Die Batterie im Nutzfahrzeug (1/2)

In diesem ersten von zwei Beiträgen im Vorfeld der Handelsblatt Nutzfahrzeuge 2021-Tagung beleuchtet Claudius Jehle, Geschäftsführender Gesellschafter der volytica diagnostics GmbH, Wirtschaftlichkeitsaspekte von Batterien in Nutzfahrzeuganwendungen. Im Folgebeitrag werden Konsequenzen für Garantien, Bilanzierung, den Leasingmarkt und andere Geschäftsmodelle wie Pay-Per-Use oder Extended-Warranty-Versicherungen sowie die dafür nötigen Paradigmenwechsel hinsichtlich Datentransparenz entlang der europäischen Wertschöpfungskette adressiert.

Bei aller Diskussion, was uns in Zukunft antreiben wird, so wird es wahrscheinlich für alle Parteien wenig Disput hierüber geben: Die Batterie wird eine Rolle in zukünftigen Nutzfahrzeugen spielen, egal wie heterogen der Antriebsmix sein wird – ob im vollelektrischen Truck bis ca. 18t für Innenstadt- oder Pendelverkehre, im wasserstoff-betriebenen Langstrecken-LKW als Stützbatterie oder in vielen anderen Bereichen wie Baumaschinen, Bussen oder sogar Zügen.

Auch wenn sich unter dem Überbegriff der Li-Ionen-Batterien ein unübersichtlicher Zoo von Untertechnologien mit spezifischen individuellen Stärken und Schwächen verbirgt – was eigentlich allzu pauschale Verallgemeinerungen verbietet – so ist allen ein starkes Versprechen gemein: Minimale Betriebs- und praktisch inexistente Wartungskosten. Es ist nicht schwer zu ergründen, dass dieses Versprechen sich nur dann in ein wirtschaftlich positives Ergebnis verwandelt, wenn das Verhältnis von (a) nutzbarer Lebensdauer zu (b) Anschaffungspreis möglichst groß ist.

Nun fallen bzgl. (b) die Preise für Batteriesysteme auch im Nutzfahrzeugbereich jährlich im teilweise zweistelligen Prozentbereich. Es ist aber in kommerziellen Anwendungen aus verschiedenen Gründen nicht davon auszugehen, dieselben Skaleneffekte und kWh-Preise zu erreichen wie im Automotive-Bereich. Der Reichweitenhunger im e-PKW sorgt schon seit Jahren dafür, dass immer stärker Lebensdauer, Robustheit und Stabilität gegen höhere Energiedichte getauscht wird (technisch gesprochen: insb. bei NMC geht der Trend zu Ni-reichen Kathoden >811, was die Energiedichte näher ans theoretische Limit treibt, aber seit Jahren zu immer kürzeren Standard-Lebensdauern führt). Vielversprechende Pressemeldungen über Neuentwicklungen hoher Energiedichten, hoher Stabilität bei gleichzeitig niedrigem Preis jagen einander, und einige Technologien zeigen bislang unbekannte Potentiale – aber es bleibt dabei: Die Meldungen versprechen viel, aber die sehr hohen Lebensdauer-, Robustheits- und 24/h-Performance-Anforderungen von Nutzfahrzeuganwendungen werden gegenüber den ganz anderen, hochvolumigen PKW-Anforderungen zurückstecken müssen, sodass ein technologischer Scheideweg erwartbar ist. Am Rande sei erwähnt, dass 1% Energieverbrauchseinsparung durch Effizienzsteigerung, Nutzungsoptimierung oder bessere Ladezustandsbestimmung wohl wesentlich günstiger und lokal entwickelbar sein wird als eine einprozentige Steigerung der Batterieenergiedichte.

Lebensdauertests von Automotive-Zellen zeigen erhebliche Unterschiede bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen (Quelle: Eigene Arbeit, Kooperation mit Fraunhofer IVI)

Auch wenn also ein – etwas zurückhaltenderer – Preisverfall anzunehmen ist, ist der Hebel der Lebensdauer (a) entscheidender. Die Batterie ist ein hochkomplexes Verschleißteil – letztlich ist sie praktisch sogar das einzige relevante verbleibende Verschleißteil – und auch hier versagen die meisten Verallgemeinerungen. Was aber die Erfahrung der letzten 10 Jahre Nutzfahrzeug-Elektrifizierung durch systematische Felddatenauswertung zeigt: technologie- und anwendungsunabhängig, ist die tatsächliche Degradation der Batteriesysteme praktisch immer um 5-15%, teilweise sogar 25-50% geringer als die Auslegungen. Wohlgemerkt: Ohne systematische Optimierung, deren Potentiale bei verschiedenen Chemien nochmal erheblich sind.

Die Lebensdauerabschätzung und damit Performance-Garantie einer Batterie basiert stets auf einem Worst-Case-Szenario, dem extremsten erwartbaren Nutzungsprofil. Da die elektrochemischen Systeme aber derart unterschiedlich, aber allesamt erheblich auf das Nutzungsprofil (Temperatur und Strom, vor allem aber Ladezustandsfenster!) reagieren, kommt es am Ende ganz zentral auf die tatsächliche Nutzung an. Bei diversen Automotive-Zellen erhöht sich die erwartbare Lebensdauer um über 300% (ja, 15 statt 5 Jahren) durch geschickte Einschränkung des Betriebsbereiches.

Es ist wie mit Joghurt – das Mindesthaltbarkeitsdatum ist ein Richtwert, wie lange man es mindestens essen kann. Doch meist ist bei normaler Lagerung der Genuss selbst Wochen nach MHD-Ende in keinster Weise gemindert, und im kältesten Winkel des Kühlschranks hat man schon von beängstigend langen Lebensdauern gehört. Beim Joghurt genügt zur Nutzungsoptimierung ein gesunder Geruchssinn, bei der Batterie hingegen ist  ein permanentes  und  systematisches Monitoring  sowie  strategische Lebensdaueroptimierung ein Muss. Dank zunehmender Vernetzung, IoT und kommerziell verfügbaren Produkten überwiegen die wirtschaftlichen Vorteile die Kosten.

Bevor wir im nächsten Beitrag die wirtschaftlichen Konsequenzen eines systematischen Monitorings von Batterien beleuchten, d.h. die positiven Auswirkungen auf Garantiebedingungen, Bilanzoptimierung, Versicher- und Finanzierbarkeit, das Leasing oder Pay-Per-Use-Modelle, und die so überhaupt erst mögliche Nachnutzung/2nd-Use, schließen wir mit einer Wette: Heute kann kein etablierter Nutzfahrzeughersteller oder -zulieferer systematisch die im Betrieb befindlichen Batteriesysteme hinsichtlich Alterung oder Optimierungspotentialen auswerten.

Wir setzen eine Palette Milchprodukte für einen guten Zweck.