pharmaindustrie zu finden. Hier spielt das Thema „Renewable Carbon“, bei dem es um die Einlagerung und das Binden von Kohlenstoff geht, eine wichtige Rolle. Was das Bauen betrifft, liefert die Natur mit Holz einen wichtigen Werkstoff für die Rekarbonisierung. Denn Bäume brauchen für ihr Wachstum CO2, das im Holz gebunden ist. Gebäude mit großem Holzanteil dienen damit als CO2-Speicher. Das ist aber nicht der einzige Vorteil: Mit seinem natürlichen Lebenszyklus und seiner positiven Umweltwirkung ist Holz außerdem prädestiniert für kreislauffähiges Bauen. Aber auch Verpackungen aus kreislauffähigen Materialen designed for C2C können einen großen Beitrag leisten. Cradle-to-Cradle– zu Deutsch „Von der Wiege zur Wiege“ heißt dieses Designprinzip, das eine sichere und potenziell unendliche Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen beschreibt. Müll im heutigen Sinne, wie er durch das bisherige „Take-Make-Waste“-Modell entsteht, gibt es nicht mehr, sondern nur noch nutzbare Nährstoffe.

Das reicht aber nicht aus, denn schließlich müssen sämtliche Industrien klimaneutral werden. Dafür ist Innovation in höchsten Graden gefragt – und Vernetzung über Branchengrenzen hinweg. Der erste Schritt für Industrieunternehmen, um die Transformation zu bewältigen, ist zu verstehen, wo man aktuell steht. Eine Status-quo-Analyse mag mühsam sein, sie ist aber zwingend notwendig, um die weiteren Schritte planen zu können. Abhängig von Industriezweig und Wertschöpfungstiefe gilt es dann, entweder die eigene Produktion umzustellen, oder entlang der jeweiligen Lieferkette auf die Partner einzuwirken.

Die Transformation, die auch der Pharmaindustrie bevorsteht, ist sehr weitreichend – und sie ist ohne die Mitarbeitenden nicht zu stemmen. Es gilt daher, diese über eine inspirierende Strategie mit ins Boot zu holen und auch eigene Beiträge von ihnen einzufordern. Denn vom E-Bike für den Arbeitsweg bis zum Verzicht auf Plastikflaschen in der Kaffeeküche gibt es auch viele Kleinigkeiten, die zur Erreichung des großen Ziels der Klimaneutralität beitragen. Es müssen eben alle an einem Strang ziehen.