Die Entlastung des Geschäftsführers im Konzern

– Matrixstrukturen, Reporting Lines und andere Herausforderungen –

Dr. Constantin Axer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Partner und
Sebastian Hilbich, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Seitz Rechtsanwälte

EINLEITUNG
Die Leitungsstrukturen international wie auch national agierender Konzerne orientieren sich in aller Regel an betriebswirtschaftlichen Maßstäben, die einen geregelten Informationsfluss, eine straffe Organisation und eine schnelle Entscheidungsfindung ermöglichen sollen. Mitarbeiter in leitenden Positionen müssen einem Vorgesetzten entlang konzernübergreifend vorgegebener Reporting Lines regelmäßig Bericht über den derzeitigen Sachstand und aktuelle Entwicklungen erstatten. Umgekehrt sollen diese Vorgesetzten ihren Mitarbeitern jederzeit Weisungen erteilen können.

Auf die Vorstellungen des deutschen Gesellschafts- und Konzernrechts nehmen diese sogenannten Matrixstrukturen üblicherweise keine Rücksicht, denn die Person, an die berichtet werden soll oder die eine Weisung erteilt, sitzt häufig nicht im selben Unternehmen, sondern in einer anderen Konzerngesellschaft, die nicht einmal die Mutter-, sondern gar die Großmutter-, Tanten- oder Schwestergesellschaft sein kann, da sich die Berichts- und Weisungswege etwa entlang der verschiedenen Geschäftsfelder erstrecken. Nicht selten sitzt die Konzernobergesellschaft zudem im Ausland.

Aus diesem Umstand können auch für den Geschäftsführer einer deutschen Tochter-GmbH Probleme erwachsen. Von hervorgehobener Bedeutung ist für ihn dabei die Frage, wie sich dies auf seine Haftung auswirken und auf welche Weise er sein Haftungsrisiko begrenzen kann. Vor diesem Hintergrund will dieser Beitrag das Institut der Entlastung in den Fokus nehmen.

1. Die Entlastung

1.1. Funktion

Gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG ist die Gesellschafterversammlung der GmbH zur Entscheidung über die Entlastung der Geschäftsführer berufen. Hierüber beschließt sie in der Praxis regelmäßig einmal jährlich für das vorangegangene Geschäftsjahr gemeinsam mit den sogenannten Regularien, also dem Jahresabschlussfeststellungs- und dem Gewinnverwendungsbeschluss.

Durch die Entlastung wird die Amtstätigkeit der Geschäftsführung gebilligt und – jedenfalls nach der herrschenden Meinung – der Geschäftsführung Vertrauen für die Zukunft ausgesprochen. Sie ist damit zunächst ein rein innergesellschaftlicher Vorgang und Bestandteil der allgemeinen Aufsicht der Gesellschafter über die Geschäftsführung.

1.2. Folgen

Etwaige Rechtsfolgen der Entlastung sind nicht gesetzlich geregelt. Gleichwohl führt nach ganz überwiegender Ansicht die erteilte Entlastung – wenngleich diese hierauf nicht explizit abzielt – zur Präklusion der Gesellschaft mit von der Entlastung erfassten Ansprüchen. Der Geschäftsführer kommt in den Genuss einer haftungsbefreienden Wirkung. Erfasst sind dabei all jene Ansprüche, die im Entlastungszeitraum entstanden sind und sich aus solchen Tatsachen ergeben, die die Gesellschafter auf Grund der Berichterstattung durch die Geschäftsführer oder aus den von ihnen vorgelegten Unterlagen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Entlastung kannten oder hätten erkennen müssen. Verschleiert der Geschäftsführer hingegen bestimmte Umstände, erschleicht sich also die Entlastung, so entfaltet diese keinerlei Präklusionswirkung.

Insofern hat es der Geschäftsführer in der Hand, mit der entsprechenden Transparenz und einer ordnungsgemäßen Rechenschaftslegung die sachliche Reichweite der Präklusionswirkung selbst zu bestimmen.

War demnach aus der Berichterstattung des Geschäftsführers für die Gesellschafter erkennbar, dass dieser der Gesellschaft wegen einer bestimmten Handlung oder Unterlassung dem Grunde nach aus § 43 Abs. 2 GmbHG zu Schadensersatz verpflichtet wäre und erteilen die Gesellschafter gleichwohl Entlastung, kann die Gesellschaft den Anspruch fortan nicht mehr geltend machen, weil sie sich dadurch in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzen würde, § 242 BGB (Verbot des venire contra factum proprium).

2. Problemstellung bei Matrixstrukturen

2.1. Auseinanderfallen von Entlastungsorgan und Kenntnisträgern

Anhand dieser kurzen Einführung wird bereits deutlich, worin bei einer Matrixkonstellation das Problem für den Geschäftsführer einer konzernierten GmbH begründet liegt: Das deutsche Gesellschaftsrecht setzt hinsichtlich des Entlastungsverständnisses eine Berichterstattung der Geschäftsführer an „ihre“ Gesellschafterversammlung – und nicht an einen „x-beliebigen“ Dritten entlang einer gewillkürten Reporting Line – voraus, da es auf deren Kenntnisse bei der Beschlussfassung abstellt.

Wird nun der Geschäftsführer veranlasst, nicht an die Geschäftsführung der Muttergesellschaft, sondern an eine andere Stelle in der Gesellschaft oder im Konzern zu berichten, fallen Kenntnisträger und Entlastungsorgan mithin auseinander. Der Geschäftsführer befände sich dadurch grundsätzlich in der nachteiligen Lage, dass ein ihm erteilter Entlastungsbeschluss in sachlicher Hinsicht keine oder nur eine sehr viel geringere Präklusionswirkung zu seinen Gunsten entfaltet. Etwas anderes würde lediglich dann gelten, wenn der Gesellschafterversammlung (in der Regel also den Geschäftsführern der Muttergesellschaft) im Zeitpunkt der Beschlussfassung das Wissen des Dritten qua Gesetz zuzurechnen wäre.

2.2. Wissenszurechnung?

Wird lediglich innerhalb einer einzelnen Gesellschaft durch die Satzung eine vom Gesetz abweichende Reporting Line geschaffen, lässt sich diese Zurechnung noch verhältnismäßig einfach über § 166 BGB erreichen. Werden diese Berichtswege und entsprechenden Zuständigkeiten hingegen über mehrere Ebenen hinweg im Konzern begründet, ist eine Zurechnung keinesfalls zwingend. Vielmehr geht die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass allein der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften in einem Konzern verbunden sind, für sich genommen nicht genügt, um eine Wissenszurechnung zu begründen. Soll vorhandenes Wissen gleichwohl zugerechnet werden, ist das – wenn überhaupt – nur mit größerem  Argumentationsaufwand begründbar. Gesicherte Rechtsprechung oder einhellige Literaturmeinungen, die sich für jeden Fall fruchtbar machen ließen, existieren nicht. Von gesteigerter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des OLG Frankfurt a.M. (Urteil vom 04.09.2019 – 13 U 136/18), in dem eine Wissenszurechnung von der Konzernobergesellschaft zur Tochtergesellschaft explizit abgelehnt wird. Vor diesem Hintergrund kann dem Geschäftsführer der Tochter-GmbH nicht empfohlen werden, sich „blind“ auf eine Zurechnung der Informationen zu verlassen, die er einem außerhalb der Gesellschafterversammlung stehenden Berichtsempfänger zur Kenntnis gebracht hat.

2.3. Regelmäßig auch keine haftungsbefreiende Weisung

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Geschäftsführer regelmäßig auch nicht auf eine enthaftende Weisung berufen können wird. Gemäß § 37 GmbHG hat der Geschäftsführer den Weisungen der Gesellschafterversammlung Folge zu leisten und haftet folgerichtig für deren Ausführung im Innenverhältnis nicht. Grundsätzlich weisungsberechtigt wäre demnach der Mutter-Geschäftsführer. Sieht die Matrixstruktur hingegen vor, dass etwaige Weisungen von einem anderen Konzernmitarbeiter entlang der Reporting Line ausgesprochen werden dürfen und sollen, bringt dies ein erhebliches Haftungsrisiko des Tochter-Geschäftsführers mit sich.

Weist etwa ein Abteilungsleiter der Konzernmutter den Geschäftsführer an, den Vertrieb eines in Deutschland erfolgreichen Produktes einzustellen, weil es sich auf den übrigen Märkten nicht hat durchsetzen können, hat der Geschäftsführer zwar faktisch keinerlei Entscheidungskompetenz, kann sich aber gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG gegenüber der von ihm geleiteten Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen, wenn er die Weisung befolgt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die haftungsbefreiende Entlastung für den Geschäftsführer noch einmal mehr an Bedeutung.

3. REAKTIONSMÖGLICHKEIT

Um den bis hierher aufgezeigten Umständen Rechnung zu tragen und eine Informationsweitergabe – bzw. eine Wissenszurechnung – an seine Gesellschafterversammlung zu bewirken, könnte es sich aus Sicht des Tochter-Geschäftsführer anbieten, vorweg die Abweichung zwischen gesetzlicher Struktur und der im Konzern implementierten Matrixstruktur aufzuzeigen. Zusätzlich sollte der Mutter-Geschäftsführer auf dokumentierbarem Wege (z.B. per E-Mail) darauf hingewiesen werden, dass man davon ausgehe, dass (1) der Matrix-Berichtsempfänger die Informationen anstelle der Gesellschafter entgegennimmt, (2) eine Weitergabe durch den Berichtsempfänger erfolgt und (3) insofern keine Doppelberichterstattung (an Berichtsempfänger und Gesellschafter) nötig ist. Idealerweise wird dies dem Tochter-Geschäftsführer daraufhin noch einmal explizit bestätigt.

Abschließend könnte sogar noch der Zusatz ergänzt werden, dass man fortan sämtliche auf diesem Wege erstatteten Berichte insbesondere auch im Hinblick auf die Entlastung als bekannt voraussetze.

Auf diesem Wege erhält sich der Geschäftsführer die Möglichkeit, sich auf § 242 BGB zu berufen, wenn er – trotz erteilter Entlastung – wegen einer angeblichen Pflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

4. FAZIT

Matrixstrukturen und Reporting Lines folgen in nationalen wie internationalen Konzernen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und nicht den Vorstellungen des deutschen Konzern- bzw. Gesellschaftsrechts. Was operativ und finanziell sinnvoll sein mag, bringt für den Geschäftsführer einer Tochter-GmbH nicht unerhebliche Probleme mit sich. Da er nicht selten angehalten sein wird, die Gesellschaftsinteressen denen des Konzerns unterzuordnen und die Weisung entlang abweichender Matrixstrukturen ihn gesellschaftsrechtlich nicht entlastet, erhöht sich sein Haftungsrisiko beträchtlich.

Umso wichtiger ist aus Sicht des Geschäftsführers insofern das Rechtsinstitut der Entlastung und die damit einhergehende Präklusionswirkung, deren Umfang er in sachlicher Hinsicht durch seine Berichterstattung im Grundsatz selbst in der Hand hat. Dem der Konzernstruktur geschuldeten Auseinanderfallen von Entlastungsorgan und Kenntnisträgern und den damit verbundenen Problemen kann der Geschäftsführer mit dem hier unterbreiteten Vorschlag entgegenwirken. Aufgrund der Komplexität von Konzernsachverhalten und der Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten ist eine tiefergehende Beratung im Einzelfall jedoch in der Regel unbedingt empfehlenswert.